Süddeutsche Zeitung

Roman: Kriegsbraut:Die Frau, die sich traut

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Der Journalist Dirk Kurbjuweit erkundet in einem Roman das moralische Dilemma der deutschen Soldaten in Afghanistan:"Kriegsbraut" ist kein Thriller mit grauenhafter Atomdrohung und erschütternden Frauenschicksalen - das Buch ist literarisches Neuland.

Gustav Seibt

Keine politische Entscheidung der letzten Jahre, nicht einmal Hartz IV, ist bei den Deutschen so unbeliebt wie der Einsatz in Afghanistan. Doch der überwältigenden Ablehnung in den Umfragen - regelmäßig um die zwei Drittel der Befragten - entspricht bisher kein Straßenbild: Anders als bei früheren Kriegen, Vietnam, Irak, anders als bei der Nachrüstung von 1983, fehlen die protestierenden Massen. Und der Verteidigungsminister, der sich zu diesem "Krieg" offensiv bekannt hat wie keiner seiner Vorgänger, wurde zum beliebtesten Politiker dieser Jahre.

Solche Beobachtungen sammelte im letzten Sommer ein bis in die Antike ausgreifender Essay des Spiegel-Redakteurs Dirk Kurbjuweit über Krieg und Demokratie, der den deutschen Einsatz am Hindukusch verteidigte. Kurbjuweit machte es sich nicht leicht. Er entwickelte zunächst das unumgängliche Gewalttabu, auf das gerade die kämpferische Staatsform Demokratie angewiesen ist, die den Streit braucht, ihn aber zivilisatorisch einhegen muss; dabei wecke jeder Krieg, auch dieser, die immer nur schlummernde Gewaltbestie im Menschen.

Trotzdem kam Kurbjuweit zu dem Schluss, dass es in Afghanistan vorerst ohne westliche Soldaten nicht geht: Zu groß wären die Gefahren eines erneuten Umkippens in die Talibanherrschaft, ein "Sieg" über den Westen, der dann leicht auf die Atommacht Pakistan ausstrahlen könnte - ein Albtraum. Zugleich fand sein Essay es falsch, dass der Afghanistan-Krieg nie Wahlkampf-Thema wurde, dass also die Bürger bisher nicht abstimmen konnten und auch die Oppositonsparteien, außer der Linkspartei, nicht mehr richtig Farbe bekennen mussten.

Nun hat Kurbjuweit einen Roman zum Afghanistan-Krieg vorgelegt, und das erste, was man über ihn feststellen muss, ist, dass er keine politischen Thesen oder strategischen Erwägungen bebildert. Dabei wäre das natürlich möglich: Der Kriegs-Thriller mit grauenhafter Atomdrohung durch Talibankämpfer, verheerenden Zivilopfern durch falsche Kriegsentscheidungen der Amerikaner, versetzt mit erschütternden Frauenschicksalen und grausamen Entscheidungen in letzter Sekunde, schreibt sich für einen routinierten Autor fast von selber.

Wer Kurbjuweits frühere Bücher kennt, vor allem seine spannende und feinfühlige Liebesgeschichte aus dem Berliner Politikbetrieb Nicht die ganze Wahrheit (2008, jetzt bei dtv), musste sich sogar fragen, ob der empfindsame Beobachter zeitgenössischer Wirklichkeit, der Kurbjuweit als Journalist wie als Erzähler ist, sich an dem Kriegsthema nicht verheben würde.

Nein, hat er am Ende nicht. Das ist bemerkenswert, weil die Begabung dieses Autors im Aufschließen der eher undramatischen Wirklichkeit vor unseren Augen liegt. Nun aber hat er viel mehr riskiert, denn sein Roman Die Kriegsbraut spannt nicht nur den Bogen von Deutschland zum afghanischen Schauplatz, sondern er hat auch eine weibliche Heldin. Kurbjuweit hat den ersten Kriegsroman vorgelegt, seit Frauen in der Bundeswehr zugelassen wurden.

Da kann jede Menge schiefgehen, und das Buch hat auch Schwächen. Sie liegen übrigens eher am Beginn, der die Entscheidung der ostdeutschen Informatikerin Esther (nein, keine Jüdin) für den Soldatenberuf entwickelt; die enttäuschende, weil unverbindliche Liebesgeschichte mit einem mäßig erfolgreichen Filmemacher, die dem großen Schritt nach Afghanistan vorausgeht, wirkt schematisch, fast 20.15-ZDF-tauglich.

Aber der Roman braucht sie, als Vorbereitung für die erst ganz andere, am Ende gar nicht so andere Erfahrung, die Esther mit einem afghanischen Mann macht, dem Schullehrer Mehsud, den sie bei Kontrollfahrten vom Stützpunkt Kundus aus kennenlernt. Die deutschen Soldaten sollen nämlich das sichern, was ein vorrangiger offizieller Kriegsgrund ist: den Schulbesuch von Mädchen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Kurbjuweit die Vorstellungskraft für das schwierigste Problem der gegenwärtigen deutschen Politik weckt.

Die Stärken des Romans liegen in der Ausmalung der Situation. Zunächst des nun eben auch weiblichen Soldatenalltags mit dem ewigen Thema der Kriegsliteratur, Anspannung und Langeweile. Auch Frauen haben ein Stubenleben, und natürlich entwickeln sich auch im Soldatenberuf zwischen Frauen und Männern erotische Spannungen. Das hat Kurbjuweit glanzvoll gemacht, sehr ernst, nämlich respektvoll, und ziemlich komisch zugleich, literarisch wirkliches Neuland. Die Seitenblicke auf die pazifistische Heimat, die im unentwegten Mail- und Mobilfunk-Kontakt anwesend bleibt, steuern dazu stille Satire bei.

Stilistisch ganz ohne Getue

Das andere ist die Verlorenheit der westlichen Soldaten, die zwar bis zum Umfallen mit Technik gepanzert sind, sich aber vor jedem Plastikkanister am Wegrand fürchten müssen, in dem riesigen, zerklüfteten, undurchdringlichen Land Afghanistan. Kurbjuweit hat hier alles zusammengetragen, was auch gegen diesen Einsatz spricht, das im Einzelnen eigentlich Vergebliche, buchstäblich ins Geröll Geschriebene dieses Krieges.

Und natürlich muss es zu einem Unfall kommen, einer Schießerei, die nur durch einen amerikanischen Helikoptereinsatz beendet werden kann und auch zivile Opfer fordert. Mit moralischer Feinwaage justiert Kurbjuweit das Dilemma einer lebensrettenden Selbstverteidigung, die gar nicht umhin kann, Unschuldige mitzutreffen. Die vollkommene Abhängigkeit der Deutschen von den Amerikanern in jedem Ernstfall ist schwer erträglich.

Schockierend wirkt die seelische Nacharbeit: Weil von zivilen Opfern weder in Afghanistan noch in Deutschland auch nur das Leiseste verlauten darf, kann nicht einmal in der nachsorgenden psychologischen Betreuung darüber gesprochen werden. In diesem Zug einer aufs Höchste sensibilisierten und doch im selben Moment tief unaufrichtigen Kriegsführung entwirft der Roman geradezu das Modell dafür, warum demokratische Gesellschaften am Ende kriegsuntauglich sein könnten.

Esthers Entscheidung für den Soldatenberuf, die Sozialpsychologie des neuen gemeinsamen Soldatenalltags von Frauen und Männern, die Dilemmata des asymmetrischen Krieges stellen die ersten drei Ebenen des Erzählwerks Kriegsbraut dar; die letzte Ebene, die große Auseinandersetzung zwischen den Kulturen, für die natürlich das Motiv der Geschlechterrollen zentral ist, erreicht das Buch in der Liebe zwischen Esther und Mehsud. Da könnte man (und die Literaturkritik muss es wohl tun) sehr viel einwenden; der Fall wirkt weder recht wahrscheinlich, noch seelisch plausibel.

Aber für Kurbjuweits Zweck, die umfassende Entfaltung der moralischen Probleme, ist sie zwingend, und daher sollte man sie besser als empathisches Argument denn als reale Geschichte verstehen: So könnten, so müssten sich Liebende unterhalten, die sich unter so prekären Umständen treffen, nämlich nicht nur als Individuen, sondern als Vertreter ihrer Lebenskreise; so groß und hohl wären viele ihrer Worte, und so müssten sie sich wohl missverstehen. Esthers Desillusionierung - mehr soll zu der ja auch spannenden Geschichte nicht verraten werden - steht symbolisch fürs Ganze.

Kurbjuweits Roman, stilistisch ganz ohne Getue, dabei mit erfahrener Könnerschaft geschrieben, ist voller Informationen und voller Einsichten in reale Umstände und Probleme. Und er leistet etwas, was nicht einmal der klügste Essay könnte, sondern wirklich nur die Literatur schafft: Er weckt die Vorstellungskraft für das schwierigste Problem der gegenwärtigen deutschen Politik; er nimmt Partei für den Zweifel.

DIRK KURBJUWEIT: Kriegsbraut. Roman. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2011. 333 Seiten, 19,95 Euro

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Quelle:
SZ vom 10.03.2011
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