"Profound Mysteries" von Röyksopp:Mensch-Maschine

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"Für uns Menschen ist das, was wir nicht wissen, weitaus wichtiger als das, was wir wissen", sagen Svein Berge und Torbjørn Brundtland alias "Röyksopp". (Foto: Stian Andersen)

Die Elektroniker von "Röyksopp" haben ihr Versprechen gebrochen, nie wieder ein Album zu machen. Was für ein Glück.

Von Moritz Baumstieger

Ankündigungen, die mit den Worten "Nie wieder" anfangen, ist grundsätzlich nicht zu trauen. Das gilt leider für die ganz großen Losungen ("Nie wieder Krieg"). Und es gilt, natürlich, umso mehr für die kleinen "Nie wieders", die in ihrer Bedeutung und in ihren Konsequenzen viele Etagen drunter angesiedelt sind. Für solche also auch, die in der Liga der guten Vorsätze spielen.

Nie wieder, das sagten zum Beispiel Svein Berge und Torbjørn Brundtland vom überaus norwegischen, dabei weltweit sehr erfolgreichen Elektro-Duo Röyksopp - der niedlich nur anmutende Name des Duos bezeichnet in der Heimatsprache einerseits eine gewöhnliche Pilzsorte, andererseits nunmal auch den Pilz, der auf die Explosion einer Atombombe folgt. Nie wieder also, meinten Berge und Brundtland, würden sie ein Album auf den Markt werfen. Ihre fünfte Platte "The Inevitable End" sollte 2014 genau das sein: das unausweichliche Ende, die letzte Veröffentlichung, "im traditionellen Albumformat".

Dann tröpfelten die ersten Songs ins Netz. Dunkel, schön, dann gleißend hell

Musik wollten Röyksopp schon noch machen, aber sie fanden: Alben sind nicht mehr zeitgemäß, die Zukunft liegt im Streaming, vielleicht auch ganz woanders. Warum Ware weiter mühsam zu Bündeln schnüren? Warum Diamanten in Füllmaterial versenken? Warum sich jedes Mal wieder eine große, übergeordnete Erzählung ausdenken, die einen Bogen spannt vom ersten Beat bis zur letzten Rille. Warum? Darum - weil ein Album wie das, was sie nun gerade veröffentlicht haben, genau das ist: eine große Erzählung.

Erst ploppte im Dezember 2021 der Band-Instagram-Account auf, den man 2014 noch nicht brauchte, um Platten zu verkaufen. Natürlich haben den inzwischen auch andere Endvierziger, für Gerüchte um ein neues Großprojekt reichte es aber trotzdem. Dann tröpfelten die ersten dunklen, schönen Songs ins Netz. Einer, noch einer, schon wieder einer, schließlich: Voilà, große Erzählung.

"Profound Mysteries" heißt die neue Platte. Zehn Songs, und ein sehr einfacher Wirkmechanismus, wie er albumtypischer, um nicht zu sagen progressive-rock-artiger nicht sein könnte. Höhepunkte sind schließlich vor allem dann Höhepunkte, wenn sie etwas umgibt, aus dem sie hervorstechen: Wolkenkratzer brauchen eine Skyline, das Matterhorn sein Panorama. Große Songs brauchen eine Umgebung. Idealerweise interessant gemustert und bei schon länger etablierten Gruppen wie Röyksopp - erstmals international auffällig geworden um die Jahrtausendwende - auch einmal shampooniert und fasertief gesaugt. Die alten WG-Nachbarn aus der westnorwegischen Stadt Bergen von den Kings of Convenience haben es im vergangenen Sommer ja auch hinbekommen. Die ebenfalls Ende der Neunziger gestarteten Nachbarn im Geiste von Metronomy im Februar ebenso.

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Röyksopps Rolle rückwärts beginnt nun so dunkel, wie sich Noch-nie-in-Norwegen-Gewesene im Allgemeinen die Wälder kurz vorm Nordkap vorstellen. Im begleitenden Video zu "Nothing But Ashes" stolpert ein seltsames Wesen zwischen Fichten und Birken durch die Dunkelheit. Und auch hier gibt es ein Gesamtkonzept. Ihre "Profound Mysteries" ließ die Band von neun Regisseuren in rätselhaften Kurzfilmen ausleuchten. Nur den für das Intro besorgten sie selbst. Ein Wesen mit DIY-Roboterhelm stakst dort herum. Aus den Öffnungen des Helmes leuchtet es warm und rot und der Humanoide gräbt im Waldboden, vielleicht nach einem Beat. Vielleicht auch ein Gruß an die stets behelmten ehemaligen Mitstreiter von Daft Punk , die ja auch keine Alben mehr veröffentlichen. Zumindest ziemlich sicher nicht. Ganz sicher konnte man das aus dem ebenfalls etwas rätselhaften Kurzfilm nicht herauslesen, mit dem sich die Franzosen vor einem guten Jahr verabschiedet haben.

Weil selbst der finsterste Wald eine Lichtung hat, kommt auf "Profound Mysteries" bereits beim zweiten Song das erste Mal die Sonne durch. Der Drumcomputer schnurrt raus ins Licht, eine Melodie steigt auf wie ganz leichter Morgennebel. War das da drüben der Schatten eines jungen Rehs, war es der Geist von Giorgio Moroder? Egal, "The Ladder" führt sachte hinauf zum ersten Gipfel.

Fantastische Frauenstimmen füllen diese stählerne Architektur mit großer Sehnsucht

Wer "Impossible" auf der im Gegensatz zu Vinyl-Platten im Fachhandel erhältlichen Audio-Kassetten-Ausgabe des Albums erstmals hört, mag sich womöglich fragen, ob hier das Tapedeck leiert. Aber nein. Die Sample-Maschinen von Berge und Brundtland mögen teils so alt sein wie ein VW Scirocco II, und ihre Keyboards haben sie mutmaßlich aus den Beständen von Tony Banks bei Genesis in Surrey gemopst. Aber die Norweger bedienen die Geräte eben meisterlich und tricksen also Klänge aus ihnen heraus, die - im Electro ist das sogar noch schwieriger als im übrigen Pop - sofort unverkennbar werden: Analoger Futurismus, sauber, aber nie aseptisch, mal raumgreifende Malereien, große, euphorische Abstürze, dann wieder schlau schillernde minimal art.

Und dann kommt sie, die Stimme.

Die der großen, großen Alison Goldfrapp. Sie beginnt leicht verschlafen oder vielleicht auch gelangweilt, doch dann schraubt sie sich hoch. Schraubt sich höher und höher, "I can touch the sky", bis alles unten am Talboden nur noch ganz klein, ganz unwichtig unter milder Schleierbewölkung liegt.

Blick vom Himmel herab: Sängerin Alison Goldfrapp. (Foto: Alison Goldfrapp)

Überhaupt sind Röyksopp natürlich erfahren genug, diese Erzählung nicht alleine neu auszurollen. Hits mit gut gelauntem Discoschorlen-Schluckauf wie "Eple" (2001) zu wiederholen, die auf der Clubtanzfläche wie in der Apple-Werbung funktionieren, ist ja sowieso kaum noch möglich. Für Gäste hatten die beiden deshalb auch auf früheren Alben immer ein Zimmer mit frisch bezogenem Bett parat. Heute holen sie sich selbst dann Hilfe, wenn sie sich nochmal an Beats mit harter Discokante trauen. Das nordische Castingwunder Astrid S, die völlig abgehobene Goldfrapp und gleich zweimal die Songwriterin und hinreißende Sängerin Susanne Sundfør füllen die Maschinenmusik von Röyksopp mit großer Sehnsucht und mächtig style.

"Für uns Menschen ist das, was wir nicht wissen, weitaus wichtiger als das, was wir wissen", sagen Svein Berge und Torbjørn Brundtland zu ihrer neuen Platte. Das klingt natürlich angemessen rätselhaft. Und wirklich besser als "Nie wieder". Angeblich ist nicht nur dieses wunderbare Album geplant. Sondern ein Zyklus aus drei Alben. Es ist wohl gerade die Zeit für große Erzählungen.

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