Robert Harris:"In der Antike gab es weniger Heuchelei"

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Bestsellerautor Robert Harris spricht über neue und alte Supermächte, seinen Roman "Titan" und den inhaftierten Roman Polanski.

Cathrin Kahlweit

Der Brite Robert Harris, 52, politischer Journalist und Bestsellerautor, hat den zweiten Teil seiner Cicero-Trilogie vorgelegt: "Titan" (englischer Originaltitel: "Lustrum"). Darin schildert er, wie der römische Konsul die Verschwörung des Catilina vereitelt und im Machtkampf mit Caesar unterliegt. Harris gilt als Meister des Politik-Thrillers; das beweist auch der Film zu seinem Buch "Ghost", der im Februar ins Kino kommt und von Roman Polanski in Szene gesetzt wurde.

Robert Harris: "Politik ist immer die Wahl zwischen zwei Übeln." (Foto: Foto: dpa)

SZ: Mister Harris, Sie haben sich zum zweiten Mal in Folge mit Cicero beschäftigt. Was ist so faszinierend an dem Mann, den wir heute vor allem als guten Redner kennen?

Robert Harris: Er ist einfach zu verstehen, ein Römer und doch ein moderner Mensch. Wenn man über ihn schreibt, vermindert sich die Distanz zwischen uns und den Römern sehr schnell. Er kam aus kleinen Verhältnissen und hat es bis ganz nach oben geschafft, er war kein Militarist, er war nicht grausam. Er verteidigte lieber als anzugreifen, und er versuchte, die Demokratie am Leben zu erhalten.

SZ: Das klingt alles so positiv, aber in Ihrem Buch ist er eine sehr widersprüchliche Figur; er liebt die Macht, er ist korrupt, und er tut alles, um an der Macht zu bleiben. Ist auch das "modern"?

Harris: Das ist die Natur der Politik, oder? Man kann dabei nicht sauber bleiben. Politik ist immer die Wahl zwischen zwei Übeln. Man versucht, im besten Falle, das geringere der zwei Übel zu wählen. Doch ja: Er war ein Mensch mit zwei Gesichtern - aber sind wir das nicht alle?

SZ: Am Ende unterliegt er, aber er gibt nicht auf. Macht ihn auch das zu einem modernen Helden, einem Supermann?

Harris: Er ist in diesem Sinne ein echter Politiker - die meisten wollen nicht aufgeben und machen immer weiter.

SZ: Sie gehen immer wieder in die Antike zurück, zweimal mit Cicero, einmal mit "Pompeji". Warum sind historische Stoffe in Büchern und im Fernsehen so populär, genauso wie es plötzlich wieder schick ist, Latein oder Griechisch zu lernen? Ist das eine falsch verstandene Idealisierung der guten alten Zeit?

Harris: Leser lieben es, in eine fremde Welt geführt zu werden. Außerdem sind die alten Zeiten faszinierend, weil sie unsere neue Zeit in einen Kontext setzen - schließlich gibt es den fatalen Hang, zu glauben, wir hätten alles erfunden, wir seien die ersten Menschen - als lebten wir in einer Blase. Wenn man sich aber auf diese Art der Literatur einlässt, wird einem bewusst, dass wir mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben wie zahllose Generationen zuvor. Und warum Latein und Griechisch wieder populär sind? Weil es derzeit eine einzige Supermacht gibt, weil die USA die Welt dominieren und deshalb der Blick auf alte Supermächte wieder relevant wird.

SZ: Jedermann scheint Ihre Bücher als Parabel für die moderne Politik zu lesen: Macht ist alles, Moral ein schlechter Witz, Korruption überall, und Politiker streben nur nach dem eigenen Vorteil. Ist die Welt so schlecht?

Harris: Im Gegenteil, meine Bücher sind gedacht als Feier der politischen Kunst. Sie handeln von wunderbaren Reden, zeigen, wie faszinierend Wahlen sein können, erzählen von besonders aufregenden Menschen. Cicero versucht, das Richtige zu tun - nicht immer natürlich, denn er ist kein Heiliger. Ich versuche, Politik als großes Spiel zu zeigen und zu erklären, warum manche Menschen es spielen wollen.

SZ: Heute versucht man uns weiszumachen, dass Politiker das Beste für die Menschen im Auge haben. Nackte Machtpolitik verkauft sich schlecht.

Harris: Einer der Gründe, warum ich gern über die Antike schreibe, ist just dieser: Damals gab es weniger Heuchelei. Es war legitim zu sagen: Ich liebe die Macht. Heute müssen Politiker so tun, als strebten sie nicht für sich selbst nach Einfluss, sondern täten das ausschließlich aus Altruismus. Es würde uns weiterbringen, wenn man sagen könnte: Es ist normal, Macht und Einfluss haben zu wollen, gewinnen zu wollen, so wie es für einen Läufer normal ist, dass er auf 100 Metern der Schnellste sein will.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Harris selbst nicht in die Politik gehen würde.

SZ: Sie haben mal gesagt, selbst in der deutschen Politik finde sich sicherlich der eine oder andere Cicero.

Harris: Na ja, Cicero war ein sehr schlauer Mann...

SZ: Heißt das, unter deutschen Politiker fände sich keiner, der schlau genug wäre?

Harris: Die gibt es überall; Talleyrand etwa war ein gutes Beispiel dafür.

SZ: Nun, der ist erstens schon lange tot und war zweitens kein Deutscher ...

Harris: ... richtig ...

SZ: ...aber wenden wir uns einem aktuellen Projekt zu: In wenigen Monaten kommt der Film zu Ihrem Buch "Ghost" heraus, wieder geht es um die Themen Macht und Politik: Ein britischer Premier arbeitet für einen anderen Staat, und die politische Elite ist sogar zum Morden bereit, um ihre Version der Wahrheit durchzusetzen. Ist es das, was Sie als politischer Journalist an der Seite von Tony Blair gelernt haben?

Harris: So viel ist wahr: Ich wollte über einen britischen Premier schreiben - und über Geheimnisse aus seiner Vergangenheit, die ihn für den Leser interessant machen. Dass es dabei auch um das Verhältnis Großbritanniens zu den USA geht, ist angesichts des Irak-Krieges und seiner Bedeutung für die innenpolitische Debatte bei uns nur naheliegend gewesen. Und ja, klar denkt man sofort an Tony Blair. Aber es sollte wahrlich kein Porträt von ihm sein!

SZ: Würden Sie selbst in die Politik gehen?

Harris: Nein. Ich schätze es, dass ich sagen kann, was ich will. In der Politik müsste ich ständig die Selbstdisziplin haben, meinen Mund zu halten.

SZ: Bei dem Film "Ghost" führt Roman Polanski Regie oder besser gesagt: Er hat Regie geführt, denn derzeit sitzt er in der Schweiz in Auslieferungshaft. Wie kommunizieren Sie mit ihm?

Harris: Der Film ist seit September weitgehend fertig, und Roman hat die letzten Änderungen vorgenommen, bevor er verhaftet wurde.

SZ: Was wissen Sie über seine derzeitige Stimmung, seinen Ärger?

Harris: Darüber möchte ich nicht sprechen. Es ist nicht an mir, darüber Auskunft zu geben, das sollte seiner Familie vorbehalten bleiben.

SZ: In der New York Times haben Sie über Ihren Freund Roman Polanski geschrieben - und darüber, dass es ungerecht gewesen sei, ihn festzusetzen. Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob er weiter gegen die Auslieferung in die USA angehen wird?

Harris: Ich habe keine Ahnung. Ich hoffe, er kommt so bald wie möglich frei.

© SZ vom 16.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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