Regisseurin Susanne Bier:"Väter lieben Babys genauso wie Mütter"

Lesezeit: 3 min

"Zweite Chance": Andreas (Nikolaj Coster-Waldau) hat sich entschlossen, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. (Foto: Prokino Filmverleih GmbH)

Inwieweit beeinflussen Klischees unsere Wertvorstellungen? Die Frage ist zentral für Oscar-Preisträgerin Susanne Bier, deren neuer Film "Zweite Chance" nun in die Kinos kommt.

Von Paul Katzenberger

Die Liste der Preise, die Susanne Bier für ihre Filme gewonnen hat, ist lang. Sogar einen Oscar hat sie nach Dänemark geholt: vor vier Jahren für das Melodram "In einer besseren Welt", einem Thriller über das Bedürfnis nach Rache. Den Durchbruch feierte die Regisseurin 2002 mit dem Drama "Für immer und ewig", das den Regeln des Dogma-95-Manifestes folgte, wonach Filme durch den Verzicht auf technische Effekte so wahrheitsgetreu wie möglich erscheinen sollen.

Doch Bier muss auch mit der Kritk leben, ihre Thriller über Fragestellungen der Moral und Ethik seien unrealistisch. Besonders das aktuelle Drama "Zweite Chance" fiel in dieser Hinsicht bei der Kritik durch. Die Geschichte über zwei Familien, bei denen am Schluss nichts so ist, wie es am Anfang scheint, sei "grotesk" und "lächerlich", urteilte die US-Presse nach der Premiere in Toronto 2014. Von den Fans hingegen gab es das gewohnt überschwängliche Lob. Offenbar wird die Filmemacherin selbst in die Schwarz-Weiß-Raster gesteckt, die sie in ihren Filmen so gerne hinterfragt.

SZ: Ihnen wird immer wieder vorgeworfen, dass Ihre Geschichten zu konstruiert seien. Bei Ihrem neuen Film "Zweite Chance" wurde diese Kritik besonders laut.

Susanne Bier: Wenn Sie das Genre des Sozialdramas betrachten, dann werden Sie feststellen, dass diese Filme häufig nach dem Prinzip "Ursache und Wirkung" aufgebaut sind, was unweigerlich von manchen als konstruiert empfunden wird. Das liegt also in der Natur von Geschichten über Moral. Weil bestimmte Themen wie Schuld, Verlust und Vergeltung adressiert werden müssen.

Susanne Bier (Mitte) mit den Darstellern Nikolaj Coster-Waldau und Maria Bonnevie im September 2014 bei den Filmfestspielen in San Sebastian. "Zweite Chance" erhielt in dem baskischen Seebad den Signis Award. (Foto: AFP)

In "Zweite Chance" handelt die Hauptfigur Andreas auf vollkommen inakzeptable Weise, aber mit dem Ziel, Gutes zu erreichen. Dafür zahlt er einen hohen Preis, obwohl die Welt am Schluss ins Lot kommt - und vielleicht sogar ein besserer Ort ist als vorher. Ist das gerecht?

Genau um solche Fragen geht es mir. Die Antwort darauf überlasse ich dem Zuschauer. Doch ob etwas gerecht ist, wird man oft nicht mit ja oder nein beantworten können.

In Ihrem Film geht alle Empathie von der Figur des Vaters aus, während die Mütter entweder gewalttätig oder fahrlässig sind. Das entspricht nicht unseren Vorstellungen von der Rolle der Geschlechter. War das Sicht beabsichtigt?

Ja. Ich wollte unsere Vorurteile in Bezug auf Vater- und Mutterschaft hinterfragen. Es gibt viele Filme, die sich mit Vätern auseinandersetzen, aber darin geht es immer um ältere Kinder. "Zweite Chance" ist der erste Film, der einen Vater darstellt, der so starke Gefühle für einen Säugling zeigt, wie wir sie üblicherweise nur Müttern zubilligen. Doch Väter lieben Babys genauso wie Mütter.

Aber in Ihrem Film sind die Mütter ja sogar richtig gefährlich für ihre Kinder.

Ich wollte nicht zum Ausdruck bringen, dass alle Mütter furchtbar sind. Doch kann es nicht der Fall sein, dass eine Mutter, die wir als liebevoll wahrnehmen, gar nicht so hingebungsvoll ist? Und eine Mutter, von der wir glauben, sie sei eine Rabenmutter, in Wirklichkeit starke Muttergefühle in sich trägt?

Die Rolle der Sanne, die ihre Muttergefühle erst erkennt, als es fast schon zu spät ist, wird von May Andersen gespielt, die zwar schon als Model für die "Vogue" und den "Playboy" gearbeitet hat, bislang aber keine Schauspielerfahrung hatte. Warum haben Sie sich trotzdem für sie entschieden?

Weil ich in ihr viele Qualitäten und Talente erkannt habe, die sie für diese Rolle prädestiniert haben. Sie schien mir gut dafür geeignet zu sein, eine Figur zu spielen, die uns mit unseren Vorurteilen konfrontiert.

Ihre Filme spielen häufig an zwei Schauplätzen: in Dänemark und einem weiteren fernen Land, zum Beispiel Afghanistan, Indien oder dem Sudan. "Zweite Chance" handelt nun ausschließlich in Dänemark. Wollten Sie zur Abwechslung mal eine rein dänische Geschichte erzählen?

Überhaupt nicht. Mir geht es als Filmemacherin zunächst immer um die Geschichte und die Figuren. Die Orte im Film ergeben sich durch die Handlung und nicht umgekehrt. Erst dann frage ich mich, wo das alles am besten hinpasst.

Mit "Für immer und ewig" haben Sie 2002 einen Film realisiert, bei dem Sie sich an das Dogma-Manifest hielten. Danach haben Sie keinen Dogma-Film mehr gedreht. Warum nicht?

Fast alle Regisseure, die das ausprobiert haben, wollten nicht mehr als einen Dogma-Film machen. Ich glaube, das lag in der Natur der Sache: Man sammelte Erfahrungen durch die Vorgaben, die einem diese Bewegung abverlangte, die ohne Zweifel hochinteressant sein können. Aber danach geht man seinen Weg weiter.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: