Wie krank müssen Menschen sein, die anderen den Kopf abschlagen und sich dabei filmen lassen? Und wie verrückt sind Menschen, die ankündigen, dass sie unter bestimmten religiösen Umständen ihre eigenen Eltern töten würden - wie in der vergangenen Woche ein junger Muslim aus dem Allgäu im Magazin dieser Zeitung? Von Sinnen, völlig durchgeknallt, wahnsinnig? Oder doch nur: böse? Eine wichtige Frage. Denn wenn diese Menschen wirklich verrückt, also krank, wären, dann könnte man sie dorthin sperren, wo unsere Gesellschaft kranke Straftäter aufbewahrt: in die Forensik, wo Lustmörder ebenso sitzen wie Gliedvorzeiger und angebliche Reifenaufstecher. Aber, sagt Norbert Nedopil, die Dschihadisten sind nicht krank.
Nedopil, 67, leitet die Forensische Psychiatrie an der Klinik der Münchner LMU. Er war in zahlreichen Prozessen als psychiatrischer Gutachter tätig. Und er forscht. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte er, er könne nachvollziehen "dass sich die Gesellschaft vor solchen Leuten schützen muss, wahrscheinlich noch globaler als das noch vor Jahren der Fall war. Es wäre aber gefährlich, die Psychiatrie zu benutzen." Denn nach den gängigen Klassifikationssystemen der Medizin sei bei Terroristen keine psychische Krankheit diagnostizierbar.
Nedopil verweist auf Studien und auf Gutachten über Attentäter von 9/11. Von mehr als zwanzig Angeklagten sei nur einer wirklich an einer Psychose erkrankt gewesen, bei zwei von ihnen habe man eine psychische Krankheit lediglich vermuten können.
Wahn vs. Fanatismus
Die Psychiatrie unterscheidet zwischen Wahn und Fanatismus. Fanatismus lasse sich dadurch klar von Wahn differenzieren, dass er kommunizierbar sei. Es handle sich um ein Gemeinschaftsphänomen - Terroristen wie die IS-Schergen seien daher in aller Regel Fanatiker. Anders als Wahn: Davon sind nach den Definitionen der Psychiater immer nur einzelne befallen.
Nedopil warnt davor, die Klassifikationssysteme der Psychiatrie zu modifizieren, um Killertouristen vom Töten abzuhalten. Die Medizin dürfe sich "nicht mehr zu einem Staats- und Ordnungsorgan machen lassen. Die Psychiatrie wehrt sich nicht, für Salafisten oder für Terroristen zuständig zu sein, die krank und gefährlich sind - aber für Leute, die nur gefährlich sind, dafür ist sie nicht zuständig".