Hans-Jürgen Topf steht vor einem fast nackten Mann mit blauen Dreadlocks und riecht an seinem Daumen. Seine Waschmaschinen, Modell Electrolux W355H, stehen neben ihm in der Ecke eines klimatisierten Flugzeughangars bei Tuttlingen - dem VIP-Bereich des Southside Festivals. Der Mann mit den Dreadlocks ist Gitarrist der US-Punkband NOFX. In weniger als einer Stunde muss er auf die Hauptbühne, 20 000 Zuschauer. Vorher aber hat er noch Hans-Jürgen Topf eine Tasche voller Schmutzwäsche übergeben, inklusive seiner letzten Unterhose, weshalb er jetzt nur noch ein Handtuch um die Hüfte trägt. Und nun hält er ihm auch noch die Reisetasche selbst hin: darin ein großer, ölig glänzender weißer Fleck. Ob der sich irgendwie entfernen lasse?
Ohne zu zögern, reibt Topf seinen Daumen am Fleck, riecht daran, überlegt. Er hebt die Tasche an die Nase, kurz verschwindet sein ganzer Kopf in dem alten Ding. Als er wieder hervorkommt, sagt er mit fachmännischer Miene: "Butter? No Problem. We just need to put some ... Dings on it. Emulgator. What is Emulgator auf Englisch?"
Berührungsangst kennt Hans-Jürgen Topf nicht. Weder mit nackten Rockstars noch mit englischen Vokabeln, und schon gar nicht mit Flecken unbekannter Herkunft. Zupacken, mithelfen, bloß nie den Humor verlieren - so versteht er seinen Job. Wie oft hat er in den vergangenen dreißig Jahren Helfer gehabt, die am ersten Arbeitstag mit Gummihandschuhen anrückten und am zweiten lieber daheim blieben? "Rockstarwäscher", sagt er mit breitem pfälzischen Akzent und einem noch breiteren Grinsen, "das klingt für viele nach Champagner, tollen Frauen und wenig Arbeit. Aber nee nee. Wenn du 'ne Waschmaschine vollmachst, langst du ins pralle Leben."
Hans-Jürgen Topf stellt sich Amerikanern als "Häns" vor, Deutschen als "Töpfchen". Er bezeichnet sich, sachlich korrekt und bescheiden, als "Weltmarktführer in Sachen Tourneewaschen". Der langjährige Tourmanager von Herbert Grönemeyer nennt Topf "die gute Seele des Tourneebetriebs". Der englische Tourbusfahrer von U2 bezeichnet ihn als "lebenden Mythos". Für die amerikanische Garderobiere von Beyoncé ist er schlicht "der Beste".
Die Macht eines Traums
Topf wäscht Wäsche. Von Rockstars auf Tour. Als einziger Dienstleister auf der Welt. In einer der geheimnisumwittertsten Branchen der Welt, dem Tourneebetrieb, gehört ein gut gelaunter Pfälzer mit Bauchansatz und Fünftagebart seit 30 Jahren zum Teil des Inventars. Wenn Stars wie Madonna auf der Bühne ihre Garderobe durchschwitzen oder Punkrocker Butter in ihren Reisetaschen verkleckern, ist Topf da, um alles hinterher wieder sauber zu bekommen. Ob in Tuttlingen oder in Tokio.
Beim "Southside" ist er mit 5000 Handtüchern, drei Waschmaschinen und drei Trocknern dabei. Er legt Socken zusammen, dreht Boxershorts von links auf rechts, läuft mit Stapeln sauberer Hemden in die Garderoben der Bands und bringt Handtücher hinter die Bühne. Wobei er seine Wege ständig unterbrechen muss: Mal grüßt ihn ein tätowierter Beleuchter, mal umarmt ihn eine Berliner Künstlerbetreuerin, dann wieder gibt ihm ein Bodyguard High Five.
Mit seinen Waschmaschinen hat Topf fast alle Kontinente bereist: Europa, Asien, Afrika, Nordamerika, Südamerika. Er hat Welttourneen mit Madonna und Beyoncé hinter sich, war mit den Rolling Stones und Joe Cocker unterwegs, mit Bon Jovi, AC/DC und Mariah Carey, eigentlich mit allen international tourenden Acts, "nur Johnny Cash hab ich zu Lebzeiten verpasst, das ärgert mich ein bisschen." In diesem Sommer fahren Waschmaschinen aus dem Hause Topf im Tross von Guns N'Roses, Shakira, Ozzy Osbourne und Nickelback mit. Alle seine 50 Maschinen sind derzeit unterwegs.
In dieser seltsamen Welt der streng gesicherten VIP-Garderoben und an Schlüsselbändern baumelnden Access-All-Area-Pässe hat Topf eine erstaunliche Marktlücke gefunden und darin ein kleines Imperium aufgebaut. Erstaunlich, weil seine Beobachtung so banal war: Auch Menschen auf Tour brauchen saubere Wäsche. Nur reisen sie meist jeden Abend nach dem Konzert weiter - zu schnell, um die Kleidung von oft mehreren Hundert Crewmitgliedern in einer normalen Wäscherei sauber und trocken zu bekommen. Für dieses Problem hat Topf eine Lösung gefunden.
Sein Erfolg erzählt einiges über die große Faszination, die der Rock 'n' Roll seit Jahrzehnten auf die Menschheit ausübt. Über das Bedürfnis nach Sauberkeit, selbst in dieser demonstrativ schwitzigen Welt. Aber auch über die Macht eines Traums.
Dabei, sagt Topf, habe er alles in erster Linie dem Zufall zu verdanken. Beziehungsweise zwei Ampeln, die im richtigen Moment auf Rot sprangen.
Wäschewaschen auf Tour: "Biete das doch allen Bands an!"
Er wuchs in Ludwigshafen auf, seine Eltern hatten eine kleine Wäscherei. Nach dem Abitur, Notenschnitt 3,49, fängt Topf dort an zu jobben. Eines Morgens, es ist der 25. Mai 1981, fährt er eine Ladung sauberer Wäsche aus. An einer roten Ampel kurz vor Mannheim steht neben ihm ein Tourbus. Topf ist ein Musiknerd, "Haare bis zum Arsch, John-Lennon-Brille und Mao-Bibel im Parka". Moment mal, überlegt er: An diesem Abend gibt es doch gar kein großes Konzert in Mannheim. Aber in Ludwigshafen! Er klopft ans Seitenfenster des Busses, und tatsächlich hat der Fahrer des US-Sängers Ted Nugent sich verirrt. Topf lotst ihn bis vor die Friedrich-Ebert-Halle. Zum Dank bekommt er Backstagekarten. Und nimmt ein paar Koffer schmutziger Unterhosen der Band mit in die Wäscherei. Nach dem Konzert sitzt er mit Nugent in der Umkleide, darf dessen Gitarre halten und trinkt Jacky Cola. "Ab da wollte ich nur noch backstage auf Konzerte." Und vom Tourmanager bekommt er auch einen Tipp, wie das klappen könnte: "Wäschewaschen auf Tour ist der letzte Dreck. Biete das doch allen Bands an!"
Ab sofort steht Topf jeden Vormittag, wenn die Tourbusse ankommen, vor dem Bühneneingang der Eberthalle und fragt, ob es Schmutzwäsche gibt. Er besucht jedes Konzert nur noch backstage. Bis eines nachts um drei das Telefon klingelt - der Tourmanager von Motörhead meldet sich aus Japan. Die Band ist seit Wochen unterwegs, kommt nächste Woche nach Deutschland und braucht dringend saubere Wäsche. Man hat dem Manager diesen Typen in Ludwigshafen empfohlen. Es ist Topfs erster bezahlter Job: 400 Mark für eine Wagenladung schwarzer Wäsche. Und einen Abend mit seiner Lieblingsband. "Besser geht's doch nicht", sagt Topf und strahlt noch heute.
Als Erstes nehmen die Bee Gees ihn mit. Zwei Wochen auf Deutschlandtour. Dann Joe Cocker. Für ein Hotelzimmer ist kein Geld da, Topf rollt sich abends eine Isomatte in seinem Lieferwagen aus. Es ist nicht die einzige Beschwerlichkeit: Passende Wasseranschlüsse hat damals kaum eine Konzerthalle. Meist muss er das Abwasser seiner Maschinen in stinkende Pissrinnen ableiten. Seit damals kenne er "jede Behindertentoilette in jedem deutschen Stadion", sagt Topf. Dass es heute in allen größeren Konzerthallen wie selbstverständlich Anschlüsse für Waschmaschinen gibt, ist nicht zuletzt das Verdienst von Hans-Jürgen Topf.
So geht es weiter. Fünf Jahre später: Topf gründet eine eigene Firma namens "Rock'n'Roll Laundry". Er kauft Tausende gebrauchte Handtücher und vermietet sie an das erste "Rock am Ring"-Festival. Eine völlig neue Geschäftsidee. Sein Vater lacht ihn aus, damit werde er bald pleitegehen. Noch mal fünf Jahre später: Topf besitzt ein Dutzend eigene Industriewaschmaschinen und Trockner, fest verbaut in maßangefertigten Transportkisten. Fast alle großen deutschen Festivals buchen ihn und seine Handtücher.
Er übernimmt die Wäscherei der Eltern. Vergrößert sie auf das Sechsfache. Inzwischen arbeiten dort 45 Angestellte. In Deutschland betreut Topf jetzt die meisten großen Stadiontourneen. Er zeugt zwei Söhne, sie lernen im Backstagebereich von Festivals das Laufen. Die meisten Bands und ihre Crews kennen "Häns" längst beim Namen. Nur eines fehlt noch: die Liga der internationalen Großtourneen.