Pop-Dokumentation:Iggy Pop und sein Vogel

Lesezeit: 3 min

Jim Jarmuschs "Gimme Danger" huldigt den "Stooges", wobei Iggy Pop die zentrale Rolle einnimmt. Noch viel schöner anzusehen ist allerdings ein anderes Video: Das von Iggy und seinem Kakadu Biggy Pop.

Von Juliane Liebert

Das schönste Iggy-Pop-Video des vergangenen Jahres, vielleicht sogar Jahrzehnts, ist kein Konzertvideo. Es ist ein Kakadu-Video. Seit einiger Zeit besitzt der Sänger einen Kakadu namens Biggy Pop. Der Kakadu hat einen Instagram-Account (@biggypop), und dort sieht man, wie Iggy Pop ihm einmal "Surfin' Bird" von den Trashmen vorsingt. Zunächst ist Biggy Pop skeptisch, dann beginnt er zu wippen. Iggy und Biggy wippen guter Dinge ein wenig gemeinsam, im Hintergrund Kronleuchter, teure Sessel und ein Glastisch. Biggy würde lächeln, wenn Kadadus lächeln könnten. Iggy lächelt definitiv. So sieht Punk heute aus.

Instagram

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von Instagram angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von Instagram angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

"I don't want to be a punk. I just want to be." Das sind die letzten Sätze Iggy Pops in Jim Jarmuschs Film "Gimme Danger": Er sitzt vor einem Stapel Klamotten, mal nicht oberkörperfrei, und wird von seinem Freund Jarmusch verhört. Vom ersten Augenbrauenzucker an ist klar: Jarmuschs Tribut an die Stooges wird wahnsinnig unterhaltsam sein. Allerdings wäre es auch wahnsinnig unterhaltsam, wenn er Iggy Pop einfach nur drei Stunden vor einer weißen Wand beim Reden zeigen würde. Oder beim Abwaschen.

Pops schlaksige, abgefuckte Gestalt in goldenen Hotpants

Vielleicht wäre es eigentlich sogar interessanter, Iggy Pop drei Stunden beim Abwaschen zu beobachten, weil man dann etwas Neues zu sehen bekäme. Stattdessen sieht man hier, was man schon öfter gesehen hat: Pops schlaksige, abgefuckte Gestalt in goldenen Hotpants, die sich in die Menge wirft, von Bühnen fällt, auf Bühnen umfällt, einmal fällt sogar die Bühne als solche unter der Last des Derwischs in sich zusammen (davon gibt es leider kein Videomaterial). Nichts, was nicht schon in irgendeinem Rocklexikon von 1975 steht. Bewegungsabläufe, die seitdem so oft wiederholt wurden, dass sie ins Punk-Normativ eingeschrieben sind. "Schatz, bei Minute 12 zerschlägst du deine Gitarre und ziehst mir eine Flasche über den Kopf, ja?" Die Geburt des Klischees in seiner ganzen mitreißenden, belebenden, lächerlichen Kraft.

Eine der größten Schwächen von Filmen, in denen Drogen vorkommen, ist oft der Versuch, die Erfahrung aus der Sicht des Drogennehmenden darzustellen. Es ist verlockend - und schwer -, eine chemisch veränderte Wahrnehmung adäquat in den Grenzen einer nüchternen darzustellen, zumal in 2D. Gaspar Nóe hat es versucht, Jarmusch versucht es hier in einer Szene, halb als Witz. Bei einem Konzert verzerrt sich Iggys Wahrnehmung wie die eines defekten Röhrenfernsehers. Erstaunlicherweise funktioniert es. Auch will der Film den anderen Bandmitgliedern Platz einräumen: Ron Asheton, Scott Asheton, Dave Alexander, James Williamson. Die meisten von ihnen sind inzwischen tot. Aber solange Iggy im Spiel ist, ist es schwer, sich auf sie zu konzentrieren. Wenn Jarmusch wirklich einen Film über die Stooges hätte machen wollen, in dem sie die volle Aufmerksamkeit erhalten, hätte er ihn wohl ohne Iggy Pop drehen müssen.

Iggy Pop
:Der erste Virtuose des Stage-Divings

Er ist der große Derwisch des Rock, der Punk-Pionier. Seine Auftritte waren die ganz großen Exzesse, was man dabei erlebte, war rohe Kraft. Jetzt wird Iggy Pop 70.

Von Jens-Christian Rabe

Der Musikjournalist Lester Bangs äußerte 1970 in seinem Essay "Of Pop and Pies and Fun" einen Wunsch, an dem sich dieser Film messen muss. "Ich wünschte, wir lebten in einem Zeitalter der Vernunft, in dem jedes klare Auge und jeder gesunde Verstand die Stooges für ihre offensichtlichen Verdienste schätzen würde (obwohl, zugegeben, in einer solchen Umgebung die Stooges nicht mehr nötig wären - wie William Burroughs in einem seiner luzideren Epigramme sagte, sie arbeiten daran, sich selbst obsolet zu machen)."

Gibt man ihm recht, gibt es zwei mögliche Szenarien: einmal, die Stooges haben ihre Mission erfüllt, sind also jetzt obsolet, und "Gimme Danger" ist ihr Epitaph. Zweite Möglichkeit: Die Stooges haben ihre Mission noch nicht erfüllt, weshalb sie zu Recht noch immer existieren.

Der entscheidende Punkt ist eigentlich der Kakadu

Oder: Der entscheidende Punkt ist eigentlich der Kakadu, der im Film gar nicht auftaucht. Denn darin weicht Iggy Pops Geschichte, und damit die der Stooges, von anderen ab: dass jemand, der sich in solcher Radikalität ausgedrückt hat, heiter und am Leben ist. Sich mit genug Ironie betrachtet, seinen Vogel "Biggy Pop" zu nennen - und für Autoversicherungen wirbt, ohne sich damit fühlbar untreu zu werden. "Die ultimative Ironie" sagte Iggy 2013 in einem Interview. "Stehe ich für Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit und vorbildliches Verhalten im Straßenverkehr?" Gegenfrage: Wer, wenn nicht er?

Iggys eigentliche Sprengkraft und zugleich das - es klingt paradox, aber ja: fast rührend Charmante an ihm - ist sein unbedingter, unglaublich glaubwürdiger Wille zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit. Man wird ihm nicht gerecht, wenn man ihn (nur) in der Traditionslinie des Punk sieht - er ist eine Ausnahmeerscheinung, die mit Punk nur bedingt etwas zu tun hat. Ein paar mehr dieser Abseitigkeiten hätten "Gimme Danger" sehr viel interessanter gemacht.

Gimme Danger , USA 2016 - Regie und Buch: Jim Jarmusch. Schnitt: Affonso Goncalves, Adam Kurnitz. Studiocanal, 108 Minuten.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: