Poesie:Die Quint-Essenz

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"Sonne, Mond und Abendstern" heißt das neue Schlafliederbuch, das Quint Buchholz und Dorothée Kreusch-Jacob veröffentlicht haben. (Foto: Quint Buchholz)

Der Illustrator Buchholz liebt die Ruhe und den Mond. Das sieht man auch einem neuen Liederbuch an.

Von Udo Watter, München

Manche Menschen sind im Mondlicht besonders trittsicher. Der Seiltänzer etwa, der seinen Fuß vom Hausdach aus in die Luft setzt und frei in den nächtlichen Himmel wandelt. "Giacomond" heißt dieses Bild von Quint Buchholz, das er 1984 im Alter von 27 Jahren malte, als Postkarten-Motiv ist es seither ein Dauerbrenner und Inspirationsquelle für Träumer auf der ganzen Welt.

An diesem Freitag feiert der Illustrator seinen 60. Geburtstag

Auch wenn der Illustrator und Buchautor, der diesen Freitag seinen 60. Geburtstag feiert, das Lebensgefühl von damals nicht mehr so hat ("Diesen Zauber der Unbefangenheit"), freut er sich über den anhaltenden Erfolg des Werkes: "Das ist ein großes Geschenk." Überhaupt: der Mond, die Nacht, die blaue Stunde, die ihn, den Meister der Blautöne, besonders anregt - das sind große Themen in seinen, von magischem Realismus geprägten Bildern. "Ich weiß, wie mondsüchtig er ist", sagt Dorothée Kreusch-Jacob augenzwinkernd. Die Schriftstellerin, Komponistin und Musikpädagogin, die wie Buchholz in Ottobrunn wohnt, trug sich schon lange mit dem Gedanken, ein großes Schlafliederbuch zu machen. Nach einer ersten Zusammenarbeit mit Buchholz konkretisierte sich der Wunsch: "Die Welt, die du da eingefangen hast, hat mich beflügelt", sagt sie zu ihm. "In deinen Bildern ist so viel Klang."

In dieser Woche nun ist ihr gemeinsames Werk "Sonne, Mond und Abendstern - das große Liederbuch zur Nacht" (Hanser-Verlag) erschienen. Auf 224 Seiten hat Kreusch-Jacob eine Vielzahl von Liedern, Gedichten und Geschichten versammelt, die das Einschlafritual begleiten können - und Buchholz hat das Werk mit mehr als 70 Abend- und Nachtbildern illustriert, die über einen Zeitraum von 34 Jahren entstanden sind. Etliche Bilder hat der bald 60-Jährige aber auch neu für dieses Buch gemalt. Dazu gehört "Nachtmusik", wo der riesige Schatten eines Geigers sich in der Dämmerung über Waldbuckel-Silhouetten erhebt, und innerhalb seiner Konturen Sterne und Mondsichel sichtbar macht. Daneben steht ein Text von Mascha Kaléko: "Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond." Diese Ambivalenz, die eben keine heile Welt propagiert, ist bezeichnend: Buchholz, der in seiner langen Karriere zahlreiche Bücher prominenter Autoren wie Jostein Gaarder ("Sofies Welt"), Stephen Hawking, Elke Heidenreich, Amos Oz und Friedrich Ani illustriert hat, aber auch selbst als Autor in Erscheinung tritt, ist zwar einer, der in seinen Kompositionen Räume der Ruhe und Geborgenheit schaffen will. Einer, der quasi mit leiser Feder Erzählpforten öffnet, der aber nie naiv oder gefällig ist - auch in Kinderbuch-Illustrationen nicht. "Wenn man von Schönheit erzählt, erzählt man immer auch von Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit", sagt der vielfach prämierte Künstler.

Quint Buchholz ist vor allem durch seine Illustrationen von mehr als 40 Büchern bekannt geworden, darunter Jostein Gaarders "Sofies Welt". Das Schlafliederbuch hat er mit Dorothee Kreusch-Jacob gestaltet. (Foto: Angelika Bardehle)

Gezielt zu irritieren oder die Erregungsmaschinerie des Kunstbetriebs zu bedienen, entspräche nicht dem feinsinnigen Charakter des in Stolberg geborenen Buchholz. "Ich wehre mich dagegen, dass es so ein Diktat des Immer-Aufregen-Müssens gibt. In heutigen Zeiten, in denen alles so beschleunigt ist, ist es wichtig, Inseln der Ruhe und des Bei-Uns-Seins zu schaffen."

In der gemeinsamen Affinität zu den leisen Seiten der Welt entfaltete sich auch die Zusammenarbeit mit Kreusch-Jacob besonders gut. Das neue Buch beinhaltet neben Eigenkompositionen der Autorin und Schlaf- und Gute-Nacht-Liedern aus diversen Ländern von ihr vertonte (Erwachsenen-)Gedichte und Texte. Zu den Autoren, die darin vorkommen, zählen Rilke, Ringelnatz, Morgenstern, Tolstoi, James Krüss, Michael Ende oder Mascha Kaléko.

Zu Texten von Rilke, Morgenstern und Kaléko fügen sich sanfte Melodien

In dieser Woche erscheint noch die dazugehörige CD mit 24 ausgewählten Gute-Nacht-Liedern (Argon Verlag). Sie wurden eingespielt von Dorothée Kreusch-Jacob, ihren erwachsenen Kindern und Enkeln, sowie begleitet unter anderem von Giora Feidmann und Klaus Doldinger. Für die Musikpädagogin ist in diesem Zusammenhang vor allem der Begriff der Resonanz wichtig, das gemeinsame Schwingen beim Gute-Nacht-Ritual zwischen Elternteil und Kindern ("Sie haben Seelenohren"): Die einfache Melodie, der gleichmäßige Rhythmus, der an den Herzschlag der Mutter vor der Geburt erinnert, das Schaukeln und Wiegen. Ein besonders schönes Lied ist das jiddische "Shlof main Fegele" das Quint Buchholz wunderbar illustriert hat: Da schlummert ein Kind zwischen den Flügeln eines großen Vogels, im Hintergrund spielt jemand auf einem Felsen Klarinette in der Dämmerung: Doppelt geborgen in Feder- und Klangbett. Schön auch sein Bild vom in offener Weite schlafenden Kind, das neben einem Teddybären liegt: vor der Kulisse einer Dämmerlandschaft, die gleichsam transzendentale Geborgenheit atmet.

Der Illustrator, der sein Atelier in München-Haidhausen hat, feiert seinen 60. Geburtstag nun doch größer als er ursprünglich vorhatte: "Ich empfinde das Älterwerden nicht als bedrückend. Ich habe noch so viele Pläne. Ich bin jetzt mehr bei mir und gelassener" - das kann er im Moment auch insofern gut gebrauchen, als es gerade eine öffentliche Plagiatsaffäre um ihn und den Südkoreaner Jungho Lee gibt, der seinen Stil auffällig imitiert.

Buchholz, der seinen internationalen Durchbruch 1993 mit der Gestaltung des Buchcovers zu "Sofies Welt" schaffte, blickt mit Dankbarkeit auf die vergangenen Jahrzehnte zurück. Der Text von Hilde Domin, der sein populärstes Bild, den Seiltänzer "Giacomond", im Buch flankiert, ist so kurz wie poetisch: "Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug."

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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