Plattenkabinett:Zu viel Sex ist auch keine Lösung

Tokio Hotel sind jetzt echte Männer. Deswegen gibt es sexuell aufgeladene Cover und Videos. Das Problem ist nur: Sie klingen immer noch wie eine Teenie-Band. Und die Fans von einst sind erwachsen geworden. Neue Alben im Plattenkabinett, der Musik-Kolumne von SZ.de

Von Felix Reek

Das ist es nun also, das neue Album von Tokio Hotel. Das Album, mit dem sie allen beweisen wollen: Wir sind erwachsen, wir sind ernstzunehmende Künstler. Wie gelingt das am besten? Natürlich, mit Sex.

Auf dem Cover der neuen Single "Love Who Loves You Back" ist eine Computermaus als Vulva inszeniert, im dazugehörigen Video knutscht sich Sänger Bill Kaulitz durch einen Club, Männer, Frauen, egal. Die Botschaft ist klar: Bill ist eine geile Sau und jeder will ihm an die Wäsche. Das hat schließlich auch schon bei Miley Cyrus geklappt.

Der kalkulierte Aufschrei funktionierte natürlich. Tokio Hotel sind auf einmal wieder überall. Von der FAZ bis zur Bravo - jeder berichtet über die einstige Teenie-Sensation. Doch wie das eben so ist mit Sex, Sex und noch mal Sex: Bei so vielen sich windenden Körpern interessiert sich niemand mehr für die Musik. Im Fall von Tokio Hotel ist das aber nicht weiter schlimm. Die meisten Songs von "Kings Of Suburbia" hat man schon vergessen, während man sie hört.

Das liegt zum einen daran, dass sich die vier Magdeburger vom deutschen Gesang vollkommen verabschiedet haben, zum anderen ist die Produktion von "Kings Of Suburbia" so aufgeblasen, dass das Album im Prinzip auch David Guetta mit einer E-Gitarre auf seinem iPad aufgenommen haben könnte.

Die erste Single "Love Who Loves You Back" ist so ein Stampfer, ebenso wie "Kings And Queens Of Suburbia", das klingt wie eine unheilvolle Mischung aus Duran Durans "Wild Boys" und Tears for Fears "Shout". Dummerweise ist die Version der vier Magdeburger kein Hit.

Das Verzweifelte der Pubertät schimmert noch durch

Tiefpunkt des Album ist aber "Girl Got A Gun", das jetzt schon Jennifer Lopez' "Booty" den Platz für den dämlichsten Refrain des Jahres streitig macht: "Girl got a gun girl got a gun gun gun, girl got a gun, girl got a gun bang bang." Dafür hätte man der deutschen Sprache nicht den Rücken kehren müssen.

Zu dem spannungsarmen Techno-Rock, der das Album dominiert, gibt es eine Handvoll Balladen, die zeigen, dass Tokio Hotel nicht so erwachsen sind, wie sie sich offenbar fühlen. In "Run, Run, Run" wimmert Kaulitz herzzerreißend zum Piano, "Invaded" trieft vor Pathos. Das Video dazu kann nur so aussehen: Bill mit ausgestreckten Armen auf einem Berggipfel, Bill in Fötusstellung in einem zerwühlten Kingsize-Bett, Bill starrt bewegungslos in einer tanzenden Menge direkt in die Kamera.

In diesen Momenten schimmert in seiner Stimme noch immer das Verzweifelte der Pubertät durch. Das Problem ist nur: Im Gegensatz zu Tokio Hotel sind die Teenager von damals erwachsen geworden.

Dieses Lied muss auf mein nächstes Mixtape drauf: "Girl Got A Gun". Dämlich, aber leider ein Ohrwurm.

Wenn das Album ein Selfie wäre ... Hätten die Kaulitz-Brüder ein 24-Fototeam gebucht. Die nach acht Stunden Shooting dafür sorgen, dass es wie ein Smartphone-Schnappschuss aussieht.

Wo hört man das Album am besten? Auf der anderen Seite einer schalldichten Kabine.

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