Ausstellung "Mondrian. Evolution" in Düsseldorf:Fundament der Dinge

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Manhattan muss Mondrian wie das realweltliche Pendant zu seinem Programm der Abstrahierung vorgekommen sein: "New York City 1" (1941). (Foto: Mondrian/Holtzman Trust, c/o Beeldrecht, Amsterdam/Kunstsammlung NRW)

Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf zeigt eine große Retrospektive des abstrakten Meisters Piet Mondrian.

Von Kito Nedo

Piet Mondrian war 68 Jahre alt, als er auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung von Europa in die USA emigrierte. Im Oktober 1940 traf der Künstler mit einem Passagierschiff voller Emigranten in New York ein. In den rund drei Jahren bis zu seinem Tod 1944 produzierte der niederländische Maler dort einige seiner berühmtesten Werke. Eines dieser Bilder, "New York City 1" von 1941, gehört seit Jahren zu den Paradestücken der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Dort wird nun anlässlich des 150. Geburtstags des 1872 in der Nähe von Utrecht geborenen Meisters der Abstraktion mit "Mondrian. Evolution" eine groß angelegte Retrospektive gezeigt.

"New York City 1" ist das jüngste Werk in der Schau, und auch dasjenige, das zur Ausstellungseröffnung Ende Oktober im doch recht routinierten Umgang mit dem Erbe der Moderne noch einmal für ein wenig Aufregung sorgte. Denn der Kunsthistorikerin Susanne Meyer-Büser, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Kathrin Beßen die Düsseldorfer Ausstellung kuratierte, war während der Vorbereitungen auf eine wenige Tage nach Mondrians Tod aufgenommene Fotografie von 1944 aufmerksam geworden, die das Bild in Mondrians Atelier auf einer Staffelei zeigt - allerdings auf dem Kopf stehend. Bestimmte Indizien, wie etwa die Art und Weise, wie die von Mondrian verwendeten Klebestreifen auf der Leinwand fixiert sind, legen die Vermutung nahe, dass das Gemälde seit seiner ersten Präsentation 1945 im New Yorker Museum of Modern Art falsch herum gezeigt und reproduziert wird.

Vielleicht gebe es auch "überhaupt keine richtige oder falsche Ausrichtung" heißt es nun salomonisch von den Kuratoren. Wer könnte schon genau sagen, wie herum Mondrian an dem Werk arbeitete und ob er es vielleicht selbst immer wieder drehte. Anders herumgedreht wird "New York City 1" aus konservatorischen Gründen aber nicht mehr. Das müssen die Besucher in Düsseldorf nun mit ihren Mobiltelefonen erledigen oder mit den Köpfen versuchen.

Das Straßenraster Manhattans schiebt sich über die Rasterbilder Mondrians

Wie herum man das Bild auch betrachtet: Die Kraft der modernistischen Komposition, die ihre Energie für das Spiel mit der räumlichen Wahrnehmung aus dem Verhältnis von Fläche, Farbe und Linie zieht, schlägt noch immer unmittelbar auf ihre Betrachter durch. Zehn horizontale und vierzehn vertikale rote, blaue, gelbe und schwarze Streifen zog der Maler im rechten Winkel und in unterschiedlichen Abständen über die Leinwand. Mit konzentriertem Einsatz erzielt Mondrian maximale Wirkung. Trotz der Flachheit erscheint das Bild wie ein abstrakter futuristischer Raum. Manhattan mit seinem rechtwinkligen Straßennetz muss dem europäischen Künstler-Emigranten, der 20 Jahre zuvor in Paris mit seinem 90-Grad-Winkel-Manifest den "Neoplastizismus" und die "Neue Gestaltung" ausgerufen hatte, wie das realweltliche Pendant zu seinem durchgeistigten und streng ästhetischen Programm der Abstrahierung vorgekommen sein. Dieser Konvergenzmoment im Spätwerk Mondrians ist einmalig. Auf nahezu magische Weise schiebt sich das Straßenraster der Idealstadt Manhattans über die Rasterbilder der Idealkunst Mondrians.

Steht man jedoch näher vor der Leinwand, verflüchtigt sich die ästhetisch-minimalistische Strenge. Dann bietet "New York City 1" einen überraschenden Einblick in die fragile Produktionsweise des Künstlers. Man erkennt, dass Mondrian vor dem Malen mit farbigen Papierklebebändern experimentierte, die anschließend durch Ölfarbe ersetzt wurden. Die teilweise noch mit Reißzwecken im Keilrahmen fixierten Klebstreifen verraten, dass der Künstler "New York City 1" nie fertigstellte.

Mit rund 90 Bildern aus privaten und öffentlichen Sammlungen in Europa und den USA wird Mondrians Gesamtwerk in Düsseldorf wie ein Entwicklungsroman erzählt. Auch das vor-abstrakte Werk kommt zu seinem Recht. Mondrian wird also nicht nur als die bekannte Leitfigur der Moderne mit seinen ikonischen Abstraktionen sichtbar, sondern endlich auch als Produzent eines komplexen Werkes, das sich über Jahrzehnte aus der fortwährenden Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Bildermachens, der Wahrnehmung und den Verhältnissen von Farben, Licht und Raum entwickelte.

Bevor er zum Meister der Abstraktion wurde, malte Mondrian Windmühlen und Landschaften

Mondrian begann Ende des 19. Jahrhunderts als "realistischer" Maler und war geprägt von der traditionellen niederländischen Landschaftsmalerei, bevor er sich, beeinflusst unter anderem von der Kunst Vincent van Goghs, dem Licht, der Farbe und einem freieren Pinselstrich zuwendete und sich anschließend immer weiter in die Abstraktion vorarbeitete.

Der weniger bekannte Mondrian: "Mühle; Mühle bei Sonnenschein" (1908). (Foto: Gemeentemuseum Den Haag)

Immer wieder werden in Düsseldorf die Natur und die Landschaft als zentrale Bezugspunkte des Künstlers deutlich, wie etwa bei "Mühle; Mühle bei Sonnenschein" von 1908. Mondrian interpretierte das beliebte niederländische Landschafts- und Kachelmotiv in Rot und Blau. Die Mühle und ihre Umgebung glüht wie in einem psychedelischen Traum. Als das Bild 1909 im Amsterdamer Stedelijk-Museum ausgestellt wurde, sorgte es für Diskussionen. Kritiker warfen Mondrian sogar vor, er sei durchgedreht und dekadent.

Später wurde Mondrians Palette wieder gedämpfter, Grau- und Ockertöne bestimmen seine Bilder. Der Künstler, der 1911 nach Paris übersiedelte, wendete sich zunehmend den dekonstruktiven Verfahren des Kubismus zu. Schon 1914 formuliert der Maler in einem programmatischen Brief, er wolle über das Studium der Natur "der Wahrheit so nahe wie möglich kommen und darum alles abstrahieren, bis ich ans Fundament (immer noch ein äußeres Fundament!) der Dinge gelange". In den Zwanzigern und Dreißigern produzierte Mondrian diesem Programm entsprechend jene radikal-abstrakten Bilder, die Kunstgeschichte schrieben.

Ein wenig unterbelichtet in der Schau bleibt der Einfluss Rudolf Steiners auf Mondrian. Der Maler las Steiners Schriften und besuchte sogar dessen Vorträge. Wie sehr schwangen Mondrian und Steiner auf der gleichen Welle? Und wie passt das zum vermeintlichen rationalen Kern der Moderne? Mondrian jedenfalls war überzeugt, dass der von ihm entworfene Neoplastizismus das ästhetische Pendant zu Steiners Anthroposophie bildete. 1921 schickte er ein Exemplar seiner 1920 erschienen Schrift "Le néo-plasticisme" von Paris nach Dornach. In der Schweiz stießen die theoretischen Avancen des Malers aber offenbar auf wenig Gegenliebe. Eine Antwort Steiners ist nicht überliefert. Als moderner Prophet war sich Steiner vermutlich einfach selbst genug.

Mondrian. Evolution. K20, Kunstsammlung NRW, Düsseldorf. Bis 20. Februar. Der Katalog kostet 54 Euro.

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