Pegida-Demonstration in Dresden:Die nützlichen Idioten

Demo der Anti-Islam-Bewegung Pegida in Dresden

"Die Stimmung hat etwas von einem Männertagsausflug im Winter." Ingo Schulze über die Pegida-Demonstration am 12. Januar in Dresden.

(Foto: Arno Burgi/dpa)

Für die regierenden Parteien sind die Anhänger von Pegida eine bequeme Opposition - denn die eigentlichen Fragen werden von ihnen nicht gestellt. Selbst Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel spricht nur von einem Schlagersänger.

Von Ingo Schulze

Wenn ich nicht wüsste, dass Pegida "Patriotische Europäer gegen (die) Islamisierung des Abendlandes" bedeuten soll und ich stattdessen wüsste, dass Pegida auf die Vornamen von drei politisch engagierten Freundinnen anspiele (Petra, Gisela, Dagmar), die Montag für Montag eine Demonstration organisierten - ich wäre voller Sympathie und Interesse und würde hingehen. Denn auf die Frage, warum wir in Deutschland nicht viel häufiger auf die Straße gehen, habe ich keine Antwort.

Als ich mich am 12. Januar kurz nach 18 Uhr in warmer Kleidung dem Sammelpunkt nähere, bin ich irritiert. Die Stimmung hat etwas von einem Männertagsausflug im Winter. Ich sehe tatsächlich fast nur Männer, die meisten sind noch älter als ich. Die Jugend, sagt vorwurfsvoll einer der Alten, habe noch nicht kapiert, dass es ja hier um ihre Zukunft gehe. Immer mehr Fahnen werden herangetragen, Deutschland-Fahnen und die Fahnen der Bundesländer.

Auf einem Plakat steht: "Lieber heute aufrecht für Pegida als morgen auf Knien gen Mekka". Ihre Sorgen möchte ich haben, würde ich am liebsten sagen. Als der erste Sprecher zu reden beginnt, setzt schon bald nach den ersten Sätzen ein Sprechchor ein: "Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!"

Sofort wird "Lügenpresse!" skandiert

Mir fiel es schon im Oktober 1989 schwer, in Sprechchöre einzustimmen. Wenn der Redner etwas sagt, was der Chor missbilligt, gibt es "Pfui!"-Rufe, lobt er etwas ("Dresden zeigt, wie's gemacht wird!"), beginnen gleich wieder die "Wir sind das Volk!"-Rufe. Sie machen mir eine Gänsehaut. Ist es die Heiterkeit, die fehlt, die Offenheit, die es 1989 trotz der Angst gab? Als der Wind wieder die Deutschland-Fahnen flattern lässt und aus den Lautsprechern die Wörter Volk und Heimat scheppern, begreife ich mit einem Mal, dass ich die ganze Atmosphäre schon kenne!

Aber woher nur? Ja, so war es schon Ende 1989, und dann vor allem 1990, als die einen immer noch riefen: "Wir sind das Volk!", aber die anderen, die dann die Wahlen gewannen, riefen: "Wir sind ein Volk!". Ich würde gern mit Petra, Gisela und Dagmar reden. Ich würde ihnen gern sagen, dass hier etwas falsch läuft.

Dann höre ich den Forderungen zu, die bisher von der Presse, so sagt der Redner, nicht zur Kenntnis genommen worden seien. Sofort skandieren Tausende: "Lügenpresse! Lügenpresse!" Dann wieder der Redner. Erstens: qualitative Zuwanderung statt quantitativer, zweitens: Integrationspflicht für Ausländer, drittens: keine Einreise mehr für Dschihadisten, viertens: Volksentscheide, fünftens: ein gutes Verhältnis zu Russland, sechstens: mehr Geld für die Polizei.

Herzliche Muslime sollen mitgebracht werden

Ich wundere mich über den Applaus und die Bravo-Rufe. Petra, Gisela, Dagmar, möchte ich sagen, das geht doch so nicht. Qualitative Einwanderung bedeutet, andere Länder bezahlen die Ausbildung unserer Spezialisten. An die Gesetze müssen sich alle halten, aber eine Integrationspflicht verstößt gegen das Grundgesetz. Dschihadisten müssen schon längst mit Verhaftung rechnen. Und Volksentscheide werden nicht erst seit heute gefordert. Und dafür, dass die Berichterstattung in Sachen Russland einseitig war, gibt es immerhin Entschuldigungen . . .

Aber wie kommt es, möchte ich Petra, Gisela und Dagmar fragen, dass diese sechs Punkte Woche für Woche so viele Menschen mobilisieren? Der Redner spricht von der Angst vor "Überfremdung" und zugleich fordert er die Demonstranten auf, am folgenden Montag "integrationswillige und sogar herzliche Muslime", die ja fast jeder kenne, mitzubringen. Aber, Petra, ob sich das die herzlichen Muslime auch trauen?

Und wenn deren Ehefrau und ihre Töchter Kopftücher tragen, was dann, Gisela? Und wenn ich schon mal beim Fragen bin, Dagmar, es kann doch nicht sein, dass es diese sechs Punkte sind, weshalb die Demonstranten hier so enthusiastisch und so empört sind. Einige sagen selbst, diese Forderungen seien keine Basis zum Weitermachen. Aber man weiß wohl selbst nicht recht, was man fordern soll. Neuwahlen? Einer sagt: "Immer denke ich, am nächsten Montag tue ich mir das hier nicht an, aber spätestens am Mittwoch habe ich schon wieder so viel Wut, dass ich es kaum erwarten kann."

Dann spricht "unsere liebe Kathrin", die Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel. Ich erwarte, dass sie jetzt deutlich werden wird. Sie wird jetzt das sagen, was ihr Vorredner versäumt hat und weshalb wir alle hier sind: Sie wird davon sprechen, dass mit dem Ausbruch der Finanz- und Bankenkrise im September 2008 offensichtlich wurde, dass das Gemeinwesen die Geisel jener ist, die jahrelang exorbitante Gewinne eingesteckt haben und einstecken.

Gleich wird sie sagen, dass die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft Existenzängste schürt, die Polarisierung der Welt in Arm und Reich jede Minute Menschen sterben lässt. Kathrin wird sagen, dass die sogenannten Freihandelsabkommen der EU mit den USA und Kanada (TTIP und Ceta) wie auch ähnliche Abkommen die Widersprüche zeichenhaft bündeln und eine nicht hinnehmbare Überantwortung von politischer und rechtsstaatlicher Souveränität an Konzerne bedeutet, ein erneutes Einknicken der Politik vor jenen, die den eigenen Profit über alles stellen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: