Weihnachtsdekoration:Learning from Passau

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Inzwischen wurde die illegale Weihnachtsdekoration aus der Passauer Innenstadt entfernt. Unter Protest und trotz Unterschriftenaktion. (Foto: Hubert Jakob Denk)
  • In Passau ist eine heftig umstrittene "Hüttenzauber"-Weihnachtsdekoration abgerissen worden.
  • Der Protest gegen die Aktion ist durchaus nachvollziehbar: Immerhin hat man damit - wie so oft - der Stadt-Erzählung ihren Möglichkeitsraum genommen.

Von Gerhard Matzig

"Frieden, Frieden, Frieden" flüstert der Weihnachtsengel. In Heinrich Bölls Erzählung "Nicht nur zur Weihnachtszeit" kann er dennoch nicht verhindern, dass sich der Amok einer Familie am weihnachtlichen Dekodelirium entzündet. Was übrigens ganz aktuell auch für die Stadt Passau gilt. Insofern darf man der grandios an Donau, Inn und Ilz gelegenen Dreiflüsse-Schönheit im Osten Bayerns nicht nur einen Hang zu literarischer Fiktion und stadträumlicher Anmut attestieren - sondern auch die Neigung zum Irresein. Passau ist offensichtlich verrückt geworden. Man wünscht der Stadt: Frieden, Frieden - und geistige Gesundheit.

Auch die zuletzt fast 4000 gesammelten Unterschriften und der in Onlineforen versammelte Antibürokratismus-Furor einer tiradenhaft gestimmten Bevölkerung ("engstirnig", "kleingeistig", "dumm", "herzlos") konnten die am Dienstag durchgesetzte Abrissaktion nicht verhindern. Der seit einiger Zeit heftig umstrittene "Hüttenzauber" wurde in wenigen Stunden entsorgt. Entzaubert sozusagen.

Es handelte sich um die temporäre Verwandlung einer innerstädtisch prominent gelegenen Geschäftshausfassade in, sagen wir, eine so weihnachtsartig empfundene wie mutmaßlich alpin gemeinte Drapierkunst. Was indessen ein hölzernes Wagenrad, das man sich auch für den Retrowestern oder für den Mittelaltermarkt vorstellen könnte, mit dem tapentenweise herbeizitierten Bergidyll zu tun haben soll: geschenkt. Denn Hirschgeweihe, Heuballen, Schlitten, Glöckchen, Herzchen, Päckchen und das sonstige watteweiche Gemüt-Dekorum weisen hier über eine mögliche Stilkritik hinaus. Das letztlich als illegal eingestufte Zubehör einer Verkleidung erzählt nun, da die Entkleidung amtlich verfügt wurde, vor allem von der nackten gesellschaftlichen Sehnsucht dahinter und darunter. Und natürlich auch davon, dass der Nachbarschaftsstreit zu den größten deutschen Leidenschaften zählt.

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In diesem Fall war es so, dass das inkriminierte Fassadenimitat nicht nur aus Heuballen bestand - sondern auch aus raumgreifender Architektur, die zugleich einen Eingriff in den Städtebau darstellt. Die Initiatorin der weihnachtlichen Verhübschung, die, wäre man übellaunig, auch als Verkitschung gelten könnte, hatte eine hölzerne Kolonnade auf ganzer Breite vor das Haus stellen lassen. Zwar nicht ganz so groß wie der Säulengang am Petersplatz in Rom - aber doch 40 Quadratmeter in den Stadtraum ragend, sodass sich einige benachbarte Einzelhändler und Gastronomen sorgten, ob die Laufkundschaft noch unfallfrei und orientiert von A nach B laufen und also auch in ihre Konsumhallen finden könne. Zudem gab es für die Kolonnade, die mehr nach Pullman City als nach Petersdom oder Hüttenzauber aussah, auch keine Genehmigung. Ohne Genehmigung aber gibt es kein Leben in einem Deutschland, dessen Baurecht so absurd komplex ist, dass es vor allem die Gerichte beschäftigt.

Wobei man es, um hier die Komplexität der Interessenlage noch einmal zu steigern, eigentlich auch absurd finden kann, wenn ein paar zusammengetackerte Holzlatten, die für absehbar wenige Tage das arithmetische Mittel aus adventlicher Konsumneigung und ebenso adventlicher Innerlichkeit befeuern sollen, gleich tausendfach gegen Abrissaggressionen verteidigt werden; während gleichzeitig in Deutschland alle möglichen Denkmale vor sich hin gammeln oder gleich plattgemacht werden - was leider nur selten zu Unterschriftenaktionen, Empörung und Medienberichterstattung führt.

Ist Passau denn nun eine Ente oder gar ein Schuppen? Vermutlich beides

Wenn man den Streit um den Hüttenzauber aber nicht als Posse und Passau nicht als Schilda abtun will, dann muss hinter dem Aufruhr noch etwas anderes stecken. Das bayerische Dekodesaster muss noch einen Hinweis anderer Art beinhalten. Möglicherweise bringt einen ja die Theorie vom "dekorierten Schuppen" auf die richtige Spur.

Sie stammt von Robert Venturi, einem der wichtigsten Architekturtheoretiker der Gegenwart, der vor wenigen Wochen gestorben ist. Er hatte zusammen mit Denise Scott Brown Anfang der Siebzigerjahre die Schrift "Learning from Las Vegas" verfasst. Darin werden Häuser als "Enten" oder "dekorierte Schuppen" beschrieben. Mit Enten sind Architekturen gemeint, die nur für sich selbst stehen: als gebaute Symbole. Eben genau so wie gewisse Entenbratereien in den USA, deren Gebäude weithin sichtbar in Entengestalt für den Inhalt werben. Eine Tankstelle wäre insofern eine Ente. Allerdings gilt das auch für den Kölner Dom. Dagegen ist der dekorierte Schuppen, dem Scott Browns und Venturis Sympathien galten, ein "normales schützendes Gehäuse, das Symbole verwendet". Für die beiden Theoretiker ist etwa der italienische Palazzo ein Beispiel für den dekorierten Schuppen, bei dem die Körpersprache von der Zeichensprache überlagert wird.

Doch die Moderne mit ihrem pathologischen Hass auf alles, was Ornament oder Zeichen ist, liebt Enten: Der Funktionalismus hat das Haus als Raum gewordenes Symbol seiner selbst über das Haus als Bedeutungsträger gestellt. Vielleicht ist also dies in Passau geschehen: Mit dem Abriss der Dekoschicht hat man nicht nur dem Haus seinen nachbarlich ärgerlichen, behördlich unerlaubten und von der Feuerwehr beargwöhnten Kitsch, sondern auch der Stadt-Erzählung ihren Möglichkeitsraum genommen. Zuvor aber hatte man paradoxerweise aus einem normal schmuckvollen Haus, dem dekorierten Schuppen, eine überdekorierte Ente gemacht, wie sie gut in die Gegenwart passt: Hüttenzauber, Westernstadt und Ramsch-Rebellion in einem. Venturi hätte solche Paradoxie gefallen. Er mochte, wie Manfred Sack schrieb, "vermurkste Lebendigkeit" lieber als "langweilige Einheitlichkeit".

Wer die allerorten weihnachtlich umfrisierten Innenstädte studiert, der begreift, dass darin nicht nur zeitlich limitiert die Glühweinplörre wabert, sondern auch die Sehnsucht nach den Bühnen städtischen Lebens jenseits der Entsagungsordnungen wohnt. Nicht nur zur Weihnachtszeit und nicht nur in Passau. Schön war der Hüttenzauber dort nicht. Aber zauberhaft ist der Skandal schon.

© SZ vom 14.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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