Ukrainisches Tagebuch (XVIII):Die Symbole des Feindes

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Oxana Matiychuk arbeitet an der Universität von Tscherniwzi (Czernowitz) im Westen der Ukraine. (Foto: Universität Augsburg/Imago/Bearbeitung:SZ)

Sprachen, Kultur und Glaube der beiden Kriegsländer sind eng verbunden: das ukrainische Tagebuch.

Gastbeitrag von Oxana Matiychuk

"Ich habe das Gefühl, ich benutze die Sprache des Feindes", sagt der russischsprachige Schriftsteller Andrij Kurkow aus Kiew in einem Interview. Einer der meist übersetzten gegenwärtigen Schriftsteller aus der Ukraine. Sein Russisch als Werksprache ist wohl auch einer der Erfolgsfaktoren. Übersetzerinnen und Übersetzer aus dem Russischen gibt es viele, die aus dem Ukrainischen sind in westeuropäischen Ländern eher Exoten, genauer gesagt, Exotinnen, denn beinahe alles Frauen. Immerhin schaffte die Ukraine es endlich, 2020 den Drahoman-Preis für Übersetzungen aus dem Ukrainischen zu gründen und 2021 die Deutsche Claudia Dathe damit als Erste zu würdigen. Wenn man Kurkows Aussage - zugegeben etwas drastisch - abwandeln würde, so könnte man das mit den Sprachen auch so formulieren, wie dies in Bezug auf die deutschsprachige jüdische Literatur aus der Bukowina (was aber nicht nur für die gilt) getan wurde: Er könnte auch das Gefühl haben, "in der Sprache der Mörder" zu schreiben.

Kurkow wäre damit nicht allein als Schriftsteller. Darüber hinaus könnten jetzt Millionen russischsprachige Ukrainerinnen und Ukrainer das gleiche Gefühl haben, eine gemeinsame Sprache mit ihren Mördern zu teilen. Ob das für einige ein Trauma ist, vermag ich nicht einzuschätzen, vielleicht könnte die Wissenschaft das später zum Forschungsgegenstand machen. Die Forderung danach, Ukrainisch zu sprechen, um sich zu positionieren, ist in sozialen Medien, aber auch im öffentlichen Diskurs sehr vehement. Zu Recht. Es ist wichtig, vor allem in der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen, indem man Ukrainisch spricht. Dennoch werden die russische Sprache und der russischsprachige Erbe weiterhin zur Ukraine gehören.

Zugehörigkeit zur Kulturszene garantiert keine Immunität gegen den Imperialismus und Chauvinismus

Ich wünsche mir sehr, dass wir einen differenzierten Umgang damit finden und uns klarmachen, dass "russischsprachig" lange nicht "russlandaffin" bedeutet, dass "ukrainisches Russisch" anders gedacht, gesprochen und wahrgenommen wird. Putin täuscht sich gewaltig, wenn er abermals beteuert, die "russische Welt" ist überall dort, wo Russisch gesprochen wird. Dieser Krieg zeigte es mit ganzer dramatischer Deutlichkeit. Nur in der parallelen Realität des russischen Neoimperialismus ist es nicht angekommen.

Professor Petro Rychlo erklärt in seinem Interview für die FAZ sehr überzeugend, wie mir scheint, warum viele große russische Schriftsteller, übrigens auch die nach Westen geflüchteten Dissidenten, gegenüber der ukrainischen Kultur chauvinistisch eingestellt waren. Das gilt nicht nur für Schreibende. Die Annahme, die Zugehörigkeit zur Kulturszene würde automatisch eine Immunität gegen den Imperialismus und Chauvinismus bedeuten, ist längst nicht haltbar. Merkwürdigerweise wird das Interview mit einem Foto des Puschkin-Denkmals auf der Halbinsel Krim illustriert. Ich fände, das Foto des Puschkin-Denkmals in Tscherniwzi (Czernowitz) würde viel authentischer wirken, es steht doch immer noch im Hof einer Berufsschule. Bin gespannt, was damit passiert, immerhin wurden in der Stadt nach dem Kriegsbeginn einige "Kultursymbole" entfernt - so der sowjetische Nikitin-Panzer in der Bahnhofsnähe sowie zwei Sterne in der sogenannten Sternenallee auf dem Theaterplatz.

Die Sternenallee wurde 2000 errichtet - mit dem Gedanken, bedeutende aus der Region stammende Kulturschaffende zu ehren. Die in den Boden eingearbeiteten Sterne tragen Namen, nun sind es zwei weniger. Die der Sängerin Ani Lorak und des Sängers Wassyl Herello zeigen gähnende Löcher. Lorak und Herello leben seit Jahren in Russland und erfreuen das russische Publikum mit ihrem Talent, vermutlich gegen gute Honorare und vermutlich aus Überzeugung. Obwohl man bei Lorak das nicht so genau weiß. Sie hat zwar eine gute starke Stimme, allerdings dienen ihrer Intelligenzverstärkung anscheinend lediglich die Eingriffe der plastischen Chirurgen. Herello hatte sogar die Ehre, auf dem Konzert anlässlich des Jahrestages der Einverleibung der Krim im Februar dieses Jahres aufzutreten. Ich denke, die Kulturabteilung der Stadt sollte in der Zukunft über die Sternevergabe generell sorgfältiger entscheiden.

Eine riesengroße Kirche, die der Basilius-Kathedrale in Moskau ähnelt, dominiert die ländliche Landschaft

Durch Zufall kommt vor einigen Tagen der Kontakt zu E. wieder zustande - der Gemeindevorsteherin im Dorf Bila Krynyzja (rumänisch: Fântâna Albă, ins Deutsche übersetzt: Weißer Brunnen). Der kleine Ort, der gerade noch einige Dutzend Menschen zählte, ist durchaus etwas Besonderes. Gegründet 1785 von den aus dem Russischen Reich geflüchteten Altgläubigen gilt er bis heute als der Hauptsitz der Christlichen Kirche vom Alten Ritus. Die in ihrer Heimat verfolgten Lipowaner konnten in einem anderen, im österreichischen Reich, ihren Glauben frei leben (was für eine Ironie des Schicksals: ein kleiner Teil der nonkonformen russischen Welt flieht von der großen imperialistischen russischen Welt und findet in einer nichtrussischen Welt Zuflucht).

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Gastbeitrag von Oxana Matiychuk

Wer einmal im Dorf war, kennt den spektakulären Anblick: Eine riesengroße Kirche, die der Basilius-Kathedrale in Moskau ähnelt, ragt in den Himmel, dominiert die ländliche Landschaft. Die Gemeindevorsteherin, selbst keine Altgläubige, jedoch eine energische Frau mit viel Managementerfahrung, die sich für den Erhalt dieses einzigartigen Erbes einsetzt, sagt, sie hätten ebenfalls Flüchtlinge aufgenommen, etwa 40 Personen. Wo wohnen sie denn, will ich wissen. In den leerstehenden Häusern, es gibt leider so viele davon, nun werden sie wiederbelebt.

Ich biete E. von unseren Hilfsgütern an. Sie ist am Montag mit dem Auto in der Stadt unterwegs. Lebensmittel, Wasser und Windeln finden Platz im Kombi, wir vereinbaren, dass ich mich bei ihr melde, wenn neue Hilfslieferungen kommen. Ihr einziger Sohn sei übrigens an der Front, sagt sie und zeigt mir Fotos im Smartphone. Hier steht er in voller Kampfmontur abreisebereit, so sieht es in seinem vier Meter tiefen Schützengraben aus. Sie selber muss dauernd etwas tun, sagt sie, sonst würde sie von ständigen Gedanken und Sorgen erdrückt. Und sie engagiert sich - für ihre Gemeinde, aber auch für die Front.

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