Ukrainisches Tagebuch (XVII):Unendliche Sonnenfinsternis

Ukrainisches Tagebuch (XVII): Oxana Matiychuk ist Germanistin und arbeitet am Lehrstuhl für ausländische Literaturgeschichte, Literaturtheorie und slawische Philologie an der Universität Czernowitz im Westen der Ukraine.

Oxana Matiychuk ist Germanistin und arbeitet am Lehrstuhl für ausländische Literaturgeschichte, Literaturtheorie und slawische Philologie an der Universität Czernowitz im Westen der Ukraine.

(Foto: Universität Augsburg/Imago/Bearbeitung:SZ)

Spenden aus Sindelfingen, Schaschlik-Pläne und einer Frau, bei der man nicht Nein sagen kann: Das Tagebuch aus der Ukraine.

Gastbeitrag von Oxana Matiychuk

Der Sonntagmorgen, 27. März 2022, beginnt für meine vier Kollegen, den Universitätsfahrer und mich ziemlich früh. Wir müssen um neun Uhr an der Grenze sein, ein Professor von der Partnerhochschule PH Ludwigsburg fährt mit zwei weiteren Personen extra zwei Tage lang zu uns, um die Sachspenden zu überbringen. Alle "Jungs" und ich sind pünktlich am Treffpunkt, trotz der Zeitumstellung. Kurz vor der Grenze ruft der Professor an, der Kollege S. ahnt schon, worum es gehen wird: Die Deutschen haben keine Reisepässe mit, nur ID-Karten, nur reichen diese nicht aus, sobald sie das rumänische Hoheitsgebiet und somit die EU verlassen. Die EU-Sorglosigkeit, wir kennen das schon.

Statt bei dem Studentenaustausch trifft man sich auf dem Parkplatz

S. erklärt dem ukrainischen Grenzpolizisten, es seien unsere Freunde von einer Partneruniversität, sie sind mit einer offiziellen Mission unterwegs, sie werden gar nicht in die Ukraine einreisen, wir laden nur um - im sogenannten neutralen Grenzbereich. Der Grenzpolizist ist sehr kulant, das ist keine Selbstverständlichkeit. Kurz danach ein freudiges Wiedersehen auf dem Parkplatz. So trifft man sich wieder. Ein geplanter Studentenaustausch 2020 kam wegen der Pandemie nicht zustande, ein Austausch wie heute war nie geplant ... Pakete, Kisten und Tüten werden schnell umgeladen. Ein Karton berührt uns ganz besonders: Er ist gepackt von Schülerinnen und Schülern der Realschule Sindelfingen, geschmückt mit Papierherzchen und beschriftet auf Ukrainisch und Englisch: "Wir beten für euch", "Ich hoffe, ihr schafft das", "You are not alone". Dass wir nicht allein sind, ist uns seit dem ersten Kriegstag bewusst, dieses Gefühl gibt uns unglaublich viel Kraft und Hoffnung in dieser Zeit der "unendlichen Sonnenfinsternis" (ich zitiere mal "meine" Rose Ausländer). Wir unterhalten uns eine Viertelstunde noch, der Wind ist eisig und lässt uns keine Chance für ein längeres Gespräch. Eine Umarmung und das Versprechen, beim nächsten Mal gemeinsam Schaschlik zu machen und zu feiern, nicht im Grenzbereich.

Im Wohnheim wird sortiert, einiges bleibt für Menschen, die in den Wohnheimen leben, ein anderer Teil geht nach Kiew, ein paar Kisten werden für Bilhorod-Dnistrowskyj in der Region Odessa gepackt.

Den nächsten Morgen werden wir genauso beginnen: Aus dem rumänischen Iaşi kommt eine größere Lieferung mit Babyartikeln und 880 Dosen Insulin. Ich schreibe ein paar Studierende an, die sich einbringen wollten. Zwei melden sich sofort zurück, wir können auf sie zählen.

Unterdessen stelle ich fest, dass mich - uns - auch wieder andere Dinge einholen als dieser Marathon mit der humanitären Hilfe. Kulturangelegenheiten fordern ihren Tribut sozusagen. Die dreisprachige Anthologie "Mikrolithen: Jenseits von Celan", die das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas und unser Kulturverein vor dem 24. Februar fast druckfertig hatten und es nur noch darum ging, ein paar kleine Fehler zu berichtigen, ist von unseren Illustratoren fertiggestellt. Das Problem allerdings: Wir wollten sie im Czernowitzer Verlag XXI publizieren, und dessen hochwertige Bücher wurden bisher in Charkiw gedruckt. Der Direktor schreibt mir, er bemühe sich nun, auch für andere geplante Bücher, um die Verträge mit den westukrainischen Druckereien, aber einfach sei das nicht. Und sein langfristiger Traum sei, Investoren für eine hochmoderne Druckerei in Czernowitz zu finden. Ich hoffe sehr, sein Traum könnte in Erfüllung gehen. Es wird sowieso einen gravierenden Wandel in allen Bereichen, auch in der Wirtschaft, landesweit geben.

Jetzt also geht unsere Kunst nach Ingolstadt und Stuttgart

Von der Künstlervereinigung Pictoric erreicht mich eine Mail, in der befreundete Illustratoren die Informationen zum aktuellen Kunstprojekt "Die Ukraine im Krieg" schicken. Bilder und Texte auf Englisch, die bereits an mehreren Orten in den europäischen Ländern ausgestellt werden, die elektronischen Dateien werden bei Interesse zur Verfügung gestellt. Ich schaue mir die Website an, einige Bilder finde ich sehr gut; die Informationen werden weiter an Bekannte und Institutionen in Deutschland und Österreich mit Bezug zur Kunst geschickt, nach zwei, drei Tagen kommen erste Rückmeldungen, das Theater Ingolstadt würde etwa 15 Bilder ausstellen, das Literaturhaus Stuttgart hätte Interesse. Ich freue mich und wünsche Bildern und Künstlern, dass sie ein breites Publikum finden.

Das Theater Bremen macht eine Solidaritätsveranstaltung, das Stadttheater Fürth plant ebenfalls eine Benefizveranstaltung, die Spenden davon gehen an uns. Mit einer Kollegin von der Literaturwissenschaft rede ich darüber, dass es schön wäre, mit diesem Geld ebenfalls etwas Theatermäßiges zu fördern. In Czernowitz halten sich einige junge Schauspielerinnen und Schauspieler aus anderen Städten auf, auch eine im Theatermilieu sehr bekannte Schriftstellerin, Dramaturgin und Übersetzerin, Neda Nezhdana, lebt jetzt hier - vielleicht ließe sich dieses neu entstandene kreative Potenzial mit den einheimischen Künstlerinnen und Künstlern verbinden, etwas Experimentelles würde der Czernowitzer Kulturszene guttun.

Und dann ist noch die Anfrage für ein Zoom-Interview für ein Literatur-Feature über Rose Ausländer für einen österreichischen Radiosender. Bei Rose Ausländer kann ich nicht Nein sagen. Ein Spagat zwischen ein wenig Kultur- und viel Krisenmanagement ist noch zu schaffen.

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