Academy Awards:Das sind die fünf Oscar-Favoriten der Filmredaktion

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Marija Bakalowa und Sacha Baron Cohen in "Borat Anschluss Moviefilm". (Foto: AP)

Kamikaze-Schauspielkünste, eine postume Nominierung, großartiger Kitsch und ein furioses Debüt: Wer den Preis absolut verdient hätte.

Von SZ-Autorinnen und Autoren

Marija Bakalowa

Würden die Oscars nach der Menge von Warnhinweisen vergeben, müsste der klare Sieger des Abends "Borat Anschluss Moviefilm" heißen. "Sexualität, Drogenkonsum, Schimpfwörter, Nacktheit, Blackface" warnt das Amazon-Studio, das den Film produziert hat, seine Zuschauer im Vorspann - man will also sofort weiterschauen. Die große Entdeckung der Fortsetzung von "Borat" aus dem Jahr 2006 ist die bulgarische Schauspielerin Marija Bakalowa. Sie zelebriert den Hardcore-Slapstick mit einer Schamlosigkeit, die ihren Filmpartner Sacha Baron Cohen blass aussehen lässt, und der Mann versteht etwas von Schamlosigkeit. Die 24-Jährige ist die große Newcomerin dieses Oscarjahrgangs und wurde für ihren Auftritt als beste Nebendarstellerin nominiert - und diesen Preis muss man ihr einfach auch verleihen, als Ehrung ihrer Kamikazeschauspielkünste. David Steinitz

Chadwick Boseman wurde postum als bester Hauptdarsteller nominiert. (Foto: Chris Pizzello/dpa)

Chadwick Boseman

Die richtig großen Hollywood-Stars bringen alle ein bisschen mehr mit als bloß ein Talent für die Schauspielerei. Sie müssen ein bisschen klüger sein als alle anderen, um oben zu bleiben, wenn sie einmal dort angekommen sind, das gilt für so ziemlich jeden von George Clooney bis Meryl Streep. Chadwick Boseman kam von der Howard University, wo auch Kamala Harris und Thurgood Marshall, der erste afroamerikanische Richter am Supreme Court der USA herkommen; er arbeitete nicht nur als Schauspieler, sondern vor allem auch als Regisseur am Theater, bis ihn die Hauptrolle in "Black Panther" zu Weltruhm katapultierte (die letzte davor war übrigens in einem Biopic über Thurgood Marshall). Boseman hätte wohl das Zeug dazu gehabt, ganz oben mitzuspielen für lange Zeit. Es kam dann anders, er starb im vergangenen Sommer an Krebs.

Es werden ihm nun postum die höchsten Ehren zuteil, die Hollywood zu vergeben hat - bei den Golden Globes wurde er gerade für "Ma Rainey's Black Bottom" ausgezeichnet, und für den Oscar als bester Hauptdarsteller ist er auch nominiert. Man sieht da ein paar Stunden einer Studio-Session in Chicago, 1927. Der Film basiert auf einem der Theaterstücke von August Wilson, der die Machtverhältnisse zwischen Schwarz und Weiß zu fassen versuchte und die Dynamik der Afroamerikaner untereinander - produziert hat den Film übrigens Denzel Washington, der das Wilson-Stück "Fences" verfilmt hat und Chadwick Boseman seinerzeit eine Zusatz-Ausbildung in Oxford spendierte.

Levee, der Musiker, den Boseman spielt, will sich nicht an die Regeln halten, die die anderen in der Band verinnerlicht haben, den Weißen gehorchen und sich Ma Rainey (Viola Davis) unterordnen, er hat seine eigenen Arrangements geschrieben und will eine Band gründen. Levee hat zwei Monologe, in denen sich der Ursprung seiner nur mühsam unterdrückten Wut erklärt, seine offensichtliche Sehnsucht, endlich gegen jeden aufzubegehren, der sich ihm in den Weg stellt - er wird seine eigene Zukunft zerstören, seine Aggression wird sich in die falsche Richtung entladen. Und er nimmt in diesen Augenblicken so viel Raum ein, dass aus Levee tatsächlich eine Hauptrolle wird in Ma Raineys Universum. Vielleicht sogar eine, die mit einem Oscar prämiert wird. Susan Vahabzadeh

Emerald Fennell ist als beste Regisseurin und als beste Drehbuchautorin nominiert. (Foto: Taylor Jewell/AP)

Emerald Fennell

Eigentlich ist es immer falsch, wenn man glaubt, jemand sei ganz plötzlich, wie aus dem Nichts auf die große Bühne von Hollywood getreten, und natürlich gilt das auch für Emerald Fennell, die für ein Drehbuch der Serie "Killing Eve" immerhin schon für einen Emmy nominiert war. Und doch: So richtig dürfte ihr ausnehmend schöner Name vor dem vergangenen Herbst nur wenigen ein Begriff gewesen sein. International bekannt wurde sie als Schauspielerin, in der vierten Staffel von "The Crown" spielt sie eine ziemlich sympathische Camilla Parker-Bowles. Und dann war sie plötzlich der Star der Oscar-Saison: als Frau hinter dem Metoo-Rache-Thriller "Promising Young Woman" mit Carey Mulligan in der Hauptrolle. Es ist Fennells Debütfilm.

Es kommt nicht oft vor, dass der Erstling einer jungen Frau für fünf Academy Awards nominiert wird, darunter die Königskategorien "Bester Film" und "Beste Regie". Emerald Fennell zählt zu den bisher bloß sieben Frauen, die jemals für den Regie-Oscar nominiert waren und ist die erste Britin unter ihnen. Sie ist 35 und hat auch noch das Drehbuch geschrieben, für das ist sie ebenfalls oscarnominiert. Zumindest diesen Preis sollte sie auch unbedingt gewinnen, weil "Promising Young Woman" so ein kluger, überraschender und wahnsinnig unterhaltsamer Film ist, der es schafft, wirklich immer den richtigen Ton zu treffen. Das ist kein kleines Kunststück. Wenn man aus den Themen Vergewaltigung, sexuelle Übergriffigkeit und Trauma einen spannenden, aber auch witzigen Film machen will, ist der Weg zum Skript quasi ein einziger riesiger Fettnapf. Carey Mulligan spielt eine junge Frau, die nach einer traumatischen Party-Erfahrung ihr Medizinstudium hinwirft. Stattdessen geht sie in Clubs, stellt sich sturzbesoffen und wartet darauf, dass irgendein "netter Typ" anbietet, sie nach Hause zu begleiten. Sie weiß schon, dass er sie stattdessen mit in seine Wohnung nehmen wird, um ihren Zustand auszunutzen - bis sie ihn mit schockierender Nüchternheit zur Rede stellt. Als Kommilitonen von früher wieder in ihr Leben treten, erhöht sie den Einsatz.

Dass Emerald Fennell eine Leichtigkeit und einen Humor hat, von denen man unbedingt noch viel, viel mehr sehen will, zeigt auch ihre winzig kleine Gastrolle in ihrem eigenen Film: Als Mulligans Figur sich vor dem Spiegel für einen Clubabend aufbrezelt, guckt sie nebenbei ein Youtube-Video, in dem die Regisseurin fröhlich und wie in fatalistischem Einverständnis mit der Misogynie der Welt erklärt, wie man sich die perfekten "Blowjob-Lippen" schminkt. Kathleen Hildebrand

Frances McDormand im großen Oscar-Gewinner "Nomadland". Der Film soll am 1. Juli deutschlandweit starten - wenn alles gut läuft. (Foto: Joshua James Richards/dpa)

Frances McDormand

Also mal halblang, die Frau hat ja schon zwei Oscars. Wäre als beste Darstellerin nicht mal jemand anders dran? So denken Hollywoods Preisverleihungs-Orakel, die Frances McDormand diesmal nicht ganz vorn sehen. Was aber nichts daran ändert, dass "Nomadland" einfach der beste Film ist. Alles daran ist ihr Werk: Sie hat die Buchvorlage entdeckt, ist Mitproduzentin geworden und hat Chloé Zhao als Regisseurin gefunden, die nun hohe Favoritin für die beste Regie ist. Um die Hauptfigur Fern zu spielen, hat McDormand zudem den letzten Funken Eitelkeit fahren lassen - sie ist grundlegend glaubwürdig als Frau, die aus dem Hamsterrad des Kapitalismus aussteigt und das Leben im Van entdeckt, rau und frei. Wer so viel echte Lebenserfahrung auf die Leinwand bringt, hat dann auch jeden Preis verdient. Tobias Kniebe

So durchgeknallt wie das Original kann keine Kopie der Welt sein. Will Ferrell und Rachel McAdams in der ESC-Parodie "The Story of Fire Saga". (Foto: Elizabeth Viggiano/AP)

Húsavík

Ist das nicht ganz fürchterlicher Kitsch? Diese Power-Ballade, die mit verzweifelter Leidenschaft vom kleinen Glück in einem Fischerörtchen auf Island erzählt? Ja, ist es. Aber "Húsavik" aus der Netflix-Grandprix-Komödie "Eurovision Song Contest - The Story of Fire Saga" ist Kitsch auf der absoluten Höhe seiner Möglichkeiten. Im Film sieht es aus, als sänge ihn Rachel McAdams, in Wahrheit hört man aber die Stimme des schwedischen Schlager-Pop-Stars Molly Sandén. Im grellen Flirren zwischen Pathos und dem Bewusstsein der Möglichkeit von Ironie ("Wo die Wale am Leben bleiben dürfen/Weil die Leute sanftmütig sind") schnürt dieser Song, der bei jedem echten ESC beste Chancen hätte, auch Abgebrühten die Kehle zu. Kathleen Hildebrand

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