Oper:Schrecken allerorten

Lesezeit: 2 min

In Andechs hat Carl Orffs Jugendwerk "Gisei" Bayernpremiere

Von Thomas Jordan, Andechs

Natürlich ist es ein Wagnis, ein Werk aufzuführen, das der Komponist selbst verworfen hat. Ganz besonders gilt das für Carl Orffs Jugendwerk "Gisei", das Orff als "jugendlichen Schiffbruch" bezeichnet hatte. 1913 hatte der kaum 18 Jahre alte Student an der Münchner Akademie für Tonkunst sein erstes Bühnenstück vollendet. Mehr als 100 Jahre später feierte die hoch-pathetische Tragödie um einen elterlichen Ehrenmord am eigenen Kind im alten Japan seine Bayernpremiere beim Carl-Orff-Fest im Florian-Stadl in Andechs. Nicht immer gelingt es, die fremde Welt der grausamen Pflichterfüllung und der blinden Hingabe aus der Tiefe des Orffschen Werks wiedererstehen zu lassen.

Orff macht es den Sängern und Instrumentalisten der Münchner Symphoniker unter der musikalischen Leitung von Hansjörg Albrecht aber auch alles andere als einfach. Das Werk, mit dem der Komponist seinen Lehrern zeigen wollte, "was er draufhat", wie der Orff-Forscher Thomas Rösch sagt, taumelt wild zwischen Spätromantik und avantgardistischer Moderne. Im Vorspiel, in dem sich der Samurai Matsuo (Joachim Goltz) und seine Frau Chiyo (Ulrike Malotta) göttliche Absolution erteilen lassen, ihr eigenes Kind aus Treue zum verbannten Kanzler zu opfern, treiben disharmonische Klänge à la Claude Debussy und Arnold Schönberg ein düsteres, atmosphärisches Dräuen voran. Schon Orff hat an dieser Stelle dick aufgetragen, indem er der Mutter Chiyo den dreimaligen Ausruf "Tod, Tod, Tod" ins Libretto geschrieben hat. In der Regie von Florian Zwipf-Zaharia wird das noch getoppt, wenn Ulrike Malotta dazu mit bleichem Gesicht entgeistert auf die Knie sinkt. Schrecken allerorten, Hoffnung Fehlanzeige. Den Ton setzt zu Beginn des Vorspiels ein spitzer Frauenschrei, der durch den Florian-Stadl gellt, während sich ein roter Farbball auf der Bühnenleinwand (Videodesign: Raphael Kurig) pulverisiert. Hier schrammt die Inszenierung an der Opernparodie vorbei. 50 Minuten später ist das anders: In der Schlussszene gelingt es im Zusammenspiel zwischen Orchester, Solisten und den Sängern des Münchner Bachchors eine pathosgetragene Fremdheit erfahrbar zu machen, die bei Orff freilich aus dem Europa des spätromantischen 19. Jahrhunderts und nicht aus dem mittelalterlichen Japan stammt. Ulrike Malotta lotet als Mater Dolorosa mit ihrem dunkel gefärbten Mezzosopran die Macht des Schicksals aus. Zusammen mit dem gerade in seinem reduzierten, gebrochenen Spiel sehr präsenten Bariton Joachim Goltz fördern die beiden in ihren schlichten, dunkelgrünen Gewändern bemerkenswerte Tiefe zu Tage.

Vor dem großen Orffschen Drama war an diesem Abend bereits das Klavierkonzert in d-Moll von Mozart angesetzt gewesen. "Das abgründigste und dramatischste" von Mozart, wie die Pianistin Margarita Oganesjan findet. Mit ihrem souverän- zurückhaltenden Spiel hatte es Oganesjan dann aber nicht leicht, bei so viel Reizüberflutung durchzudringen. Denn neben dem Orchester, das im Florian-Stadl vor dem Flügel platziert war und mitunter allzu wuchtig einsetzte, buhlten vor allem die Tänzer der Truppe von Matteo Carvone, der eine Choreografie zum Klavierkonzert geschrieben hatte, offensiv um die Aufmerksamkeit des Publikums. Dafür gibt es am Ende Bravi, aber auch ein paar Buh-Rufe.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: