Oper:Ein Kaiserreich für ein Kind

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Der Kaiser (Stephen Gould) vor seiner Kaiserin (Camilla Nylund), die dem grobschlächtigen Färber Barak (Wolfgang Koch) beischläft. (Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn)

Christian Thielemann dirigiert in Wien die großartige Neuproduktion von Strauss' "Die Frau ohne Schatten".

Von Helmut Mauró

Drei schrecklich dunkle Bläserakkorde knallen ins Dunkel, hinken noch ein bisschen weiter, mit Posaunen und Trommeln wie zum jüngsten Gericht. Der Konflikt in Richard Strauss' hochsymbolischer Oper "Die Frau ohne Schatten" könnte grundsätzlicher kaum sein. Der Kaiser (Stephen Gould mit stramm heldenhaftem, wagnerkompatiblen Tenor; lyrische Feinheiten stehen erst einmal nicht an) hat eine Gazelle erlegt, die sich als Tochter eines Feenkönigs entpuppte. Er verliebt sich in seine Jagdbeute und heiratet sie, aber sie kann keine Menschenkinder bekommen: sie wirft keinen Schatten. Was wiederum die Feen-Amme herzlich freut, die nichts mehr hasst als die Erdlinge. Schon malt sie sich die Konsequenz aus: "Der Kaiser muss versteinen." Die dramatische Sopranistin Evelyn Herlitzius zeigt nicht nur Strauss'schen Glanz und Flexibilität, sondern auch in der Tiefe Volumen und Stabilität, was der Doppelgesichtigkeit dieser mütterlich sorgenden und dabei sorgsam intrigierenden Figur entgegen kommt.

Hinter den Tonmalereien vollzieht sich ein diffiziles Klangdrama der Emotionen

Das Erstaunlichste aber ist doch, wie Strauss in eine Melodie solchen Zwiespalt legen kann. Wie er mit ein paar kräftigen Akkorden und einer zwingenden Melodie, einem schier überbordend instrumentierten Orchesterklang in aller Kürze nicht nur eine Figur charakterisiert, sondern gleich die ganze Geschichte dazu erzählt. Das geschieht auf mehreren Ebenen, die Dirigent Christian Thielemann mit dem Orchester der Wiener Staatsoper vulgo Philharmonikern gut zusammenzwingt. Hinter Tonmalereien wie dem Schrei des Falken, der real über der Bühne zu kreisen scheint, vollzieht sich ein Klangdrama der Emotionen, Gemütszustände und Erwartungen, dramatischen Handlungen und Reaktionen darauf. Das verlangt viel Detailarbeit, jede abweichende Klangfärbung, jedes Hervorpreschen oder Abdämpfen eines Instrumentes hat höchste Bedeutung. Gleichzeitig ist das Orchester durchschaubares Gerüst für den Gesang, der in seiner Komplexität dennoch wie natürlich klingt.

Die finnische Sopranistin Camilla Nylund muss da ebenfalls besondere Ansprüche einer gespaltenen Persönlichkeit erfüllen. Denn natürlich will sie ein Kind, die Amme soll es besorgen. Man kommt auf die Färberin (die schwedische Starsopranistin Nina Stemme kraftvoll auftrumpfend) und ihren unterwürfigen Ehemann Barak (Wolfgang Koch, lyrisch, kräftig, manchmal etwas tief ansetzend). Man begibt sich in Menschenland. Schroffe graue Felswände, die im Halbdunkel aussehen wie die Skyline einer ambitionierten Metropole und rohe Sitten stimmen darauf ein. Der Färber würgt seinen verarmten Bruder, den die Frau aus dem Haus haben will. Aber, o je, auch die kann keine Kinder bekommen, und sie reagiert auf die durchtriebene fremde Frau mit bodenständiger Skepsis. Als ihr die Amme aber Wohlstand und Macht verspricht, vor allem uneingeschränkte Macht über die Männer, da lässt sich die Färberin auf den undurchsichtigen Handel ein.

Als sie wieder allein ist, hört sie aus der Bratpfanne, in der sieben Fischlein schmurgeln, die Stimmen ihrer ungeborenen Kinder. Eine gespenstische Szene, die Strauss mit leeren Quintschritten, dumpfen Trommeln, Windmaschine, hohen Flöten und Celesta ins Extreme treibt. Die Unschuld der hohen Flöten und der Celesta wird dabei vom schlechten Gewissen und der inneren Zerrissenheit eng gesetzter dissonanter Bläser zerschnitten. Und als wäre dies nicht genug, folgt noch ein strammer Moralchor, begleitet von himmlischen Trompeten: "Ihr Gatten, die ihr liebend euch in Armen liegt, ihr seid die Brücke, überm Abgrund ausgespannt, auf der die Toten wiederum ins Leben gehn! Geheiligt sei eurer Liebe Werk."

Dass so kein "Volksstück mit bescheidener begleitender Musik" entstehen konnte, wie das der Librettist Hugo von Hofmannsthal ursprünglich vorhatte, ist offensichtlich. Es ist ungefähr das Gegenteil davon geworden: ein imposantes musiktheatralisches Schlachtross, das alles niederzuwalzen scheint, gleichwohl immer wieder innehält. Gerade, wenn die Musik allzu plakativ oder gar plump zu werden droht, fächert Strauss das Orchester auf und dreht die Klangerzählung in komplexe Wendungen und führt sie auf verschlungenen Pfaden weiter. Das schafft er mit unerwarteter melodischer Fortschreitung - Thielemann findet dafür stets das passende Tempo - und auch mit doppeldeutiger Harmonik und seiner höchst differenzierten Instrumentation. Mit einem mittelmäßigen oder nur guten Orchester wäre das kaum in dieser Ausformung und nötigen Ausgewogenheit hinzukriegen.

Es geht zu wie in Mozarts "Zauberflöte", aber viel ernster, düsterer, brutaler

Denn oft genug geht es nicht um Zustände, sondern um fortschreitendes dramatisches Geschehen, Wandlungen. Zuvor müssen sich alle vier Prüfungen unterwerfen, denn die Feentochter und ihre Amme sind zu abgehoben für diese Welt, und das Färber-Ehepaar zu perspektivlos bodenverhaftet. Amme und Kaiserin verdingen sich als Dienerinnen im Färberhaus. Die standfeste Färberin wird von einem schönen Jüngling verführt, der endlich die ersehnten Kinder zeugen soll, am Ende gerät alles durcheinander, die Erde tut sich auf, das Färberhaus samt Bewohnern versinkt im Abgrund. Färber und Färberin landen getrennt in Kerkern, suchen sich, nehmen die Geisterwelt als höheres Reich wahr. Es geht zu wie in Mozarts "Zauberflöte", aber viel ernster, düsterer, brutaler. Die unfruchtbare Kaiserin muss auf das von der Färberin gekaufte Kind am Ende verzichten, der kaukasische Kreidekreis ist durchbrochen, der Kaiser entsteinert, wieder lebendig. Jubel aus dem Himmel nach unten und umgekehrt, der letzte Gesang gehört den ungeborenen Kindern.

Es ist erstaunlich, wie die durchweg auf Hochspannung gehaltene Oper nicht hin und wieder dramatisch in sich zusammenfällt. Dass dieser typisch Strauss'sche Spagat von irdischer Enthobenheit und Bodenständigkeit hält. Diese Oper ist einerseits symbolistisch entrückt, andererseits so hausbacken konkret, dass man verunsichert ist über ihre künstlerischen Kategorien. Strauss erklärt etwa, dass sein Sohn Franz, den er bereits bei der Fußartillerie in Mainz als Offiziersanwärter angemeldet hatte, zurzeit der Komposition wegen Herzproblemen als wehruntauglich eingestuft wurde, der Partitur "eine gewisse nervöse Überreiztheit eingetragen" habe. Vielleicht war es ein Schelmenstück von Strauss, und die Nervosität entstammte der Unsicherheit, ob man auf die ausschlaggebende "Einsicht des bayrischen Stabsarztes" rechnen konnte.

Was die Wiener Neuproduktion betrifft, so trug die hochgradige Sängerbesetzung sicherlich dazu bei, die sehr umjubelte Neuproduktion der "Frau ohne Schatten" auf ein musikalisch solides Fundament zu stellen und darüberhinaus für einige Glanzpunkte zu sorgen. Die trotz mächtiger Bühnenbauten inhaltlich zurückhaltende, aber in jedem Moment nachvollziehbare Inszenierung des einstigen Chéreau-Assistenten Vincent Huguet mit dem düster-stimmigen Bühnenbild von Aurélie Maestre schaffen dabei jenen dramatischen Rahmen, der die Bühnenaktion und sogar die Musik derart verstärkend in den Mittelpunkt rückt, dass auch im gekünstelten Raum eine freie Lebendigkeit entsteht.

© SZ vom 31.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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