Oper:Die schönste Müllerin

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Brigitte Fassbaender war eine großartige Mezzosopranistin. Und sie ist bis heute eine leidenschaftliche Lehrerin und umtriebige Regisseurin. Vier Tage vor ihrem 80. Geburtstag hat in Regensburg ihre "Lucia" Premiere

Von Egbert Tholl

Dann hört man sich doch erst einmal ihre Aufnahme von Schuberts "Schöner Müllerin" an. 1993 hat sie den Liederzyklus aufgenommen, am Klavier sitzt Aribert Reimann. Welch' eine Euphorie, was für ein großartiges Stimmtheater. Keine Silbe, kein Wort, das nicht gedacht, tief empfunden ist. Die Aufnahme ist aufwühlend, mitreißend, sie zwingt einem das Miterleben unabdingbar auf. Die Stimme ruht auf einem souveränen Fundament, von diesem tiefen Sockel aus ist alles möglich, der Weg zu Schuberts Sternen ist weit, aber überhaupt kein Problem. Elegant werden Dimensionen durchmessen, alles auf diesem Weg funkelt und leuchtet, gleißt und glänzt.

Am 3. Juli wird Brigitte Fassbaender 80 Jahre alt. Zum Geburtstag schenkte ihr die Deutsche Grammophon eine CD-Box, da ist auch die "Müllerin" drauf, überhaupt sehr viele Lieder, die lange als ausschließlich männliche Domäne galten, aber leider kein Octavian, also kein Straussscher "Rosenkavalier". Den Octavian sang sie 1971 in London, 1974 an der Met, sie sang ihn überall bis 1988, und als sie die Rolle ablegte, glaubten viele Opernliebhaber, es werde von nun an überhaupt keinen "Rosenkavalier" mehr geben.

Aber das ist lange her, seitdem ist viel passiert, und jetzt sitzt Brigitte Fassbaender im Café des Theaters Regensburg, wo sie gerade Donizettis "Lucia di Lammermoor" inszeniert, sie ist tiefenentspannt und hat die freundlich lächelnde Souveränität einer Frau, die das Theater so gut kennt wie kaum eine zweite, als Sängerin, Regisseurin, Intendantin, Festivalleiterin und Pädagogin. Ach ja, es sei schrecklich, mit diesen runden und halbrunden Geburtstagen, sagt sie. "Aber so viele runde kommen nun nicht mehr in Frage." Na ja, ein paar könnten es noch werden. Sie hat schließlich immer Acht auf sich gegeben. "Ich habe immer aufgepasst, dass ich mein Fach nicht übersinge. Die schwersten Partien, Ortrud, Kundry - ne, das war nicht mein Ding." Auch weil sie Angst hatte, mit den superdramatischen (Wagner-)Partien könnte ihr das Gefühl fürs Lied abhanden kommen.

Als einer der Höhepunkte in der Epoche des Belcanto gilt Gaetano Donizettis "Lucia di Lammermoor". Brigitte Fassbaender hat die Oper für das Theater Regensburg inszeniert. (Foto: Jochen Quast)

Vor allem der Liedgesang war in den letzten zehn Jahren ihrer aktiven Sängerinnenkarriere, die Brigitte Fassbaender 1995 beendete, der Schwerpunkt. Überhaupt, Karriere: "Sehr viel ist einfach auf mich zugekommen, manches habe ich abgelehnt, weil ich mich dem nicht gewachsen gefühlt habe. Ich habe mir nicht viel zugetraut."Drei Mal fragte Karajan, drei Mal sagte sie ab. "Ich war jung und dumm."

Fassbaender ist ein Team-Mensch. Hingegen mag sie keine Cliquen. Das Bayreuth, das sich um Wolfgang Wagner gruppierte, war ihr suspekt, auch wenn sie dort in Soltis "Götterdämmerung" sang und das Singen selbst dort toll fand. Die Salzburger Festspiele waren ihr zu Schicki-Micki, aber auch hier: "Im Team haben wir dort wunderbar gearbeitet." Markus Hinterhäuser übrigens, der derzeitige Intendant in Salzburg, spielte seine erste "Winterreise", als er Fassbaender am Klavier begleitete. Sie selbst war die dritte Frau, die sich überhaupt an den Zyklus traute.

1961 debütierte Fassbaender an der Bayerischen Staatsoper, dort blieb sie 15 Jahre Ensemblemitglied, von dort begann sie ihre Weltkarriere. Knapp ein halbes Jahrhundert später hätte sie fast in der selben Stadt ihre inzwischen dritte Karriere vollenden können, wurde von vielen als beste Lösung für die Leitung des Gärtnerplatztheaters angesehen. Es kam anders, es kam ein Mensch aus Augsburg, der längst wieder weg ist und die Frage hinterließ, weshalb er überhaupt da war. Dazu sagt sie nichts, lächelt - und inszeniert halt inzwischen am Gärtnerplatz. Geleitet hat sie das Richard-Strauss-Festival in Garmisch (acht Jahre), das Tiroler Landestheater in Innsbruck (13 Jahre), davor war sie Operndirektorin in Braunschweig, danach freie Regisseurin und auch darin äußerst erfolgreich. Die Regensburger "Lucia" ist ihre dritte Inszenierung in dieser Saison. Und nicht die letzte.

Nach wie vor gibt sie Meisterkurse. Ob sie heute noch jungen Sängerinnen empfehlen würde, sich mit 22 auf die Bühne des Münchner Nationaltheaters zu stellen? Wenn das Haus Ahnung von Sängern habe, man die Jungen nicht allein lasse: ja. "Die Selbstüberschätzung ist Sängern immanent. Und niemand sagt dir die Wahrheit." Dazu komme, dass die Verantwortlichen oft nur den Ist-Zustand einer Stimme wahrnähmen, aber ein Engagement in vier, fünf Jahren buchten. "Aber man muss die Zukunft hören."

Brigitte Fassbaender. (Foto: Rupert Larl)

Das tat Fassbaender, als sie aufhörte zu singen. Für fast alle war das eine Überraschung. Es klang doch alles noch hervorragend. Aber sie hat es gehört. Sie wurde ihrem eigenen Anspruch nicht mehr gerecht. "Die letzte Aufnahme, Brahms-Lieder, habe ich nicht mehr rausgelassen. Ich wollte keine Abstriche machen müssen, dafür ist mir dieser Beruf, diese Passion zu wichtig. Wenn man immer daran denken muss, wie man technisch über die Runde kommt, macht es keine Freude mehr." Dazu kam, dass sie meinte, den Kreis ihrer Partien "ausgeschritten zu haben. Ich wollte keine alten Frauen spielen".

Sie fing an zu inszenieren, da sang sie noch. Aber "dieses Hin und Her zwischen Regie und Singen war eh nicht erfreulich. Ich musste mich immer eine Woche von der Rumschreierei erholen". Damit meint sie das Inszenieren. Nur eines klappte nicht: Fassbaender hat grässliches Lampenfieber. "Ach, wenn ich damals schon Bachblüten gekannt hätte." Allerdings: Die Aufgeregtheit ist beim Regieführen nicht besser geworden. "Am Tag der Premiere bin ich zu Nichts zu gebrauchen."

Aber am Tag des Gesprächs ist die Premiere in Regensburg, die an diesem Sonntag stattfindet, noch eine Woche fern, von Nervosität nichts zu spüren. Aber viel von Begeisterung für das Regensburger Ensemble, wie sie überhaupt das ganze Haus sehr gut geführt findet. Sie hat zwei Lucias, von beiden schwärmt sie, stimmlich wie darstellerisch. Wie nuanciert sie die jeweiligen stimmlichen Eigenschaften der beiden jungen Frauen beschreiben kann, das zeugt von ihrer schier unendlichen Erfahrung, ihrem Wissen. Und da, wo es nicht ganz perfekt ist, nun, da wird halt gearbeitet. Dass sie dabei rumschreie, das kann man sich allerdings beim besten Willen nicht vorstellen. Sie selbst hat einmal eine echte Belcanto-Partie gesungen, in München, die "Lucia" ist ihre erste Inszenierung in diesem exaltierten Genre. Doch sie sieht es gelassen: "Es ist halt Schauspiel mit Musik wie jede Oper."

Dann muss man sich daheim noch etwas anhören, einen Mitschnitt aus der Bayerischen Staatsoper, semilegal, "Rosenkavalier", 1973, Carlos Kleiber dirigiert. Brigitte Fassbaender singt Octavian. "Wie du warst, wie du bist, das weiß niemand." Unfassbar großartig, schöner geht's nicht!

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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