Brand in Notre-Dame:Ruß und Bleistaub überall

Lesezeit: 3 min

Bekommt in jedem Fall mehr Aufmersamkeit als ihre Kollegin in Nantes: Die Hauptorgel von Notre-Dame wird zur Restaurierung und Säuberung abgebaut. (Foto: dpa)

In Notre-Dame beginnt die Restaurierung der Orgel, die bis 2024 dauern soll. Allein für die Feinstimmung sind sechs Monate veranschlagt. Und dann ist da noch das Problem mit der gotischen Architektur.

Von Joseph Hanimann

Gotische Kathedralen sind ausgeklügelte Gebilde mit einigen Schwachstellen. Neben den Glasfenstern haben bei Feuerbränden oft auch die Orgeln Schaden genommen. In der Pariser Notre-Dame wird seit Anfang dieser Woche die große Orgel abgebaut. Das 1733 von Antoine Calvière geschaffene und 1867 von Aristide Cavaillé-Coll überholte Werk mit seinen 8000 Pfeifen und 115 Registern hat relativ wenig gelitten und beim Brand im letzten Jahr auch kaum Löschwasser abbekommen. Es muss aber bis in die winzigsten Einzelteile zerlegt und von Ruß und Bleistaub befreit werden. Die Operation wird bis 2024 dauern. Die große Orgel der vor zwei Wochen in Brand geratenen Kathedrale von Nantes ist hingegen endgültig verloren.

Kein gotischer Baumeister hatte ursprünglich an den Einbau einer großen Orgel ins Gotteshaus gedacht. Standorgeln mochten zwar, nachdem im Konzil von Mailand 1287 die instrumentale Begleitung der Liturgie erlaubt worden war, da und dort im Chor bald ihren Platz gefunden haben.

Notre-Dame
:Keine Lust auf Experimente

Die durch einen Brand zerstörte Pariser Kathedrale Notre-Dame wird wohl wieder genauso aufgebaut, wie sie war. Für moderne Formen ist nicht nur die Zeit zu kurz, sondern auch die Volksmeinung zu ungünstig.

Von Joseph Hanimann

Verglichen mit dem polyfonen Echoklang der gregorianischen Gesänge in den zisterziensischen Abteikirchen dürfte das in den enormen gotischen Gewölben ärmlich geklungen haben. In Konkurrenz zur himmelstürmenden Pracht der gotischen Architektur trat die Kirchenmusik nach der ersten Blüteperiode des Orgelbaus ab dem 14. Jahrhundert. Allerdings fanden die frühen Ungetüme keinen Platz mehr vorn im Chor. Sie mussten im Rücken der Gläubigen auf einer Empore installiert werden, wo sie meistens eine prächtige Rosette oder Fenster versperrten.

Um die Bauschäden in Nantes will sich der Staat kümmern - für die Orgel muss der Förderverein sammeln

Im Unterschied zum Barock, der die großen Orgeln von Anfang an auch visuell einplante, waren diese in der Architektur der Gotik nicht vorgesehen. So grandios sie mit ihrer dekorativen und klanglichen Majestät in unserer Wahrnehmung allmählich mit der gotischen Raumweite verwuchsen, sind sie ein Fremdkörper geblieben. Die Musikgeschichte von Bach bis zur Romantik hat unsterbliche Orgelwerke hervorgebracht.

Bis in die Moderne hinein bleiben manche Kirchgänger aber unempfänglich für diese bald flötenden, bald wabernden, tremolierenden oder brausenden Kolosse. Le Corbusier hat im Dominikanerkloster La Tourette bei Lyon die Orgelempore widerwillig wie eine Pappnase aus Beton an die Außenwand der Klosterkirche geklebt.

Trotzdem wird einem traurig zumute beim Gedanken, wie viel Kunstfertigkeit, stilistisches Raffinement und angehäufter Sachverstand durch so einen Brand wie in Nantes zunichtegemacht worden ist. Fünfmal ist die Orgel von Jacques Girardet aus dem Jahr 1621 mit ihren anfänglich bescheidenen 27 Registern überholt und erweitert worden, zum ersten Mal wenige Jahre vor der Französischen Revolution. Sie bekam damals schon einen Spieltisch mit fünf Klaviaturen und wurde noch 1970 auf 89 Register ausgebaut mit 5500 Pfeifen. Inbrünstige Gottergebenheit und burleske Hexerei verbanden sich über die Jahrhunderte zu einem sichtbaren und hörbaren Gesamtweltbild. Mit seinen Monsterfiguren auf den Verzierungen habe diese Orgel rabelaisianische Züge bewahrt, trauert Michel Bourcier, einer der drei Domorganisten in Nantes, dem abgebrannten Meisterwerk nach. Für die Restaurierung der Bauschäden an der Kathedrale will der Staat als Inhaber aufkommen. Für eine neue Orgel beginnt der bescheidene Förderverein Geld zu sammeln.

Allein für die Feinstimmung der Pfeifen in Notre-Dame werden sechs Monate veranschlagt

Die Pariser Notre-Dame darf mit mehr öffentlicher Aufmerksamkeit rechnen. Abgesehen von der Reinigung der Pfeifen müssen dort auch manche Teile repariert werden, weil sie unter den starken Temperaturschwankungen seit dem Brand im vergangenen Jahr gelitten haben. Der Wettlauf gegen die Zeit auf diesem Nebenschauplatz des Restaurationsprogramms hat begonnen, damit bei der geplanten Wiedereröffnung am 16. April 2024 auch die klangliche Begleitung nicht fehle. Allein für die Feinstimmung der Pfeifen hat Jean-Louis Georgelin, der Vorsitzende der für die Restaurierung zuständigen Instanz, sechs Monate veranschlagt.

Erfreulich viele Hauptorgeln haben in Frankreich neben den Bränden auch die Revolutionswirren heil überstanden, die Notre-Dame in Paris wie die Kathedrale von Nantes. In Paris ließ das Comité temporaire des Arts den Citoyen Desprez auf der Orgel vorspielen und folgte dann seiner Ansicht, dies sei ein erhaltenswertes Objekt. So ein Instrument könne auch die Gefühle eines echten Verfechters der Republik darstellen und "unseren Hass auf die Tyrannen zum Ausdruck bringen", erklärte er. Wahrscheinlich liegt es an dieser unendlichen Registervielfalt, dass die Monumentalinstrumente auch in Gewölben so gut klingen, die gar nicht für sie gemacht wurden.

© SZ vom 05.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kathedrale von Nantes
:Ein Kirchenbrand, dessen Flammen bis in die Politik reichen

Nach Notre-Dame brennt wieder eine Kathedrale in Frankreich. Die Aufregung im Land ist groß. Es geht um Vandalismus, anti-christliche Verbrechen - und das Befinden der Republik.

Von Nadia Pantel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: