Fünf Favoriten der Woche:Visueller Hokuspokus

Lesezeit: 4 min

Ein Doku über das Bewusstsein und eine über Afghanistan. Dazu das Dub-Album eines Pianisten, umstrittene Architektur von Heinz Bienefeld und der Soundtrack für sternenklare Nächte.

Aware

Eine Doku über das Bewusstsein? Ja, geht's noch? Abstrakter, "unsichtbarer" kann kaum ein Filmthema sein. Weil Frauke Sandig und Eric Black "Bewusstsein" in ihrem Film aber nicht als Ding oder Eigenschaft betrachten, sondern als eine Art Raum, den Menschen, Tiere und Pflanzen gemeinsam bewohnen (die Haltung der Regisseure zu Anorganischem ist nicht ganz klar), sind die Bilder von "Aware" tatsächlich sogar besonders schön. Die Erde ist aus dem All zu sehen, es folgen teils spektakuläre Naturaufnahmen, viel Wasser und (Meeres-)Getier. Auch ein bisschen visueller Hokuspokus wird veranstaltet - wenn das Unsichtbare sichtbar gemacht werden soll, greifen Regisseure gern in die Trickkiste.

Eindrucksvoller als die Bilder sind ohnehin die Protagonisten des Films. Ein renommierter Hirnforscher ist darunter, der "von außen", mit Elektronenmikroskop und anderen hochtechnischen Mitteln, auf das Bewusstsein blickt und zu ganz ähnlichen Erkenntnissen kommt wie ein buddhistischer Mönch, der es mittels Meditation gewissermaßen von innen erkundet. Ein Psychopharmakologe setzt die Teilnehmer seiner Studien unter Drogen, verabreicht ihnen Magic Mushrooms, woraufhin diese spirituelle Erlebnisse haben, die manche so bedeutungsvoll finden wie die Geburt ihres ersten Kindes. Eine Pflanzenforscherin hat bewiesen, dass Erbsenpflanzen "lernen" können und auf akustische Reize reagieren. Haben womöglich nicht nur Tiere ein Bewusstsein (was viele Menschen längst vermuten), sondern auch Pflanzen? Spitzwegerich, Brennessel und Bohnenkraut? Was ist mit Einzellern? Dem Coronavirus? Ist alles aus einem Stoff? Oder hört das Bewusstsein irgendwo auf?

Die Seele - von Tier, Mensch oder vielleicht ja auch anderem - erscheint im Kino immer häufiger als ein "last frontier", als ultimative Grenze, hinter die neugierige Dokumentaristen nur zu gern gucken möchten. In unserer notorisch individualistischen Gegenwart ist eine Spekulation, wie sie dieser Film anstellt, auch sehr verführerisch. Wenn alles aus einem Stoff ist, niemand vom Rest der Welt getrennt, wenn nichts wirklich vergeht, dann muss niemand einsam sein oder vor Tod und Verderben Angst haben. So süffig (und womöglich ersponnen) diese Schlussfolgerung des Films und seiner Protagonisten klingt, ist sie keineswegs bequem. Die Pflanzenforscherin etwa hat eine Karriere als Meeresbiologin aufgegeben, weil sie keine Versuchstiere töten wollte. Und der Philosophie-Professor, der als Teilnehmer der Magic-Mushroom-Studie den tragischen Tod seines Sohnes besser verkraften konnte, kann die spirituellen Erkenntnisse aus dem Rausch kaum mit seiner Trauer und seinem "normalen" akademischen Denken in Einklang bringen. Ist der spirituelle Trost ein Zuckerguss für etwas Unerträgliches, fragt er sich? Die Antwort muss jeder am Ende für sich finden. Anregend sind die Überlegungen und Erkenntnisse dieser Menschen in jedem Fall. Martina Knoben

(Foto: N/A)

F.S. Blumm & Nils Frahm "2X1=4"

Man kann sich das Ganze, um den Nerd-Charakter abzuschwächen, ja probehalber mal ein bisschen archaisch vorstellen: Zwei Künstler - der Pianist Nils Frahm der eine, der Experimentalmusiker F. S. Blumm der andere -, ein Tape Recorder, sehr freie, sehr improvisierte Sessions, sehr umfangreich mitgeschnitten. Und dann aber das noch rohe Material in den Bau geschleppt (also gut, ins Studio), wo es zerrupft, zerteilt, filetiert und neu zusammengesetzt wurde. Immer und immer wieder. Schichten drauf, Schichten weg. Stücke herausbrechen, Stücke einfügen. Tonnen an Ausgangsmaterial. Und am Ende dann eine sehr verspielte, mollig warme und wirklich sehr dunkelschöne Dub-Instrumental-Platte. "Es war, als ob wir mit einem Mähdrescher unterwegs waren, um unsere Namen dann auf ein einziges Korn zu schreiben", sagt Blumm. Und damit ergibt der Titel, "2X1=4", auch beinahe schon Sinn. Jakob Biazza

Heinz Bienefeld

Die Meinungen zu der Architektur von Heinz Bienefeld gehen auseinander. Während ein Besucher der Ausstellung "Antike Radikal" im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt lapidar "not impressed" ins Besucherbuch notiert, wünscht sich ein anderer, dass "Bienefeld die Städte mit seinen Häusern bebaut hätte". Umso wichtiger, dass das DAM dem Krefelder Architekten nach 20 Jahren wieder eine Ausstellung widmet, geriet der ehemalige Student des Kirchengroßbaumeisters Dominikus Böhm, der später auch für dessen Sohn Gottfried Böhm gearbeitet hat, doch langsam in Vergessenheit. Zumindest in der breiten Architekturöffentlichkeit. Denn das DAM, das im Besitz des Nachlasses von Heinz Bienefeld (1926 - 1995) ist, erreichten immer mehr studentische Anfragen zu seinem Werk, gerade aus Belgien und den Niederlanden. Der Mann, der aus unverputzten Ziegeln einfache, ja fast simple Typologien aus der Bautradition entwarf und seine Inspirationen aus Antike und Renaissance zog, interessiert anscheinend wieder die junge Architektenschaft. Weil die Zeiten konservativer werden?

Wer sich Bienefelds Haus Pahde aus dem Jahr 1972 genauer anguckt, ist sich da nicht so ganz sicher. Der Architekturhistoriker Vittorio Magnago Lampugnani schrieb darüber, dass alles an dem Haus Pahde gewöhnlich sei, aber von einer "exquisiten Gewöhnlichkeit". Man selbst würde dem Entwurf sogar eine humorvolle Haltung attestieren. Die Verteilung der Fenster zur Straße hin wirkt jedenfalls in der dicht begrünten Fassade des Bungalows wie eine versteckte Botschaft, eine Verszeile vielleicht. Die Postmoderne lässt grüßen. Und auch, wenn Richard Neutras glamouröse Großzügigkeit fehlt, so öffnet sich das Gebäude, das nach außen hin verschlossen, fast abwehrend wirkt, nach innen mit großen Glasflächen und entpuppt sich dort als Hofhaus.

Bienefelds Aufmerksamkeit für Material und Konstruktion, auf jedes noch so kleine Detail und Bauteil, dürfte dafür verantwortlich sein, dass seine Bauten, überwiegend Kirchen und Privathäuser, so gut altern. Das wirkt in Zeiten, in denen der Markt fast alles schluckt, egal wie schlecht die Qualität ist, weil die Rendite trotzdem stimmt, ähnlich aus der Zeit gefallen wie Bienefelds klassische Formensprache. Laura Weißmüller

Bezeichnenderweise noch bis 11. September in der Arte-Mediathek: Die Doku Reihe "Afghanistan - das verwundete Land". (Foto: © Dr. Bill Podlich)

Afghanistan-Doku

Dass die Dokumentation "Afghanistan - das verwundete Land" in der Mediathek des Senders Arte zur Verfügung stand, als das Land schlagartig wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, mag Zufall gewesen sein. Dass sie noch ausgerechnet bis 11. September - dem 20. Jahrestag der Anschläge von 2001 - abrufbar ist, kurios. Vor allem aber ist die 2020 erstausgestrahlte und vergangene Woche mit einem Grimme-Preis dekorierte Reihe eine inhaltlich herausragende und bildgewaltige Aufarbeitung der Entwicklungen, die letztlich in den erneuten Einmarsch der Taliban in Kabul mündeten. Vier Folgen - "Das Königreich", "Die Sowjetarmee", "Mudjahedin und Taliban" und "Die Nato-Truppen" - führen durch das Drama, das sich seit Jahrzehnten am Hindukusch entfaltet. Das Rohmaterial für eine denkbare fünfte Folge fangen gerade die Kameras der Newssender und unzähliger Smartphones ein. Moritz Baumstieger

Starry Night

Endlich spannt sich der Nachthimmel wieder so klar, dass man den Glanz der Sterne ungehindert genießen kann. Und man kann sich weiterträumen in fantastische Kinowelten wie "E.T." oder "Star Wars", wie auf der CD mit elegant-raffinierten Arrangements für die seltene Kombination von Saxophon Quartett und Percussion. (Berlin Classics). Dort kann man ihnen beschwingt und klangreizvoll begegnen: den Planeten Uranus, Venus und Jupiter, wie sie der englische Komponist Gustav Holst imaginierte. Oder jene aufs Feinste herbeigezauberte Vision "Claire de Lune", die Claude Debussy einst für das Klavier schrieb. Dazu Stücke aus John Williams' Filmmusiken. Der famose Percussionist Alexei Gerassimez und das gleichfalls exzellente Signum Saxophone Quartet bieten das alles delikat ausgereizt und bis ins Letzte klanglich ausbalanciert - ein Vergnügen! Harald Eggebrecht

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ Plus"Donda" von Kanye West
:Gottesehrfurcht und Rap-Urkraft

Das neue Album von Kanye West ist da. Braucht die Welt ein spielfilmlanges Gesamtkunstwerk aus 27 Songs, das genau drei Themen hat: Kanye, Jesus - und den Weg des einen zum anderen? Wahrscheinlich schon.

Von Jakob Biazza

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: