Neues Album von Morrissey:Ein großer Lyriker

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Eigentlich ist Morrissey gar kein Mann, wie er in einem neuen Lied betont. Er isst kein Fleisch und würde niemals einer Fliege was zuleide tun, und Stereotypen männlicher Existenz beschreiben ihn nicht. (Foto: Michael Muller/Universal Music)

Auf Morrisseys neuem Album "World Peace is None of Your Business" zeigt der ehemalige "The Smiths"-Sänger all sein poetisches Potenzial. Aus den Songtiteln könnte man problemlos ein Gedicht in Prosa zusammenbauen. Da wirkt die Musik beinahe störend.

Von Eckhart Nickel

Dem Mann ist nicht zu helfen. Einst war er jung, charmant und aller Welt ein Dorn im Auge. Jetzt ist er alt und schaut zurück im Zorn wie ehedem. Eigentlich ist der Mann gar kein Mann, wie er in einem neuen Lied betont. Er isst kein Fleisch und würde niemals einer Fliege was zu Leide tun. Stierkampf wie Stierkämpfer verachtet er gleichermaßen. Um jegliche Zweifel an seiner wahren Berufung zu zerstreuen, bekannte er schon früh auf der B-Seite einer Hitsingle: "Sister, I'm a Poet." Er ist einer, der seinem Hund anstelle eines Knochens den Vintage Meisterstück-Füller von Mont Blanc hinhält, um ihn im nächsten Moment apportieren zu lassen.

Die Rede ist von Steven Patrick Morrissey, Sohn irischer Einwanderer in Manchester, der zusammen mit dem Gitarristen Johnny Marr unter dem Namen The Smiths in den achtziger Jahren lebensrettende Musik für die zerbrechliche Jugend komponiert hat, die bis heute zeitlose Gültigkeit besitzt. Nach dem traumatischen Auseinanderbrechen der Band hat Morrissey nicht aufgehört, weiter Platten zu machen, mal mit mehr Erfolg, mal mit weniger.

Gedicht in Prosa

Aus den Songtiteln dieser Alben könnte man problemlos eine schlüssige Biografie zusammenbauen, ein Gedicht in Prosa. Es würde von seiner Mutter, der Bibliothekarin, erzählen, von dem Willen zur Selbsterfindung und der Enttäuschung über die grausame Natur des Menschen, von der späten Scheidung seiner Eltern und der Abwesenheit von Liebe im Allgemeinen. Eigentlich alles Dinge, um die es bereits immer bei den Smiths ging, nur anders zusammengesetzt.

Während der reduzierte Sound der Smiths aus Rhythmus-Schlagzeug (Mike Joyce) und diskreter Bassgitarre (Andy Rourke) als einzige Extravaganz die Gitarre von Johnny Marr und die Texte von Morrissey betonte, wagte Morrissey sich allein immer wieder in neue Gegenden vor.

Mal hörte es sich nach Dancehall an, dann wieder nach Pubsongs oder echtem Rock, und während die ersten Solo-Versuche noch fast ununterscheidbar nach Smiths klangen, fand er nur einmal in all den Jahren zu einer Formel, die im Idealfall seine Zukunft hätte sein können: Das mit Produzenten-Legende Tony Visconti (Bolan, Bowie etc.) 2006 in Rom aufgenommene Album "Ringleader of The Tormentors", unter anderem mit Ennio Morricone als Gast, hatte orchestrales Pathos und eine opulente Bandbreite an Formen, die auf eine späte Karriere im Showfach des Entrepreneurs (leider inflationär heute: Crooner) hätte hindeuten können.

Genau diese Hoffnung war es, die genährt wurde, als die ersten Zeichen und Nachrichten von Morrisseys neuestem Werk "World Peace is None of Your Business" an die Öffentlichkeit drangen. Die Kurzfilme, die ihn u. a. mit Nancy Sinatra und Pamela Anderson zeigen, während er Stücke des neuen Albums ohne die Musik dazu als reines Gedicht im Studio vorliest, kann man getrost als das Herz des neuen Werks bezeichnen.

Weil es die Texte von ihrer Bestimmung als wörtliches Gerüst der Musik isoliert präsentiert - und plötzlich erkennbar wird, dass das große Lyrik ist. Wenn Morrissey zum Sonnenuntergang auf der Dachterrasse der berühmten Capitol-Studios in Los Angeles steht und hinauf in den leeren Sommerabendhimmel blickt, neben ihm eine gealterte, aber unheimlich fragil und schön wirkende Pamela Anderson, die durch seine deklamierte Verse fast eine geheimnis- und geistvolle Aura bekommt, wird man von einer abgründigen Erkenntnis überwältigt, die doch für sich betrachtet nicht neu ist: Earth is The Loneliest Planet.

Man muss das nur oft genug vor sich hersagen, dann bekommt es den Charakter eines Mantras von mächtiger Gewaltigkeit. Und ein beiläufig dahingeworfener Satz wie "We do what we can" bekommt allein durch den gesprochenen Hintergrund der zwei Sätze davor seine brutale Pointe: "But you fail as a women (Pamela!) and you lose as a man (Morrissey!): earth is the cruellest place you will never understand."

Kampf mit den Tränen

Mit dem leichten Wind auf der Dachterrasse und dem im Hintergrund zu hörenden Autorauschen weit unter ihnen bekommen die Worte ein Gewicht, das sie im Flamenco-Inferno des eigentlichen Liedes verlieren. Die Texte in den Albumblättern sind im altmodischen Font Courier gesetzt, der den Gebrauch einer antiquierten Schreibmaschine suggeriert. Aber während er früher auf der Bühne als dichterische Provokation ganze Blumensträuße aus der Hosentasche hängen hatte, die er für den Refrain dann rhythmisch in der Luft kreisen lassen konnte, trägt er heute in einem der Lyrikfilme die Blume im Knopfloch des Smokings und einen Vatermörder, während er sein grandios gereimtes Lied über den sterbenden Stierkämpfer vorträgt.

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Was sich sonst verbietet, die Namen von Städten in einem Aufzählreim zu verbinden, der sich kraftvoll vor dem Land und seiner zweifelhaften Kampfkultur verbeugt, hier glückt und gelingt es: Mad in Madrid, Ill in Seville. No mercy in Murcia. Und wenn Morrissey am Schluss mit nahezu betenden Händen der Hoffnung Ausdruck verleiht, dass alle den Stier Überleben sehen wollen, ist man tatsächlich den Tränen nah, weil Morrissey selbst mit ihnen zu kämpfen scheint.

Der Weg von dort zu den eigentlichen Liedern ist dann eher abschüssig, weil für sie gilt, dass jeder gute Musiker letzten Endes dem Schauspieler ähnelt, der immer die gleichen Rollen spielt - so wie der Musiker im Grunde stets dasselbe Album aufnimmt. So verstanden ist der titelgebende Opener natürlich ein Wiedergänger von "Death of a Disco Dancer", das seinerseits vom "Dear Prudence" der Beatles abstammt. Und in der fröhlichen Melodie des suizidalen "Staircase at the University", die fast nach den späten Stranglers klingt, spiegelt sich "Girlfriend in A Coma".

Ansonsten ist das musikalische Spektrum nahezu entgrenzt. Es geht von portugiesischen Fado-Klängen über amerikanischen Seventies-Rock à la Heart bis zum Electric Light Orchestra und den erwähnten Flamenco-Gitarren, die knapp an den Gipsy Kings vorbeischrammen. Und je bunter das Arrangement, desto mehr schrumpfen die Worte unter der Allmacht der Klänge in ihrem Deutungshorizont zusammen.

Credo seines Lebens

Natürlich gibt es auf jedem neuen Morrissey-Album immer ein oder zwei Monumente, die den Rest des Mittelmaßes um sie herum vergessen lassen - und für die sich dann letzten Endes das ganze Album gelohnt hat. Diesmal ist es das Credo seines Lebens namens "I'm not a man", wo er sich gegen die furchtbaren Stereotypen der männlichen Existenz verwahrt - wenn Mannsein Mover and Shaker bedeutet, Wife Beater, Smart Ass, Workaholic, Casanova, Caveman. "Well if this is what it takes to describe . . . I'm not a man." Und auch seine Phantasie über den Tod der Beat-Literatur hebt mit der wunderbaren Stanze an: "Neal Cassady drops dead and Allen Ginsberg's tears shampoo his beard".

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In Anbetracht der immer drohenden Überanstrengung, die bei vormaligen Morrissey-Touren zu Kollaps und Absagen führte, sollte er es sich gut überlegen, ob er zukünftig nicht lieber auf Lesereise geht. Der zu früh verstorbene Tempo-Autor Olaf Dante Marx hat bereits in den frühen Neunzigern Morrissey als den großen Lyriker der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet. Marx war Realist und Visionär zugleich. Seine Ruhe bleibt von alldem ungestört.

© SZ vom 11.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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