Die CDs der Woche - Popkolumne:Er will doch nur phantastisch sein

Wireless Festival 2014 - Day 1

Kanye West, glitzernd und schimpfend in London

(Foto: Getty Images)

Kanye West wird nicht ernst genommen, weil er schwarz und berühmt ist? Über diese Ungerechtigkeit beklagte sich der Rapper in London, wo er mit glitzernder Diamantenmaske auftrat. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Jens-Christian Rabe

Das Album der Woche ist ohne Zweifel das titellose Debüt des britischen Elektro-Soul-Disco-Hop-Duo Jungle. Mit "Busy Earnin'" gelang ihnen ja gerade schon ein kleiner Sommerhit. Bisschen angenehm angetäuschtes Kopfstimmen-Gejaule, stark gedämpfte, aber erbarmungslos zart drückende Bässe und Beats, etwas komprimiertes Fingerschnipsen und ein paar dezent-sterile Synthie-Flächen - das war's eigentlich schon, und wenn man auch noch so viele andere gute Songs hat, "The Heat" zum Beispiel oder "Drops", dann ergibt das wirklich eine prächtige Platte voller unwiderstehlicher zeitgenössischer Popmusik. Hui!

Einiges Aufsehen erregte zuletzt auch die australische Sängerin Sia Furler alias Sia, die, wenn sie nicht als Solokünstlerin auftritt, vor allem eine der Menschen ist, die Highscore-Pop-Superstars wie Rihanna, Katy Perry, Britney Spears, Beyoncé oder Kylie Minogue mit neuen Songs versorgt. Für Rihanna schrieb sie etwa den Hit "Diamonds". Jetzt gelang ihr mit "Chandelier" gerade ein Top-Ten-Hit in England und ein Top-20-Hit in den USA. Und trommelfellzersetzender hat wahrscheinlich noch nie ein Mensch das englische Wort für Kronleuchter gesungen: Schanndelieüüüüüüüüüüüüüüü.

Wunderbar auch, dass sie in der Show von Ellen DeGeneres konsequent mit dem Rücken zum Publikum sang; oder sich vom einflussreichen Billboard-Magazin nur zu einem Interview überreden ließ, weil sie auf dem Cover eine Papiertüte auf dem Kopf tragen durfte; oder Sony dazu brachte, für ihr nun erscheinendes Soloalbum "1000 Forms Of Fear" keine Tour und keine Werbung machen zu müssen. Die Musik auf der Platte ist aber leider nicht halb so eigensinnig. Sie klingt vielmehr ziemlich genau so wie die Superstar-Hits aus ihrer Feder. Also wie Breitwand-Synthie-Hymnen mit glasierter Brachial-Vokal-Artistik. Mit einem schönen, gewissenlosen Video-Schlachtengemälde drumherum kann das natürlich große Gegenwartskunst sein. Als bloße Tonspur aber auch mal einfach nur langweilig.

Geraten sei in dieser Woche viel eher zur neuen Single von Jamie XX "All Under One Roof Raving". Untenrum rollt der Beat besser und oben klöppelt phantastisch eine Steel Pan herum. Und weil wir gerade bei den großen kleinen Tipps sind: Den Track "Work, Work" des Rap-Trios Clipping aus Los Angeles muss man auch gehört und das spektakulär minimalistische Video dazu gesehen haben.

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"Synthesist"

Auch wenn es einem dabei ein wenig den Magen umdreht. Die Platte wird zwar erst im August erscheinen, aber hier liegt sie jetzt schon auf dem Tisch und muss deshalb den Preis für den Albumtitel der Woche bekommen: "Synthesist" des Schlagzeugers und Keyborders Harald Grosskopf, der in den Siebzigerjahren im Krautrock und elektronisch-psychedelischen Avantgarde-Pop bekannt wurde. Das Solodebüt Grosskopfs erschien erstmals 1980. Und wenn man es genau nimmt, dann ist das Cover fast noch besser als der Titel. Es gibt eine große Vergangenheit der deutschen Popmusik und in ihren besten Momenten sah sie sogar fabelhaft aus (die Musik pluckert und patscht selbstverständlich auch sehr schön dahin).

Die zornigste Tirade servierte wieder einmal - ja - Kanye West. Live und direkt vom Londoner Wireless Festival. Mit einer glitzernden Diamanten-Maske auf dem Kopf schimpfte der Rapper mehr als zehn Minuten lang über die Ungerechtigkeit der Welt und vor allem über die Ungerechtigkeit, der Kanye West in der Mode- und Lifestyle-Industrie ausgeliefert ist, wo er offenbar nicht ernst genug genommen wird.

Mal, weil er schwarz sei, vermutet West, mal, weil er berühmt sei und mal, weil er ein berühmter Schwarzer sei. Aber unterkriegen lassen wird sich dieser Mann nicht. Weil: "I just want to be awesome, and I want to hang around my awesome friends and change the fucking world, and that's exactly what I plan to do." Er will doch nur phantastisch sein und die verdammte Welt verändern!

Blieben die britischen Charts. Dort wurden eben zum ersten Mal Musikstreams bei Diensten wie Spotify, Deezer oder Napster mitgerechnet. 100 Streaming-Abrufe gelten nun als eine bezahlte Einheit. Auf dem ersten Platz der neuen britischen Single-Charts landete die amerikanische Popsängerin Ariana Grande mit ihrem Song "Problem". Der Anteil von Streams an diesem Erfolg betrug bei 712 000 Abrufen sechs Prozent. Insgesamt lag der Anteil von Streams in den Top-40-Single-Charts bei knapp über 20 Prozent. Und von Ed Sheerans auch in Deutschland sehr erfolgreichem neuen Album "X" stehen dank der Veränderungen nun sämtliche Songs in den offiziellen Top-100-Single-Charts.

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