Neues Album "Ruminations":Conor Oberst - ratlos in Nebraska

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Zurück in Omaha, Nebraska: Conor Oberst. (Foto: WMG; Bearbeitung SZ.de)

"We learned more from a three minute record than we ever learned in school", sang Bruce Springsteen 1984. Und das stimmt auch heute noch. Pop kann uns die Welt erklären - in unserer wöchentlichen Musik-Kolumne.

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Pop kann manchmal unerträglich klischeehaft sein. All die Schablonen und Standardfiguren, die sich Jahr um Jahr, Dekade um Dekade in immer neuen Inkarnationen wiederholen: der dekadente Rocker, die sexy-selbstbestimmte Diva, der großmäulige Rapper, der depressive Holzfäller. Die Geschichte hinter dem neuen Solo-Album von Conor Oberst ist so eine dieser unerträglich klischeehaften Pop-Erzählungen.

Oberst, der in den Nullerjahren unter dem Namen Bright Eyes die verstörendsten und damit besten Teenage-Angst-Songs geschrieben hat, konnte nicht mehr schreiben. Leer, ausgebrannt, verfeuert. Unsicher, ob er jemals wieder einen Song zustande bringen würde, zog er sich aus seiner Wahlheimat New York in seine wahre Heimat Omaha zurück. Und siehe da: In den einsamen und verschneiten Winternächten von Nebraska fand er zurück zur Musik. So steht es zumindest gerade überall. Der waidwunde Folkie erlebt in seiner Holzhütte die rettende Katharsis - eine fürchterlich lahme und erwartbare Geschichte. Doch "Ruminations" (Nonesuch/Warner) ist eine Überraschung - und das beste Album, das Conor Oberst in den vergangenen zehn Jahren gemacht hat. Wie kann das sein?

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Einem prüfenden Ohr offenbart sich zunächst einmal Altbewährtes. Oberst hat die Songs in 48 Stunden in seinem Heim-Studio aufgenommen, das hört man. Piano, Gitarre, Mundharmonika - mehr ist da nicht. Zehn Folk-Reduktionen, die in ihrer Verhuschtheit ganz viel Platz lassen für den eigentlichen Körperschwerpunkt dieser Musik: die Stimme. Dieses meckernde und auch etwas bockige Instrument, das sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten die ganze Bandbreite der Schwermut angesungen hat.

Mit "Ruminations" ist Conor Oberst wieder da, wo er einst begann: in der Ödnis des Mittleren Westens. Und das fühlt sich ein bisschen wie Versagen an: "I'm stone's throw from everyone I love and know/ But I can't show up looking like I do", singt er gleich in der zweiten Zeile des Albums. Zwischen scharfkantigen Mundharmonika-Soli wühlt und kramt er sich tief ins eigene Leben - und in das Leben der anderen. Das ehebrechende Paar im Motel, der müde Trinker am Tresen, das klassische Personal aus Conor Obersts Nebenstraßen-Amerika ist dabei. Mit an Gefühlskälte grenzender Unbarmherzigkeit zerlegt er Traum um Traum - bis er schließlich am eigenen Krankenbett steht: "Catheter piss, fed through a tube/ Cyst in the brain, blood on the bamboo".

Der adoleszente Weltschmerz der Bright Eyes ist einer tieferen Ziellosigkeit gewichen

Conor Oberst windet sich durch Schmerz und Depression, aber er findet keinen Ausweg. Nicht mehr die Liebe ist schuld am Untergang - wie so oft im adoleszenten Frühwerk der Bright Eyes. Der Albumtitel "Ruminations" lässt sich mit "Grübeln" etwas ungelenk ins Deutsche übersetzen. Es ist ein zwanghaftes Grübeln, eine Fixierung auf ein Problem - ohne eine Lösung zu finden.

Und das ist dann auch die große Leistung dieses klischeehaften Albums, das mit allen Klischees bricht: Am Ende steht eben nicht die Katharsis, die Rettung aus der Dunkelheit, niemals. Am Ende ist da nichts als Zwielicht. Und der Mist geht immer weiter. Das ist die Botschaft dieser Platte für die postfaktische Depression. Die Welt ist komplex, sie überflutet einen mit blinkenden Lichtern ("Till St. Dymphna Kicks Us Out"), Pornos und anderen Stimuli ("Barbary Coast (Later)"). Conor Oberst sehnt sich nach einer einfachen Lösung, die bei ihm immer auch Erlösung aus dem Gefängnis des eigenen Verstandes bedeutet. Er vermisse Christopher Hitchens, singt Oberst auf "A Little Uncanny", jenen scharfzüngigen wie brillanten Journalisten, der erbarmungslos gegen religiöse Verblendung feuerte.

Conor Oberst tappt nicht in die Falle von Sündenbocklogik und einfachen Heilsversprechen. Indem er den großen Fragen ratlos gegenüber steht, gelingt ihm ein Album, das sich in diesen ratlosen Zeiten relevant und gegenwärtig. Da ist kein blendendes Selbstmitleid mehr wie bei Bright Eyes, kein Aktivisten-Rock wie mit den Desaparecidos, keine weltfremden Dylanismen mehr wie im vorherigen Solo-Werk.

"Ruminations" ist eine ganz leichte, eine schlichte Platte, die doch nie den einfachen Weg geht. Ein herrlich zielloses Zeitgeist-Grübeln in mindestens fünfzig Grauschattierungen, dem man sich jetzt einen langen, dunklen Winter lang hingeben kann.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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