Popkolumne:So verdammt nah dran

Lesezeit: 3 min

Herausragende Rapper/Produzenten-Allianz: Hit-Boy und Nas. (Foto: Raven B. Varona)

Nas macht Rap für Rapper, Devendra Banhart Ambient für Pandemie-Gestresste. Und Mark Forster? Bricht aus. Zwei Minuten und zwölf Sekunden lang.

Von Jakob Biazza

Das Prädikat des "musician's musician", des Musikers also, der vor allem von anderen Musikern verehrt wird, ist oft zu etwa gleichen Teilen Adelung - und vergiftet. Adelung, weil völlig aufrichtiges Kollegenlob auch unter Künstlern (verschärfte Variante: Rappern) ungefähr so verbreitet ist wie Frauen in Dax-Vorständen. Vergiftet, weil das Ganze implizit doch sehr oft auch sagt: Ganz außergewöhnliche Kunst - meine verkauft sich aber besser. Auf den "rapper's rapper" Nas traf der vergiftete Teil freilich lang nicht zu. Von ihm sind schließlich die auch kommerziell extrem erfolgreichen und brillanten Hip-Hop-Standardwerke "Illmatic" und "It Was Written". Allerdings bekam er für sein jüngstes Album "King's Disease" zwar seinen ersten Grammy, aber eben nicht mal mehr eine Goldene Schallplatte. Womöglich ist also auch er ein wenig beim Gift angekommen. Und womöglich ist ihm das - Geld verdient er schon länger vor allem als Unternehmer - herzlich egal.

(Foto: N/A)

Der am Freitag erschienene Nachfolger "King's Disease II" (Mass Appeal Records) verfolgt jedenfalls schon fast fanatisch das Experten-Konzept. Das Album ist pures MC-Muskelspiel. Großes, aber auch irre entspanntes Technikschaulaufen. Famoses Storytelling. Absoluter Fokus auf Texte und Flow. Aber auch: kaum echte Hooks. Auch nicht in den Beats von Hit-Boy. Schwer elegant, sehr geschmeidige Drums, feine Synthies, warme Bässe, streng durchdachtes Gesamtkonzept. Alles aber nahezu vollständig im Dienst von Stimme und Geschichte. Da bringt eine wirklich herausragende Rapper/Produzenten-Allianz also ein Album, das als Gesamtwerk funktioniert und eher besser wird, je öfter man es hört. Aber nicht einen Song, den man im klassischen Sinne als Hit bezeichnen würde. Fans dürften das lieben. Genau wie die Gäste. Neben Eminem (seine Strophe wird in diversen Videos bereits auf die Reim-Pattern analysiert; große Freude) vor allem Lauryn Hill. Die bügelt extrem souverän Beschwerden darüber ab, dass sie bei Konzerten oft zu spät kommt. Punchline: "My awareness like Keanu in ,The Matrix' / I'm savin' souls and y'all complainin' 'bout my lateness".

(Foto: N/A)

Absolut gegenteiliges Konzept dazu: Der "hipster's hipster" Devendra Banhart bricht auf seinem neuen Album mit Freak Folk und New Weird America. Mit den ganzen immer ein bisschen unter Ironieverdacht stehenden Americana-Modernisierungen also, für die er bekannt ist, und die die Menschen mit Man-Buns und Dad-Sneakern so gern mögen. Er macht jetzt stattdessen Meditationsmusik. Ernsthaft. Also, völlig ernsthaft. "Refuge" (Dead Oceans) ist mit dem Komponisten, Produzenten, Gitarristen und Langzeitfreund Noah Georgeson entstanden, während der pandemischen Isolation, weshalb zunächst jeder für sich arbeitete. Erst später brachte man das Material zusammen, das dafür schon fast unverschämt gut ineinanderfließt. Dennoch ein Wort der Warnung: Es ist Ambient-Musik! Eingespielt mit echten Gitarren, Klavieren, Pedal-Steels, Harfen und ganz viel analogem Synthie-Gewolke. Und ja, damit womöglich wirklich wohltuend nach diesen angespannten Monaten, die ja langsam Jahre werden. Aber, da darf man sich nichts vormachen, schon auch bis in den hintersten Takt durchtränkt von "Atme ein - atme aus - komm zur Ruhe - finde deine Mitte - lass alles an dir abgleiten, was dich belastet - sei leicht - falle".

(Foto: N/A)

Der "darling's darling" Mark Forster ist nicht der Typ für Brüche. "Musketiere" (Sony Music) ist also wieder ein klassisches Mark-Forster-Album, sein inzwischen fünftes. Jeanshemden-Sneaker-Base-Cap-Deutschpop. Musik wie Samstagabend-Shows auf Pro Sieben. Und darin, dafür gebührt Forster zunächst mal durchaus Respekt, fast ein eigenes Genre. Einerseits. Andererseits hat man bei dem Sänger in ganz seltenen Momenten ja doch auch das Gefühl, dass er gern mehr wollen würde. Einen Tick mehr Mut. Eine Spur weniger Format. Bisschen ausbrechen, ganz kurz nur und muss ja auch gar nicht radikal sein. "Leichtsinn", produziert vom gar nicht genug zu verehrenden Duo Kitschkrieg lässt so was erahnen. Und noch etwas mehr der Opener "OK Wow". Ein ganz fein minimalistischer Electro-R'n'B-Hopser. Plüschige Atmosphäre, schwingt untenrum wirklich sehr locker. Der Beat stromert heran, Chöre schießen Lichtstrahlen durch die Szenerie, die Synthies pluckern los. So treibt das einem ganz wunderbar sommer-coolen Outro entgegen, baut unendlich Chancen auf - so viele Möglichkeiten, wo das jetzt hingehen kann -, holt noch mal tief Luft ... und ... bricht dann einfach ab. Zwei Minuten, zwölf Sekunden Hoffnung. So verdammt nah dran. Dann kommen ein paar Songs, die auch Schlager sein könnten.

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