Musik und Politik:Macht in C-Dur

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Klassische Musik war schon immer ein teurer Spaß, den sich nur die Herrschenden leisten können. Im Bild die Dresdener Semperoper. (Foto: dpa)

Wilhelm Furtwängler dirigierte zu Hitlers Geburtstag. Der Jahrhundert-Cellist Pau Casals weigert sich hingegen, in Diktaturen zu spielen: Dürfen sich große Musiker zu aktuellen Fragen äußern? Sie können gar nicht anders! Warum klassische Musik schon immer politisch war.

Von Reinhard J. Brembeck

Es war ein kurzer, aber symbolträchtiger Auftritt. Kurz bevor Barack Obama vor sechs Jahren seinen Amtseid als amerikanischer Präsident ablegte, spielten ihm vier amerikanische Klassikmusiker ein Ständchen. Es musizierten die aus Venezuela stammende Pianistin Gabriela Montero, der in Israel geborene Geiger Itzhak Perlman, der Cellist Yo-Yo- Ma, Sohn chinesischer Eltern, und der in Chicago aufgewachsene Klarinettist Anthony McGill, ein Schwarzer. Sie spielten eine Komposition des weißen New Yorkers John Williams. Jedem Zuschauer weltweit war klar, was das bedeuten sollte: Wir alle sind das Volk.

Solche spektakulären Symbiosen zwischen Macht und Musik sind nicht die Ausnahmen. Sie waren vielmehr immer schon die Regel. Klassische Musik ist ein teurer Spaß, dessen Finanzierung sich nur die Herrschenden leisten können. Ausbildung, Instrumente, Orchester und Opernhäuser erfordern dauerhaft größte finanzielle Aufwendungen, die weder Privatpersonen noch der Klassikmarkt allein leisten können. Deshalb war es für Klassikkünstler schon immer ratsam, sich mit der aktuellen Regierung gut zu stellen, das galt im frühen Mittelalter für die Gregorianikspezialisten des Papstes genauso wie für Musiker der Neuzeit.

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:Sollten sich große Musiker zu aktuellen Fragen äußern?

Wilhelm Furtwängler dirigierte zu Hitlers Geburtstag. Der Jahrhundert-Cellist Pau Casals weigert sich hingegen, in Diktaturen zu spielen: Sollte klassische Musik politisch sein?

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Wilhelm Furtwängler dirigierte am Vorabend von Hitlers Geburtstag

Die Grade der Anbiederung variierten. Der grandiose Tenor Giovanni Martinelli etwa nahm die Faschistenhymne "Giovinezza" auf. Andere warfen sich dem Nationalsozialismus noch hemmungsloser in die Arme, so die NSDAP-Mitglieder Elly Ney oder Herbert von Karajan und der Nazi-Sympathisant Karl Böhm. Auch Wilhelm Furtwängler dirigierte am Vorabend von Hitlers Geburtstag, verstand diese Unterwerfungsgeste aber als Rettung der Hochkultur in barbarischen Zeiten.

Debatte über Valery Gergiev
:Ich bin doch nur ein Musiker

Er gilt als herausragender Dirigent, trotzdem wird Valery Gergiev in Bayern nicht mit offenen Armen erwartet - seine politischen Ansichten sind umstritten. Kann der offene Brief des designierten Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker die Wogen glätten? Im Gegenteil: Jetzt muss man erst recht über das Verhältnis von Kunst und Politik diskutieren.

Von Rainer Erlinger

Unter den hochbegabten Sympathisanten der Mächtigen ist der Dirigent und Putin-Versteher Valery Gergiev, designierter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, derzeit das prominenteste Beispiel. Auch wenn solche politischen Einlassungen stets viele Reaktionen und oft auch moralische Empörung nach sich ziehen - musikhistorisch sind sie die Normalität. Und natürlich erlaubt die Gesinnung eines Musikers keinen Rückschluss auf seine musikalische Qualität.

So leidenschaftlich wie Casals hat seither kein Musiker mehr für die Freiheit gekämpft

Relativ neu und seltener ist hingegen der Typ des systemkritischen Musikers. Den Prototyp dafür gibt nach wie vor der Jahrhundertcellist Pau Casals ab. Casals weigerte sich, in Diktaturen oder autoritären Staaten aufzutreten und begründete dies in flammenden Zeitungsaufrufen. Als Katalane wusste er, was Unterdrückung und Unfreiheit bedeuten. Er bekämpfte sie mit Cello und Taktstock, Reden und Artikeln. Nach Francos Sieg über die Republik in Spanien zog er sich nach Prades in die französischen Pyrenäen zurück und wetterte von dort aus gegen den Usurpator. Im nazibesetzten Frankreich schlug Casals, durch seine republikanische Begeisterung ohnehin suspekt, dann auch noch eine Konzerteinladung nach Berlin aus - ein nicht ungefährlicher Schritt. In John F. Kennedy hingegen sah er einen Verbündeten im Kampf für die Freiheit. Sein Konzert 1963 im Weißen Haus nannte der Cellist " eines der bedeutendsten Ereignisse meines ganzen Lebens".

So radikal hat sich seither kein klassischer Musiker mehr politisch positioniert, nicht einmal Daniel Barenboim oder Gidon Kremer. Aber es hat immer Signalwirkung, wenn Klassikmusiker ihre Stimme erheben, wenn etwa die Pianistin Gabriela Montero nach dem Konzert für Obama in ihrem Klavierkonzert "ExPatria" gegen Gewalt und Korruption in ihrem Geburtsland Venezuela protestiert. Der eng mit dem Establishment seiner Heimat verbundene Dirigent Gustavo Dudamel, Venezolaner wie Montero, lässt hingegen keine Kritik an den dortigen Zuständen hören. Und sein deutscher Kollege Christian Thielemann hat sich jüngst in der Zeit als bildungsbürgerlicher Pegida-Versteher zu erkennen gegeben.

Und nicht nur die Musiker sind, ja, müssen politisch sein. Auch die Kompositionen sind unauflöslich verbunden mit dem sie bedingenden politischen System. Diese Erkenntnis ist gerade in Deutschland noch immer ungeliebt. Seit die Frühromantiker, beginnend mit dem Schriftsteller Wilhelm Heinrich Wackenroder, das Verdikt der "Absoluten Musik" errichtet haben, gilt gerade die Instrumentalmusik als der tristen Wirklichkeit enthoben, als "erhaben". Diese Überhöhung aber richtete sich weniger an der kompositorischen Wirklichkeit aus. Sie kam vor allem dem zeitgebundenen Bedürfnis einer intellektuellen Elite entgegen. Diese lehnte ihre zunehmend industrialisierte und entfremdete Zeit radikal ab und suchte Zuflucht und Erlösung in einer reinen Musik, die deshalb nichts mit der Realität zu tun habe durfte.

Und dennoch spiegelte jede Komposition die politischen und sozialen Umstände wider, in der sie entstand. Jedem Stück schreiben Komponisten ihre Heilserwartungen ein.

Die Vokalpolyphonie des 16. Jahrhundert, die ihre Fortsetzung in Bachs Fugen und der Kammermusik fand, predigte im hierarischen Feudalismus die völlige Gleichberechtigung. Es gibt kein Opernlibretto des 18. Jahrhundert, das nicht die Sehnsucht nach einer rechtsstaatlich friedlichen Herrschaft ausdrückt. Und die für die Wiener Klassiker so typische "durchbrochene Arbeit", die ein Thema auf verschiedene Instrumente und Stimmen verteilt, ist nichts anderes als das Pendant zur damals aufkommenden Arbeitsteilung.

In Schumanns Musik hört man die Zerrissenheit in der Zeit des Wiener Kongress

Als Schumann mit größter Anstrengung aus kleinsten Motiven große Gebilde konstruierte, reflektierte er die Zerrissenheit des Individuums zwischen Aufbruch und Restauration in der Zeit des Wiener Kongress. Der Komponist Hans Pfitzner schrieb nach den Zerstörungen des Ersten Weltkriegs und der Musikrevolution durch Schönberg die romantische Kantate "Von deutscher Seele". Dabei missbrauchte er den Dichter Eichendorff zu einer Verklärung intakten Deutschtums, die auf eine Apologie der Dolchstoßlegende hinauslief. Und in seiner Sinfonie in C-Dur (1940) steht diese harmloseste der Tonarten, deren Schlichtheit Bach im "Wohltemperierten Clavier" grandios unterlief, für die Sehnsucht nach Neuanfang, Reinheit und einer unkomplizierten Welt. Dmitri Schostakowitsch dagegen wurde von den Sowjets gezwungen, auf die Avantgarde-Tendenzen seiner Oper "Die Nase" zu verzichten, musste romantisch tonaler schreiben und revanchierte sich, indem er in unendlich tristen und sinnentleerten Tableaus die Realität des Systems vorführte.

So lässt sich jede Musik politisch verstehen - der Hörer muss nur genügend Phantasie mitbringen.

© SZ vom 31.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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