Mülheimer Dramatikpreis:Ihr Platz in der Welt

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Szene aus dem Gewinnerstück "Tragödienbastard" von Ewelina ("Ewe") Benbenek, uraufgeführt am Schauspielhaus Wien. (Foto: Matthias Heschl)

Ewelina Benbenek gewinnt den Mülheimer Dramatikpreis für ihr Debüt "Tragödienbastard". Die Autorin ließ bekannte Nominierte wie Sibylle Berg und Rainald Goetz hinter sich.

Von Christiane Lutz

Am Ende war es eine Stimme, die über den Mülheimer Dramatikpreis entscheiden musste. Da waren noch zwei sehr unterschiedliche Stücke von zwei sehr unterschiedlichen Autoren im Rennen: Rainald Goetz' "Reich des Todes" (uraufgeführt am Deutschen Schauspielhaus Hamburg in der Regie von Karin Beier) und "Tragödienbastard" von Ewelina Benbenek (uraufgeführt am Schauspielhaus Wien von Florian Fischer).

Jurymitglied und Theaterkritiker Janis El-Bira schnaufte unter der Last (er hätte Sibylle Berg favorisiert) und entschied sich dann für Benbeneks "Tragödienbastard". Die Autorin erhält den mit 15 000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikpreis, eine der wichtigsten Auszeichnungen im deutschsprachigen Theater. Es ist die Würdigung einer Zukunftshoffnung gegenüber dem Etablierten, kann man sagen, "Tragödienbastard" ist Benbeneks erstes Theaterstück.

Ewe Benbenek, Gewinnerin des Mülheimer Dramatikpreises 2021. (Foto: Elisa Maria Schmitt)

Neben Goetz waren außerdem nominiert: Sibylle Bergs "Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden", Thomas Freyers "Stummes Land", Rebekka Kricheldorfs "Der goldene Schwanz", Christine Umpfenbachs "9/26 - Das Oktoberfestattentat" und Boris Nikitins "Erste Staffel. 20 Jahre großer Bruder."

Goetz' Nominierung als einer der sieben Finalisten war abzusehen, "Reich des Todes" ist sein erstes Stück seit 20 Jahren, ein monströser Textberg, 100 Seiten, auf denen nichts weniger als die Frage verhandelt wird, warum das Böse auf der Welt ist. Ein Text, an dem man nicht vorbeikam in einem Theaterjahr, das trotz Corona 85 deutschsprachige Uraufführungen hervorbrachte. Die fünf Mitglieder der Preis-Jury diskutieren, ob dieser Text eine Zumutung für das Theater sei (ist er) und ob es legitim sei, reale Ereignisse wie Folterszenen aus dem Gefängnis Abu Ghraib mit fiktiven Szenen zu mischen (eher nein). Die dreistündige Debatte war, wie in diesem Jahr sämtliche Inszenierungen der für die Mülheimer Theatertage nominierten Stücke, im Netz zu sehen.

Der Text handelt von drei Frauengenerationen zwischen Polen und Deutschland und der Suche nach einer Sprache

Goetz, ein alter Hase im Literaturgeschäft, hat den Mülheimer Dramatikpreis bereits dreimal gewonnen. Zum ersten Mal 1988, da war Ewelina ("Ewe") Benbenek gerade mal drei Jahre alt. Sie wurde 1985 in Polen geboren und kam Ende der Achtzigerjahre nach Deutschland. Als Kultur- und Literaturwissenschaftlerin arbeitete sie einige Jahre an der Universität Hamburg. Ein Stück zu schreiben habe sie eigentlich nie geplant, sagt sie im Vorstellungsvideo.

"Tragödienbastard" ist die Geschichte von drei Frauengenerationen zwischen Polen und Deutschland, die von sich erzählen wollen, ohne die Sprache dafür zu haben. Sie thematisiert die Probleme des "Migrantenkindes", das einerseits versucht, Familienerinnerungen lebendig zu halten, und sich andererseits einen Platz in der Gegenwart erobern will. Themen, die Benbenek selbst gut kennt und zu denen sie auch forscht. Die Unbeholfenheit und gewisse Mühsal mit der Sprache, mit der das Stück beginnen, erzeugen, so die Jury, im Zuschauer und im Leser genau jene Abwehr und Ungeduld, die Menschen eben oft erleben, wenn sie fremd sind in einem Land. Diese zum Thema gemachte Verletzlichkeit und Nacktheit, die Sprache der Sprachlosen waren es, die die Jury überzeugten. Rainald Goetz, da waren sich alle einig, würde das verstehen.

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