Salzburger Festspiele:Mystische Zumutungen

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Morton Feldmans "Neither" basiert auf einem Text von Beckett und firmiert als Oper - ist aber im traditionalistischen Sinn gar keine. (Foto: Rob Bogaerts / Anefo)

Nur wenige Zuhörer ergriffen die Flucht: Die magischen Zeitkünste des Komponisten Morton Feldman bei den Salzburger Festspielen.

Von Wolfgang Schreiber

Markus Hinterhäuser, Pianist, jetzt Intendant der Salzburger Festspiele, erfand vor drei Jahrzehnten "Zeitfluss", Konzerte im Festspielrahmen - ein Aufwind der Jungen gegen den Traditionalismus der Alten. Seine Idee im Zeichen Luigi Nonos: Andere Wege gehen, die Musik der Gegenwart feiern, die Wahrnehmung tiefer legen. Der 1987 verstorbene Avantgardist Morton Feldman hat jetzt eine eigene Konzertschiene bei dem Festival, Hinterhäuser ist am Ziel, er streitet für Feldmans unerhörte Zeit-Kunst, oder Kunst-Zeit, sogar am Klavier, in Salzburgs barocker Kollegienkirche.

"Ich bin an Zeit in ihrem unstrukturierten Zustand interessiert", philosophierte der in New York geborene Morton Feldman, "mich interessiert, wie dieses wilde Tier im Dschungel, nicht im Zoo lebt." Unstrukturiert meint seine zentralen Ideen: befreiter Umgang mit dem Phänomen Zeit, Befreiung des Klangs. "Mich interessiert die Art, wie Zeit existiert, bevor wir unsere Klauen hinschlagen, unsere Ideen und Vorstellungen."

Das hat Folgen für ein anderes als das vertraute Musizieren und für das neue, ganz offene Hören der Musik, besonders derjenigen Feldmans, bei zwei der insgesamt vier Salzburger Konzerte. "Sehr langsam" und auch "sehr leise" lauteten die Vortragsanweisungen schon in Feldmans frühen Partituren. Diese hatten von Anfang an mit den expressiven oder seriell konstruktivistischen Musiken der etablierten Moderne und Avantgarde, von Schönberg/Strawinsky bis Stockhausen/Boulez, nichts zu tun.

Anatolische Teppichknüpfer waren ein Modell für Feldmans flächig angelegte Musik

Mehr mit den exzessiven Farbkünsten der New Yorker Malerfreunde, zu denen Jackson Pollock und Mark Rothko, Jasper Johns und Robert Rauschenberg gehörten. John Cage, der Ältere, war es, der den jungen Feldman von Selbstzweifeln erlöste, den Skrupeln angesichts der nunmehr eliminierten Kunstkategorie "Ausdruck". Die Technik anatolischer Teppichknüpfer war das andere Modell für Feldmans flächig angelegte Musik: Klänge sollen so frei und kontemplativ vom Ohr aufgenommen werden wie die Farben der Maler und die Zeichen, Formen und Symmetrien der Tapisserie mit den Augen.

Wie das im weiten hohen Kirchenraum funktionieren kann, erfahren die Masken tragenden, neuerdings abstandslos platzierten Besucher der Salzburger Kollegienkirche, wo die schwebenden Klangbilder betören. Das Ensemble Klangforum Wien unter Emilio Pomàrico zaubert aus dem gleißenden Spiel je zweier Röhrenglocken und Klaviere, zweier Violinen und Violoncelli das Stück "Between Categories" hervor. In knapp fünfzehn Minuten wird Feldmans Welt der zerfließenden Klänge gegenwärtig. Die Frage drängt sich auf: Was sagt und wovon erzählt diese elegante, nur mit sich selbst befasste, alle funktionalen Zusammenhänge von sich weisende Musik der isolierten, ein faszinierendes Schillern herbeirufenden Tonfarbentupfer? Will sie überhaupt etwas sagen?

Eine Musik ohne tonal organisierte Architektur

Die Frage fördert auch bei "For Samuel Beckett" für 23 Spieler, einem Stück aus Feldmans Spätphase, keine schlüssige Antwort hervor, aber weist unnachsichtig zurück auf die oder den Fragenden: Was verursacht und bewirkt beim Zuhörenden eine Musik der fast einstündigen, so absichts- wie zwecklosen Verweildauer? Ungeduld etwa oder die Anspannung ständigen Beobachtens und Sinnsuchens, oder Langeweile durch das Scheitern des logischen oder wenigstens gewohnt musikaffinen Denkens, die Ratlosigkeit dank der ins Leere laufenden Gefühle? Nur sehr wenige im vollbesetzten weiten Kirchenraum ergriffen die Flucht.

Eine Musik ohne tonal organisierte Architektur. Das permanent sich drehende Rad schimmernder Cluster-Klangfelder, darin die sich stets überlagernden Bläserfarbenspiele über ostinater Bassgrundierung, die minimalen sachten Klangverschiebungen - es entsteht eine Welt der reinen Gegenwart. Auch in Feldmans anderthalbstündigem Kammermusiktrio "Crippled Symmetry", uraufgeführt 1984 in Berlin, eines der kurzen unter seinen berüchtigt langen Stücken.

Drei Musiker an jeweils zwei ihrer Instrumente schaffen ein Wunder an subtilen, intim kombinierten Mehrklängen. Der musikalische Ablauf solch mystischer Zumutungen ist bestimmt vom Ineinandergreifen von Flöte oder Bassflöte (Dietmar Wiesner), Vibraphon oder Glockenspiel (Christoph Sietzer, für den erkrankten Martin Grubinger), Klavier oder Celesta (Markus Hinterhäuser). Was mehr zu bewundern war, musste offenbleiben: Feldmans Format eines schier ins Unendliche gedehnten Spannungsauf- und -abbaus, die drei Musiker des langen und äußerst langsamen miteinander Spielens, Atmens, besonders im hypnotisch wirkenden Finale, oder das im sogartigen Ungewissen gespannt harrende Publikum der Salzburger Festspiele.

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