Essen (dpa/tmn) - Damen-Boots im Originalkarton für 30 Euro, die sonst das Fünffache kosten? Der Kaschmirmantel einer gehobenen Herrenmarke, preislich eigentlich hoch dreistellig, für 75 Euro? Wie ist das möglich? Die Antwort lautet: secondhand. Ah, gebraucht, denken Sie jetzt - also muffig und ein bisschen abgetragen. Nein, keineswegs. Sondern oft nahezu neuwertig, fast wie aus dem Laden.
Sogar Big Fashion hat den Trend erkannt
Gebrauchte Kleidung ist längst aus der Flohmarkt-Nische raus und bis ins Luxussegment vorgedrungen. „Das Thema war noch nie so groß wie jetzt“, sagt Dominique Ellen van de Pol, Autorin und Expertin für nachhaltige Mode. Secondhand sei eine riesige Industrie, die immer wichtiger wird, gerade bei jüngeren Menschen.
Die Modeindustrie hat den Trend erkannt. Die Shopping-Plattform Zalando zum Beispiel hat vor wenigen Monaten einen eigenen „Preowned“-Bereich für gebrauchte Ware auf ihrer Webseite eingerichtet. Mit Zircle - eine Anlehnung an das Wort Kreislauf - hat das Unternehmen einen eigenen Marktplatz geschaffen. Und der Fashion-Riese H&M beteiligte sich an der Plattform Sellpy, die im vergangenen Jahr von Schweden nach Deutschland gekommen ist.
Die Pandemie dürfte den Trend beschleunigt haben. „In Corona-Zeiten sitzen alle zu Hause und starren auf den Kleiderschrank“, sagt van de Pol. „Viele kriegen erst mal die Krise und sortieren aus, sie wissen nicht, wohin mit all dem Zeug.“ Flohmärkte und Secondhand-Geschäfte sind geschlossen, Online-Plattformen nun der einzige Verkaufsweg: zum Beispiel Vinted (früher Kleiderkreisel), Mädchenflohmarkt, Momox Fashion oder Rebelle und Vite EnVogue für Designermode.
Schneller Wertverlust
Ein Grund, warum sich Secondhand lohnt, liegt auf der Hand: Man bekommt viele Teile einfach wahnsinnig günstig. So preiswert, dass man sich manchmal fragt, wie das überhaupt sein kann. Van de Pol hat die Erklärung: „Getragene Kleidung verliert extrem schnell an Wert. Man bekommt sie in der Regel nur für einen Bruchteil des Neuwerts wieder verkauft.“
Auf den einschlägigen Plattformen lässt sich gezielt nach Marken, Farben und auch nach dem Zustand der Kleidung filtern. Van de Pol rät, auf die Bewertungen der Verkäufer zu achten, um Abzocke zu vermeiden. Denn Betrüger gibt es durchaus. Am sichersten ist die Bezahlung über Systeme mit Käuferschutz, etwa Paypal. Hier bekommen Käuferinnen und Käufer das Geld im Zweifel wieder zurück.
Gut für den Geldbeutel - aber auch fürs Gewissen?
Neben dem finanziellen Aspekt geht es bei gebrauchter Mode um das große Ganze: „Secondhand bringt zwei große Bedürfnisse miteinander in Einklang: den Wunsch nach Vielfalt und Abwechslung im Kleiderschrank und nach bewussterem Konsum“, sagt der Geschäftsführer von Vinted, Thomas Plantenga. Nachhaltigkeitsexpertin van de Pol meint, durch die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel hätten gerade viele jüngere Menschen innegehalten - und daraufhin secondhand aus ökologischen Gründen zum ersten Mal ausprobiert.
Sie gibt aber zu bedenken: „Nur, weil man secondhand kauft, engagiert man sich nicht automatisch gegen Fast Fashion. Viele verlagern ihr impulsives Shopping-Verhalten lediglich auf den Online-Bereich.“
Auch der Versand schlägt sich in der CO2-Bilanz nieder. Die Expertin rät daher dazu, erst einmal nach Secondhand-Läden im eigenen Viertel Ausschau zu halten - wenn diese wieder offen haben. „Dort kann ich die Sachen anprobieren und muss sie nicht zurückschicken, wenn sie mir nicht gefallen, das spart letztlich Ressourcen.“
Umtausch leider nicht möglich
Über eines sollten sich Modeaffine, die secondhand ausprobieren möchten, im Klaren sein: In vielen Fällen kauft man von Privatleuten und hat keine Möglichkeit zum Umtausch. Greift man voll daneben, hat man aber noch die Möglichkeit, das Teil erneut auf einer Online-Plattform einzustellen oder zum Flohmarkt zu bringen - und einen anderen Käufer damit zu beglücken.
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