Mitglied der Manson-Bande äußert sich:Die zweite Erleuchtung

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Als ehemalige Jüngerin des Massenmörders Charles Manson sitzt Patricia Krenwinkel so lange im Gefängnis wie keine andere Amerikanerin. Nun erzählt sie in einem bizarren Video, sie habe etwas gefunden, das sie nicht kannte: sich selbst.

Von Willi Winkler

Im November wird er, unglaublich, achtzig Jahre alt. Kein älterer Herr mit jährlicher Urlaubsreise auf einem mittelteuren Kreuzfahrer, kein weißhaariger Gentleman, der für die letzten Jahre noch eine halbwegs junge Frau gefunden hat, eine Krankenschwester, der die Lust nach seinem Geld nicht allzu deutlich aus den Augen lodert. Charles Manson war einmal der Teufel beziehungsweise, da gehen die Ansichten etwas auseinander: Jesus.

An guten Tagen kann er immer noch so böse schauen wie früher und damit auch die Leute erschrecken, die bei dem Hakenkreuz, das er sich oben an die Nasenwurzel geritzt hat, nicht wissen sollten, woran sie bei ihm sind.

Charles Manson und Amerika
:Vom Massenmörder zur Kultfigur

Vor 40 Jahren töteten Charles Mansons Jünger bestialisch fünf Menschen. Heute ist der Sektenführer zu einer düsteren Ikone der Gegenkultur geworden.

Im August vor 45 Jahren fand in Woodstock das nachmals als Friede-Freude-Eierkuchen-Happening bekannt gewordene Festival statt, die Selbstfeier einer gewaltfreien und angeblich liebevollen Generation. Eine Woche vorher, am 9. August, schickte auf der anderen Seite des amerikanischen Kontinents Charles Manson seine leibeigenen Blumenkinder zum Töten aus. In zwei Nächten massakrierten sie sieben Menschen, darunter die Schauspielerin Sharon Tate, die im neunten Monat schwanger war.

Eine der Mörderinnen war Patricia Krenwinkel, damals 21. Zu Hause hatte sie sich als hässliches Entlein gefühlt, die Eltern waren geschieden, sie war zu ihrer drogensüchtigen Schwester gezogen und hatte in San Francisco ihren Retter gefunden: Charles Manson. Er schenkte ihr Liebe und er teilte die LSD-Tabletten aus, als wären es Hostien. Die Diät in der Kommune war auch sonst bescheiden: Als früher Öko-Krieger verabscheute der Vegetarier Manson die Zivilisation und ließ seine Anhänger das Gemüse einsammeln, das hinter den Supermärkten vergammelte.

1970 wurden sie für ihre Mordtaten zum Tode verurteilt. Da das Oberste Gericht Kaliforniens zwei Jahre später die Todesstrafe vorübergehend abschaffte, verbüßen sie stattdessen eine lebenslange Haft.

Keine Amerikanerin saß länger im Gefängnis als Patricia Krenwinkel. Dort hat sie über die Jahrzehnte etwas gefunden, was sie vorher nicht kannte: sich. 66 ist sie mittlerweile. In einem Film-Clip, der über die Website der New York Times zu sehen ist, spricht sie nun wie in einem dilettantischen Schulungsfilm direkt in die Kamera: eine ältere Frau, die Frisur im Griff wie die Falten, in Hamburg würde man sagen: sehr gepflegtes Äußeres.

Aber sie ist ohne Zweifel auch eine gute Christin und vor allem eine mustergültige Amerikanerin, wenn sie sagt: "Ich gab den Menschen auf, der ich hätte sein können." Das ist die Art Erkenntnis, zu der Selbsterforscher in Encounter-Gruppen rasch finden, ohne dabei viel erkannt zu haben.

Manson verfolgt Amerika bis heute

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Die Geschichte der Manson-Familie, die frühchristlich und vorapokalyptisch zugleich die traditionellen family values zerstören wollte, verfolgt Amerika bis heute. In einem Land, dem ein Engel das Buch Mormon diktiert hat und das begeistert eine vulgärfreudianische Dauerselbsterforschung betreibt, kam Mansons Messianismus nicht ganz aus heiterem Himmel. Es ist auffällig, dass einige dieser sehr alt gewordenen Blumenkinder von einer neuen Bekehrung reden müssen, dass sie heimgefunden haben zu Gott, nachdem sie vorher dem großen Satan verfallen waren, dem Mann mit dem Hakenkreuz unter der Stirn.

Charlie war der Gott, der sie einst von Amerika und ihrer Hässlichkeit erlöst hatte. Sie sollten sich, wenn er mit ihnen ins Bett ging, vorstellen, dass sie mit ihrem Vater schliefen. Der eher gnomenhafte Charlie gab den Mädchen mit einem Mal ein Selbstbewusstsein. Als Zuhälter - sein einziger erlernter Beruf - war er nicht so eigensüchtig, die unio mystica allein mit ihnen zu feiern, sondern er lieh seine Mädchen großzügig her.

Dennis Wilson von den Beach Boys wusste ein Lied davon zu singen, auch der Produzent Terry Melcher, Sohn von Doris Day. Leider verhalfen die beiden Charlie dann doch nicht zu dem ersehnten Plattenvertrag, und nur der Zufall bewahrte sie davor, ebenfalls umgebracht zu werden.

Sie habe sich am Wertvollsten vergangen, am Leben, sagt nun Patricia Krenwinkel, die alte Frau mit einem Schaubühnen-Gesicht, als wäre sie Edith Clever. 1970 im Prozess war sie noch ganz und gar von Charles Manson erleuchtet. Krenwinkel hat sich dann von ihm losgesagt, sie hat im Gefängnis, wo sie anderen hilft und selber malt, einen Universitätsabschluss gemacht, sie hat sich gefunden. Es ist wieder die Selbstfeier, der reine Horror.

© SZ vom 08.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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