Nachruf auf Michael Gwisdek:Überall zu Hause

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Der Osten war für Michael Gwisdek gar nicht aus der Welt. (Foto: imago/Christian Kielmann)

Michael Gwisdek konnte alles spielen, waren Rollen für ihn doch ein Job und keine persönliche Beichte. Das Verhältnis zwischen Ost und West blieb doch immer sein Thema.

Von Susan Vahabzadeh

"Dreharbeiten sind Lebenszeit", hat Michael Gwisdek einmal gesagt, und damit meinte er, dass er sich seine Filme oft danach aussuchte, mit wem er es beim Dreh zu tun bekam. Das erklärt ganz gut, dass er sich mit gleichbleibendem Elan auf die unterschiedlichsten Rollen stürzte: in all den Shakespeare-Inszenierungen etwa, die er am Theater spielte; in diversen "Tatorten"; auf Dallow, den Historiker in Roland Gräfs "Der Tangospieler", 1991, der im Gefängnis war für versehentliches Rebellentum; oder den Herrn Peschke, der in "Nachtgestalten" (1999) von Andreas Dresen einen afrikanischen Flüchtlingsjungen aufgabelt. Zum Teil waren das Filme, die auf dem Papier schon unter Filmpreisverdacht standen und dann auch welche bekamen, für den "Tangospieler" etwa wurde Gwisdek mit dem Filmband in Gold als bester Schauspieler geehrt. Aber er machte sich auch ärgsten Klamauk zu eigen und scheute sich nicht vor Ausflügen auf dem Fernseh-"Traumschiff".

Für einen richtigen Schauspieler ist, nach der Lesart von Michael Gwisdek, eine Rolle zunächst einmal ein Job und keine persönliche Beichte. Das Berlinern, die zurückgenommenen Gesten, das mag für ihn tatsächlich persönlich gewesen sein. Ansonsten konnte er alles sein: Vom Ex-Rektor Klapprath in Wolfgang Beckers "Goodbye, Lenin!" bis zu einer tragischen Figur am Ende des Lebens in Matti Geschonnecks "Boxhagener Platz" oder dem Vater von Mario Barth in "Männersache".

Gwisdek, am 14. Januar 1942 in Berlin geboren, hat die erste Hälfte seiner Karriere in der DDR durchlebt, das wird diesem Professionalismus sicher förderlich gewesen sein. Man legte Wert aufs Handwerk, und zumindest so, wie er das Arbeiten dort beschrieb, ging es nicht dauernd ums Überleben. Zunächst einmal wurde Gwisdek Dekorateur, den Platz an der Staatlichen Schauspielschule Berlin hat er erst nach zweimaliger Ablehnung bekommen, es folgten langjährige Engagements an der Volksbühne Berlin und am Deutschen Theater. Ganz am Anfang, als er noch nicht wusste, ob das mit der Schauspielerei klappt, hatte Gwisdek auch Regie-Kurse belegt, und er hat dann 1988 tatsächlich seinen ersten eigenen Film inszeniert: "Treffen in Travers", über den Revolutionär Georg Forster, der 1793 Paris verlässt, um seine Frau zu sehen, die längst mit einem anderen lebt, gespielt von Gwisdeks damaliger Frau Corinna Harfouch, der Mutter seiner beiden Söhne. "Treffen in Travers" wurde nach Cannes eingeladen, in die Nebensektion Un certain regard. Aber Gwisdek, der Schauspielprofi, hat dann doch auf seine immer markanter werdenden Züge gesetzt, die zweite Karriere hinter der Kamera trat nicht in den Vordergrund.

Mit der Wiedervereinigung wurde auch sowieso gerade alles anders, Gwisdek tat sich nicht schwer im gesamtdeutschen Kino. Und doch sind die Geschichte der DDR und das Verhältnis zwischen Ost und West doch immer irgendwie sein Thema geblieben. Dabei hat er gerne darauf hingewiesen, dass man sich im Westen das Leben im Osten doch falsch vorgestellt habe - und gern mal ein paar Probleme dazugedichtet hat, die es gar nicht gab. Für Michael Gwisdek selbst gab es jedenfalls immer wieder Berührungspunkte mit der weiten Welt, die man aus der Erinnerung fast getilgt hat. So konnte er schon in den Achtzigerjahren mehrfach im Westen drehen, mit Hark Bohm, und eine seiner letzten Arbeiten vor dem Mauerfall war "Pestalozzis Berg", eine Co-Produktion der Schweiz, Italiens und der DDR. Am Dienstag ist Michael Gwisdek im Alter von 78 Jahren gestorben.

© SZ vom 24.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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