Stil und Ernährung:Der Untergang Maredos

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Bilder wie diese sagen alles. Man findet sie im Jahr 2021 aber nicht mit dem Suchbefehl "Maredo" oder "lecker". Sondern mit dem Suchbefehl "Gesundheitsgefahr durch rotes Fleisch". (Foto: imago)

Das Steakhaus-Konzept der 70er-Jahre befriedigte die Sehnsucht nach kross angegrillter Ferne. Ein Abschied.

Von Alexander Gorkow und Gerhard Matzig

Anfang dieser Woche wurde zum Entsetzen vieler Deutscher bekannt, dass die Steakhauskette Maredo vor dem Aus stehe. Die tapferen Fleischlokale am Rindermarkt in München bis zum Millerntor in Hamburg, von der Dresdner bis zur Düsseldorfer Altstadt sind von einer recht deutschen Ausformung der pandemischen Pleitewelle betroffen. Über die Hintergründe der Gastrokalypse, die besonders der Systemgastronomie zu schaffen macht, gibt es Spekulationen, die an Nervenkrisen grenzen. Es geht um Kultur, also Esskultur, die immer auch eine Sehnsuchts- und Erinnerungsmaschine ist.

Vor allem in den Großhirnrinden von Männern der Boomerjahrgänge entstehen bei Betrachtung des in diesem Text abgebildeten Fotos Gefühle. Sie münden, wie das bei Gefühlen mitunter ist, in ein deutliches Verlangen. Konditioniert ist der Boomer durch Steakhausbesuche mit Vati in den 70ern. Gibt er dem Verlangen nach und isst blutiges Fleisch, gehen Signale an das limbische System und den Hippocampus, zuletzt zurück an die Großhirnrinde, als Rückmeldung, dass der Befehl ausgeführt wurde. Das Glücksgefühl ist da. Mund abwischen. Rechnung. Fertig. So funktionierte Maredo. Bis jetzt.

Die ungleich komplizierteren ökonomischen Zusammenhänge gipfeln gleich mal bemerkenswert unwürdig im Furor der Rechtschreibautomatisierung: Eine dunkle Herrschaft der Bots führt dazu, dass das Fernweh-Wort Maredo vom PC durch "marode" ersetzt wird. Eigentlich kommt Maredo aber wie Haribo (Hans Riegel, Bonn, Ha-ri-bo) oder I-k-e-a (Ingvar Kamprad von Elmtaryd bei Agunnaryd) von den Vornamen der in diesem Fall Düsseldorfer Gründer, die 70er-Jahre-affin Manfred (also Ma-) und Udo (-do) heißen oder eben hießen. Wobei in der Mitte von Maredo noch Herr Reinheimer (-re) seinen Platz hat. Dessen Vorname Karl-Heinz hätte nicht zum gurrenden Marrrredo, sondern zum japanisch anmutenden Makahedo geführt, was in der Tokio-und immer schon exzellenten Sushi-Enklave Düsseldorf für Verwirrung gesorgt hätte.

Imperien gehen unter, wenn andere entstehen. In diesem Fall das Veggie-Reich, der Kugelgrill und das Edel-Steakhaus

Maredo ist im Spanischen leider trotzdem ein Mittelding aus Ehemann, marido, und Schwindel, mareo. Daher sorgte die Gastroerfindung vom Rhein im spanisch sprechenden Argentinien, woher man seitens Maredos bevorzugt das Fleisch für die Filialen bezog, immer wieder für Heiterkeit. Das Ausland, wo alles original ist, lacht oft über uns, die wir das Originale aus dem Ausland lieben, da wir uns für das Originale aus Deutschland, meistens zu Recht, schämen. Noch heute feixen Engländer über den englischen Song "Lemon Tree" der deutschen Band Fools Garden, deren sagenhaft peinliche Schüler-Lyrik zur EM '96 in England auf Wunsch der deutschen Fans erschallte, wenn die Knochenbrecher-Elf von Bertie Vogts in Wembley einlief: "I'm turning, turning, turning, turning turning around / And all that I can see / Is just another lemon tree / Sing dah Dah-dah-dah-dam, dee-dab-dah Dah-dah-dah-dam, dee-dab-dah Dab-deedly dah." Wer dabei war, sah Engländer, die weinten vor Lachen (wenn auch nur, bis wir im Endspiel Europameister wurden). Übrigens ist auch die San Francisco Coffee Company bekannt, nur nicht in San Francisco.

Es ist aber boshaft, wenn Kritiker nun behaupten, dass Maredo als Kreuzung aus Ikea (Innenarchitektur) und Haribo (Essen) zu Recht verschwindet. Einleuchtender ist die Annahme, dass Imperien untergehen, wenn andere Reiche entstehen. In diesem Fall wäre da das Veggie-Reich. Maredo ist nun mal eindeutig als Beef-Universum ausgewiesen, es ist die Marke, in der das "M" emblematisch gehörnt zum Fleische wird. Dies trotz seines Salatbar-Konzepts, das immerhin zu fantasievollen All-you-can-eat-Meisterleistungen der schwäbisch-preisbewussten Vertikal-Schichtung führte. Wie viele Millionen dicker Männer über die Jahrzehnte ihre Salat-mit-Eierscheiben-Gebirge durch die Maredo-Filialen balancierten, um sich schon mal satt zu essen, bis das Steak kommt!

Eine Lesart des Untergangs besagt nun, die Steakhauskette, die jährlich pro Filiale an die 25 000 Steaks grillte, sei das coronabeschleunigte Opfer der sich angeblich ausbreitenden Fleischverachtung, von der in Wirklichkeit nicht viel zu spüren ist, auch wenn die Grünen das gerne hätten. Wenn man ab und zu, dann und wann, und wenn auch nur irrtümlich, ein Stück Fleisch verspeist und damit zum Weltuntergang beiträgt, weiß man natürlich, wie sich die Gastro-Sehnsucht in einen leeren Blick auf ferne Rinderhorden verwandeln kann, die die Welt in den Abgrund pupsen, die wir nur geborgt haben von unseren Kindern. Der spezielle Maredo-Hunger war immer einer danach, kein Deutscher, sondern satt und ein Gaucho zu sein.

Das 900-Gramm-Tomahawk-Steak war immer eher Skulptur statt Nahrung, ein Düsseldorfer Brandopfer für die Spurensicherung

Erst bedroht, dann niedergemetzelt wurde dieser Theorie zufolge das gehörnte Imperium vom Heer der entsetzlichen Rote-Bete-Patties. Dem auch das Gurken-Relish zur Seite steht. So würde das zeitgemäße, ebenso entsetzliche Tofuwürstchen am Ende doch noch siegen über das am Knochen gereifte Tomahawk-Steak. Sensible Zeitgenossen vermuten in der spektakulären Darbietung als 900-Gramm-Portion medium rare ohnehin schon rein skulptural das, was diese besondere Rib-Eye-Variante letztlich ja auch ist: ein Düsseldorfer Brandopfer mit Knochenresten, das eigentlich die Spurensicherung auf den Plan rufen müsste. Aber, mit Meersalz und einem schönen kühlen Glas Alt, natürlich ganz lecker.

Wer ist schuld an der Marodisierung dessen, was als Maredosierung Deutschlands einst so glanzvoll begonnen hatte? (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Im Gegenteil, so aber eine widerstreitende These, sei gerade die mittlerweile bis ins Totalgroteske verfeinerte Fleischkultur in deutschen Haushalten schuld an der Marodisierung dessen, was als Maredosierung Deutschlands so glanzvoll begonnen hatte. Das in jeder Hinsicht unzeitgemäß gewordene, früher aber satt aufgehende Konzept (Fleisch für ihn, der übliche, grauenvolle Salat mit Ziegenkäse für sie, die Sehnsucht nach einer Tango-Bar in Buenos Aires für beide plus Pommes für alle) wird insofern durchkreuzt von der Aufrüstung der Doppelhaushälften-Existenzen: Gegrilltes Fleisch wurde in nur acht Quadratmeter großen Gärten zur Sache des Amateurs am den Garten komplett ausfüllenden Weber-Grill.

Das argentinische Rind musste gemäß dieser Erzählung einerseits dem deutschen Schweinenacken vom Discount weichen. Nun aber kommt auch noch die im Wohnzimmer untergebrachte Dry-Age-Kammer aus dem Baumarkt dazu, seit nämlich hysterisch überteuerte Grill-Restaurants in München, Dubai oder im für Geschmacklosigkeiten stets besonders dankbaren Berlin die Ware Fleisch hinter Panzerglas ausstellen so grell beleuchtet wie das Kokain in "Narcos" oder eben die Werke Anselm Kiefers in den Galerien um die Ecke.

Man weiß oft nicht, wann es das letzte Mal ist

Man weiß gar nicht, was einen nun trauriger stimmt. Dass Maredo und seine tollen Grillmeister, seine immer brav beschürzten Kellnerinnen und Kellner zum Kollateralschaden gedünsteter Tofuwürstchen werden? Oder dass der Niedergang auch von Leuten zu verantworten sein könnte, die so gern - den ersten Plusgraden wie Stechmücken und Heuschnupfen folgend - die Vorortgärten räuchern mithilfe ihrer Kugelgrills? Oder hätte sich Maredo doch früher distanzieren müssen von Tango und Ikea?

Um auf den eingangs erwähnten Schwindel zurückzukommen: Man weiß oft nicht, wann es das letzte Mal ist. Es war aber im letzten August, in der Düsseldorfer Altstadt. Es war heiß wie sonst nur in Argentinien. Und es schwindelte das Hirn. Später im Krankenhaus kam die Nachricht, dass es ein Virus gibt (offenbar gibt es noch andere Viren auf der Welt), das den Gleichgewichtssinn torpediert. So landete man taumelnd vor der Maredo-Filiale im Trinkerparadies Bolkerstraße. Sicherheitshalber auf dem Hintern und auf dem Pflaster. Zwei Damen saßen im Schatten über ihren Lady Steaks, draußen unter der roten Markise mit dem gehörnten "M"-Emblem. Sagte die eine, nicht ganz unkritisch: "Storzbesoffe, dä Typ." Sagte die andere: "Stähnharelvolljesoffski."

Zum Glück eilte der Maredo-Kellner herbei, der jetzt in die unbezahlte Ungewissheit entlassen wird wie die frühen Systemkulinarikträume der Deutschen. Er half dem Reporter auf die Beine, gewährte Platz im Schatten und gab eine Erste-Hilfe-Cola aus. Besorgt. Freundlich. Südamerikanisch. Düsseldorf halt. Maredo.

Doch. Es ist zum Heulen.

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