"Märzengrund" im Kino:Dann lieber allein

Lesezeit: 3 min

In der Weite der Zillertaler Berge findet Elias (Jakob Mader) die große Freiheit fern vom Anpassungsdruck im Tal. (Foto: Prokino Filmverleih/Metafilm)

Der Film "Märzengrund" erzählt von einem Mann, der 40 Jahre auf einer Alm verbringt - durchaus kritisch.

Von Doris Kuhn

Ein Feuer machen. Eine Hütte bauen. Der Film "Märzengrund" beobachtet handwerkliche Tätigkeit in einer sehr unwegsamen Natur, die der jugendliche Held Elias ganz für sich alleine hat - weit oben auf dem Berg, über der Baumgrenze. Es sind packende Bilder, ihre physische Kraft konkurriert mit der Poesie der Weite, mit dem Blick über Wiesen und Wolkenschatten, den man immer parallel erhält. Gern findet man sich in die Umgebung von Elias ein, man versteht die Anziehung des Ortes, an dem er vierzig Jahre seines Lebens verbringen wird.

Adrian Goigingers Film erzählt die Geschichte von Elias im Rückblick, als große Rückblende, unterbrochen von etlichen kleinen, und es wird schnell klar, dass der Junge den Ort nicht allein wegen seiner Schönheit bewohnt. Die ist eher die Beigabe, der entscheidende Vorteil für ihn ist die Einsamkeit. Es gibt keine Menschen, die er trifft, außer ab und zu einem Jäger, sonst ist ein Raubvogel sein einziger Kumpan. Mehr Kontakt will er nicht, das wäre dem Leben im Tal zu ähnlich.

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Goiginger zeigt den Weg von Elias in die Einsamkeit zum einen mit Blick auf die gesellschaftliche Ordnung im Zillertal in den späten Sechzigerjahren. Er beschreibt die Werte, Ziele, die festgezurrten Hierarchien: Elias ist der Sohn eines reichen Bauern. Nie wird die Frage gestellt, wer den Hof übernehmen wird, das ist Elias' vorgezeichneter Weg - dass er sich davor fürchtet, interessiert niemanden. Der Film demonstriert die Enge einer Zeit, in der Selbstbestimmung auf dem Land nirgends in Sicht war. Es gilt schon als sonderbar, dass Elias gern Bücher liest. Darunter ist "Robinson Crusoe", da lernt er die Einsamkeit anderer kennen.

Zum anderen macht Goiginger den Film zu einer treffsicheren psychologischen Studie. Es sind keine bösen Eltern, die Elias' Leben bestimmen. Man wird berührt von ihrer Liebe, die so besitzergreifend und so verzweifelt ist. Der Vater, ein kluger Mann, gibt seinem Sohn, was er kann, Bildung, Besitz, Vertrauen, um ihn damit in die konventionell richtigen Bahnen zu locken. Elias wiederum bemüht sich, der Sohn zu sein, der er sein soll, obwohl das nicht mit dem übereinstimmt, wer er sein will. Er sitzt in einem Käfig aus Liebe und weiß nicht, wie er herauskommen soll.

Elias (Jakob Mader, vorne r.) fühlt sich fremd in der Welt im Tal, auch zwischen seinen Freunden. (Foto: Prokino Filmverleih/Metafilm)

Fast sind die Eltern die interessanteren Figuren des Films, denn erst müssen sie eine Konfrontation mit dem Unerwünschten ertragen, dann mit dem Unvorstellbaren: erst verliebt sich der Sohn in die falsche Frau - nicht standesgemäß - dann verweigert er seine Pflicht als Erbe. Andererseits ist so etwas oft genug der Kummer von Eltern, selbst in der Gegenwart. Für Elias ist der Ausweg dann eine Alm der Familie, der Märzengrund. Es ist mitten im Winter, er soll dort allein hinauf und "harte Arbeit lernen".

"Märzengrund" wird zum Porträt eines starrsinnigen Eigenbrötlers und Egoisten

Wie sich herausstellt ist das ein Glück für ihn. Die Rettung durch Natur funktioniert. Sie wird von ihm exzessiv weitergetrieben, als Abkehr von der Gesellschaft für die nächsten 40 Jahre. Interessant ist, dass Goiginger als Motiv für Elias' Flucht auf die Berge nicht bloß die reine Ausweglosigkeit sieht. Man merkt schon auch, dass Elias keine Verantwortung will, dass er beleidigt ist, weil es mit der Freundin nicht klappt, dazu kommt die Konfliktscheu eines Jungen, der das Alleinsein weniger anstrengend findet als den Umgang mit Menschen.

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Trotzdem macht der Film Elias' Freude an der Wildnis mitreißend sichtbar. Man teilt mit ihm die Abenteuer, die sein Einsiedlerdasein fordert, ein bisschen Lederstrumpf liegt in der Luft, ein bisschen Trapper-Romantik. Aber dann, während man noch eins ist mit seinen Plänen, macht Goiginger einen klugen Schnitt in die Zukunft: In "Märzengrund" wird zusätzlich verhandelt, wie die Rettung durch Natur aussieht, wenn sie ein Leben lang anhält. Man erfährt, was sie aus dem Helden gemacht hat, das ist die unerwartete Variante dieses Films, der mit einem alten Mann weitergeht, statt in Freiheitslyrik zu enden.

Und da wird "Märzengrund" zum Porträt eines starrsinnigen Eigenbrötlers, der nie versucht hat, seinen Egoismus zu hinterfragen. Goiginger erzählt von einer radikalen Entscheidung, und für Elias, dessen Geschichte, wie es heißt, auf einer wahren Begebenheit beruht, war der Bruch mit der Gesellschaft vielleicht die richtige Möglichkeit. Dass es aber keine Stärke ist, der Gesellschaft auszuweichen anstatt sie womöglich zu verändern, das lässt der Film zumindest anklingen.

Märzengrund , Österreich / Deutschland 2021. Buch und Regie: Adrian Goiginger. Mit Jakob Mader, Harald Windisch, Gerti Drassl, Verena Altenberger. 110 Minuten. Prokino.

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