"Macbeth" in Düsseldorf:Die Lady gibt den Ton an

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Manuela Alphons als Lady Macbeth, umgeben von den allgegenwärtigen drei Hexen. (Foto: Thomas Rabsch)

16 Jahre nach der legendären Inszenierung von Jürgen Gosch gibt es am Düsseldorfer Schauspielhaus wieder einen "Macbeth" - einen gruselig guten in der Regie von Evgeny Titov.

Von Martin Krumbholz

Es waren kaum zwanzig Minuten gespielt, da ging förmlich ein Aufbäumen durch den Saal; nach und nach verließ gefühlt ein Drittel des Publikums prozessionsartig das Theater. Das war anno 2005: Der inzwischen verstorbene Jürgen Gosch inszenierte Shakespeares Tragödie "Macbeth" am Düsseldorfer Schauspielhaus. Grund für die Empörung: Sieben Männer auf der Bühne hatten sich gar nichts angezogen, obwohl das Programmheft ausdrücklich ein "Kostümbild" auswies. Die Verbliebenen erlebten einen tollen Abend. Konzepttheater zwar, aber unvergesslich.

Sechzehn Jahre später traut Düsseldorf sich nun wieder an den Stoff. Goschs lässiger Papierkronen-Ästhetik setzt der russische Regisseur Evgeny Titov ein bis ins letzte Detail durchkalkuliertes Schauspiel alten Stils entgegen. Theaterblut floss und fließt in beiden Aufführungen reichlich, aber das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit. Krasser könnte der Gegensatz nicht sein, und das ist vielleicht gut so, denn weil Goschs Arbeit in die Theatergeschichte einging, ist und bleibt sie ein Referenzpunkt für jede weitere Inszenierung.

Ist "Macbeth" ein Horrorstück? Ja und nein. Es ist natürlich weit mehr, ein Blick in menschliche Abgründe. Ist "Macbeth" eine Geschichte über ein Paar? Unbedingt. Und hier wird's kritisch. Titov besetzt die Titelrolle mit dem eher juvenil wirkenden André Kaczmarczyk, die Lady dagegen mit der etwa doppelt so alten Manuela Alphons, der beeindruckenden Grande Dame des Ensembles. Es ist nicht ungalant, das festzustellen, denn Titov muss sich etwas dabei gedacht haben. Er baut einen ödipalen Kick ein. Wenn an diesem Abend jemand auf einem Thron sitzt, dann ist es die Lady. Meist schwarz gekleidet, allenfalls mit einem weißen Kragen verziert, gibt sie den Ton an. Der Gatte duckt sich geradezu vor ihr weg. Er möchte zwar gerne, schließlich haben ihm die Hexen draußen eine gloriose Zukunft prophezeit, aber eigentlich würde er lieber doch nicht. Die Lady ist unerbittlich.

Im Blutrausch: André Kaczmarczyk als Macbeth. (Foto: Thomas Rabsch)

Der hypergenau lesende Shakespeareforscher und -bewunderer Harold Bloom deutet "Macbeth" verblüffenderweise als ein sexuelles Desaster. Die beiden seien zwar ein glückliches Paar, meint Bloom, aber etwas störe dieses Glück, womöglich ein sexuelles Ungenügen. Die Morde als Ersatzhandlungen? Titov scheint dieses Angebot anzunehmen und zugleich auf den Kopf zu stellen. Bei ihm, in diesem puren Horrorstück, sind die beiden Hauptfiguren überhaupt kein Paar, sondern so etwas wie Mami und ihr Söhnchen. Und dieses Söhnchen spielt Kaczmarczyk brillant.

Vor dem nächtlichen Meuchelmord an König Duncan (Rainer Philippi legt ihn ein wenig dusselig an) nimmt Macbeth ein ausgiebiges Bad. Den Dolch hat er schon dabei, aber natürlich zögert er. Er wartet darauf, dass die Lady durch die hohe Tür in sein Badegemach tritt und ihn aus dem trüben Wässerchen zerrt. Die von Etienne Pluss gestaltete illusionistische Bühne zeigt eine Burg von innen und von außen, eine zerklüftete Landschaft und einen Raum, durch dessen Wände sich Risse ziehen. Macbeth wird den König, seinen Gast, im Schlaf ermorden, was wir Zuschauer nicht sehen; beim nächsten Auftritt wird er anstelle des Badetuchs einen piekfeinen Anzug tragen und plötzlich, wie ausgewechselt, einen scheinbar souveränen Gastgeber simulieren. Die Gemütsschwankungen dieses (offenbar von seiner Frau unterdrückten) Mannes sind es, die Kaczmarczyk großartig hinlegt, bis an die Grenze des Wahnsinns oder auch knapp darüber hinaus.

Die Hexen übernehmen weit mehr Verantwortung, als Shakespeare ihnen zugedacht hat

Titov verändert aber die Statik des Stücks auch an anderer Stelle. Die Hexen nämlich, gespielt von drei weiblichen Schauspielstudierenden, übernehmen weit mehr Verantwortung, als Shakespeare ihnen zugedacht hat. Sie lassen nicht nur zweideutige Reden vom Stapel, nein, sie schreiten selbst zur Tat, ermorden etwa Macbeths Gefährten Banquo (Matthias Buss macht einen Witzbold aus ihm), sind permanent am Tatort, personifizierter Grusel. Wäre man tiefenpsychologisch ambitioniert, müsste man sich fragen, welches Frauenbild Evgeny Titov eigentlich triggert. Doch die Szene, in der Banquos Geist zum Abendessen erscheint, ist dank Kaczmarczyk fabelhaft gelöst. Der Tisch ist blank, außer den Hexen und der Lady ist niemand im Raum, aber Macbeth sieht ein Gespenst. Und aufgrund seiner Imaginationskraft sehen wir als Zuschauer es auch.

Mit einer schönen Formel spricht Harold Bloom von "unserer terrorisierten Sympathie" für den Titelhelden. Das ist der entscheidende Punkt: André Kaczmarczyk ist eben nicht nur ein begnadeter Schauspieler, sondern auch eine Erscheinung, der man Sympathie kaum entziehen mag. Dass dieser Umstand auf die Figur des Macbeth und auf ihre Tiefe abfärbt, ist das Verdienst der Inszenierung, sechzehn Jahre nach Gosch.

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