Little Britain:Unsinnige Askese

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Halb Großbritannien übt sich Anfang des Jahres in Abstinenz. Nach elf Monaten Suff wird im Januar entgiftet, was großer Quatsch ist: Die BBC veröffentlicht jedes Jahr Ende Dezember eine Studie, die besagt, dass ein paar alkoholfreie Tage jede Woche viel sinnvoller sind als ein alkoholfreier Monat. Doch das glauben einem die temporären Asketen nur im Pub.

Christian Zaschke

Die Vierer-Gruppe junger Männer stand neben mir am Tresen im Pub. Ich kam gerade vom Sport und hatte beschlossen, mich mit einem Guinness zu belohnen, bevor ich den Heimweg fortsetzte. "The George" liegt auf halber Strecke, direkt neben dem "Royal Free", einem Krankenhaus. Das "Royal Free" ist dunkel und groß, und wenn ich es auf dem Weg zum Sport anschaue, schwöre ich mir jedes Mal, bald mehr Sport zu machen, um niemals auch nur einen Tag in diesem Gebäude verbringen zu müssen.

Pub in London: Dort bestellen Vierer-Gruppen junger Männer normalerweise vier Bier. Doch nicht im Januar. (Foto: REUTERS)

Auf dem Rückweg wirkt es noch dunkler und größer, es ist ein so bedrohlicher Anblick, dass man besser schnell ins "George" flieht und sich ein Guinness bestellt. Nach dem ersten Schluck ist dann wieder klar, dass "dunkel und groß" auch wunderbare Dinge beschreiben kann. Einer aus der Gruppe junger Männer neben mir bestellte vier Bitter Lemon. Vierer-Gruppen junger Männer bestellen im Pub nicht vier Bitter Lemon. Vierer-Gruppen junger Männer bestellen im Pub vier Bier, und wenn es die letzte Runde ist, bestellen sie vielleicht noch ein paar Schnäpse dazu.

In Liverpool gibt es seit einiger Zeit einen Pub, der nur Getränke ohne Alkohol verkauft, aber in allen anderen englischen Pubs bestellen Vierer-Gruppen junger Männer vier Bier. Ein einzelner Mann, der mit einer Frau da ist, bestellt auch mal einen Rotwein, allerdings nur, wenn die Frau einen Weißwein bestellt. Ordert die Frau einen Gin Tonic, bestellt der Mann ein Bier. Ordert die Frau ein kleines Bier, nimmt der Mann ein Bier.

Außer in Notting Hill, aber das ist ein Viertel, das durch den gleichnamigen Film mit Hugh Grant und Julia Roberts so aus der Balance geraten ist, dass die Leute im Pub unberechenbar vor sich hin bestellen. Sie Gin Tonic, er Rotwein? Das gibt es nur in Notting Hill.

"Entgiftung, Kumpel. Wir trinken den ganzen Januar nichts."

Ich nippte am Guinness, dann drehte ich meinen Kopf unauffällig zur Vierer-Gruppe. Nach genau zwei Zentimetern der Drehung rief der Besteller: "Entgiftung, Kumpel. Wir trinken den ganzen Januar nichts." Das hatte ich vergessen: Im Januar trinkt das halbe Land keinen Alkohol.

Ende Dezember hat die BBC eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass es nichts bringt, den ganzen Januar keinen Alkohol zu trinken. Viel besser seien ein paar alkoholfreie Tage jede Woche. Eine solche Studie veröffentlicht die BBC jedes Jahr, aber das interessiert niemanden. Außer eine Vierer-Gruppe junger Männer, die an Bitter Lemons nippt, und der ein Typ mit einem leckeren Guinness in der Hand am Tresen von der Studie erzählt.

Als ich die vier biertrinkenden Männer wenig später verließ und meinen Heimweg im Schatten des dunklen und großen Krankenhauses fortsetzte, glaubte ich, ein gutes Werk getan zu haben.

© SZ vom 21.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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