Little Britain:Salto im strömenden Regen

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Englischer Regen scheidet die Menschen in Einheimische und Fremde. Es gibt keinen Zugereisten, der im stehenden Regen nicht nach 20 Minuten Obszönitäten von sich gibt. Trotz Großbritannien-Affinität und Korrespondenten-Erfahrung muss unser Autor diese Tatsache leider bestätigen.

Christian Zaschke

Auf einer Party erzählte ich dieser Tage eine wahre Geschichte über meinen Kumpel Lehmann. Im Grunde war es keine richtige Party, eher ein nettes kleines vegetarisches Büffet für 20 Leute. Man stand im Wohnzimmer herum, aß Rohkost mit selbstgemachtem Hummus und trank Wein. Gesprochen wurde bevorzugt über Schulen, Fernsehserien und Fahrräder. Die mitteljungen, rohkostessenden, weintrinkenden Gäste waren sich darüber einig, dass Internate eher was für Jungs sind, "Downton Abbey" eine prima Serie ist und nur Irre in London Fahrrad fahren. Als die Unterhaltung dann zu versiegen drohte, packte ich die Lehmann-Geschichte aus.

Auch die Queen ist nicht vor Regen gefeit. (Foto: Getty Images)

Lehmann war in Studientagen einer meiner WG-Mitbewohner. Er pflegte eine Vorliebe für Wassereis und gestaltete mit drei Griffen auf der Gitarre lange, insbesondere für ihn selbst vergnügliche Abende. Zudem war er einer der Menschen, die auch bei Gegenwind und querfliegendem Regen gerne Rad fuhren.

Wir wohnten an der Küste, es herrschte also immer Gegenwind, und vertikal fallenden Regen hatte dort noch nie jemand gesehen. Es gab nur querfliegenden Regen oder stehenden Regen. Letzterer ist eine Unterform des Niesels, die man durchschreitet wie Wasserwatte. Es gibt keinen Zugereisten, der im stehenden Regen nicht nach 20 Minuten Obszönitäten von sich gibt. Der stehende Regen scheidet die Geister: hier Lehmann und die Einheimischen, dort die Fremden.

Eines späten Abends raste Lehmann mit seinem Motobecane-Fahrrad die einzige Anhöhe der Stadt hinunter, der Wind blies ihm entgegen, der Regen flog quer. Plötzlich schoss ein Taxi aus einer Einfahrt auf den Radweg. Lehmann krachte ungebremst in die Fahrertür, es schleuderte ihn über das Dach des Wagens. Im Flug vollführte er einen Salto und landete auf den Füßen wie ein Turner nach einer gelungenen Übung, etwas breitbeinig, im Stand aber sicher.

Lehmann verharrte kurz, dann drehte er sich um. Der Taxifahrer drückte die demolierte Tür auf, stieg aus und fragte entgeistert: "Wie haben Sie das gemacht?" Lehmann sagte: "Och, ich mach' viel Judo." In Wahrheit machte Lehmann nicht allzu viel Judo. Genaugenommen machte er gar kein Judo, denn er lehnte Sport aus prinzipiellen Erwägungen ab. Der ungewollte Salto war eines der wenigen Wunder, dessen Lehmann nach eigener Aussage bisher teilhaftig wurde.

Niemals, sagten die mitteljungen, rohkostessenden, weintrinkenden, regenerfahrenen Londoner: Das könne nicht sein. Zugereiste, führten sie aus, fluchen im stehenden Regen nicht nach 20 Minuten, sondern nach 15. Aus eigener Erfahrung muss ich zugeben: nach spätestens zehn.

© SZ vom 31.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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