Little Britain:Ist geritzt

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Mit selbst entwickelter Sicherheits-Schneidetechnik passiert das nicht. (Foto: kallejipp / photocase.com)

Es ist gar nicht so leicht, auf dem schwierigen Londoner Wohnungsmarkt ein Angebot abzugeben, wenn man Hände hat, die nach Selbstverstümmelung aussehen. Doch es gibt ein schneidendes Argument.

Von Christian Zaschke, London

Die Maklerin befand sich gewichtsmäßig, wie man hier sagen würde, nördlich des Doppelzentners. Sie trug ein gutes Kilo Make-up, ihre Haare umstanden den Kopf wie ein umgedrehter Vollbart, sie sprach in einer Frequenz von geschätzt 600 Wörtern pro Minute und ist die zweitfreundlichste Person, die ich bisher in London kennengelernt habe.

Die Wohnung, die wir gemeinsam anschauten, war ebenfalls großartig. "Und?", fragte sie nach der Besichtigung mit Blick auf meine verpflasterten Hände, "Hang zur Selbstverstümmelung oder Hobbykoch?"

Zu meinen großen Spezialitäten beim Kochen gehört es, mir in die Finger zu schneiden. Ich bewerkstellige das in der Regel mit einem unterarmlangen Messer von Wüsthof.

Meine zweite Spezialität ist es, mir die Handrücken zu verbrennen. Vermutlich habe ich noch nie eine Lasagne in den Ofen geschoben, ohne mir dabei eine veritable Brandwunde zuzuziehen. Vergleichsweise selten, aber doch gelegentlich ritze ich mir die Fingergelenke an Konservenbüchsen auf.

Das alles führt dazu, dass meine Hände von einem feinen Geflecht an Narben überzogen sind, einer Landkarte der Schmerzen. Wenn Profiköche einen Blick auf meine Hände würfen, zögen sie anerkennend Luft durch die Zähne.

Sofort wieder ein Butternusskürbis-Curry

Die aktuelle Wundbilanz: Gelenk des linken Ringfingers nach Anritzen leicht geschwollen. Fingerkuppe des linken Zeigefingers halb abgetrennt. Diverse Brandmale und Schnitte.

Die mir am nächsten stehende Person der Familie hat angekündigt, jetzt endlich Sicherheitshandschuhe zu besorgen. "Ich kauf dir sogar welche mit Union Jack drauf", sagte sie, nachdem ich das Wüsthof Anfang der Woche mit Aplomb durch eine rote Zwiebel und tief in den Zeigefinger geführt hatte.

Wer einen schweren Fahrradsturz hinter sich hat, muss sofort wieder aufs Rad. Wer einen Flugzeugabsturz überlebt, muss sofort wieder an Bord. Mitte der Woche setzte ich also ein Butternusskürbis-Curry nach einem Rezept meines Lieblingskochs Hugh Fearnley-Whittingstall an, für dessen Zubereitung ich nicht nur den Kürbis, sondern auch eine Familienpackung Zwiebeln schneiden musste.

Ich brachte eine von mir selbst entwickelte Sicherheitsschneidetechnik zur Anwendung, die dazu führte, dass ich mit einem klitzekleinen Riss im Daumenballen durchkam.

Wer mit dem tausendsten Londoner Makler das tausendste Untergrund-Loch angeschaut hat, muss sofort wieder eine Besichtigung vereinbaren. "Hobbykoch", sagte ich zur Maklerin, "die Wohnung gefällt mir, ich würde gern ein Angebot abgeben." Sie sah auf meine Hände, sie sah mir ins Gesicht. Dann sagte sie: "Ist geritzt."

© SZ vom 27.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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