Little Britain:Einmal Haare schneiden, bitte!

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Ein Willem Dafoe im Scheinwerferlicht - was für ein Politiker! Rory Stewart heißt der Mann, dem unser Autor die Zukunft eines ganzen Landes anvertrauen möchte. Ein beeindruckender Typ, der sich sogar einen Verdienstorden ans Jackett heften darf. Nur an der Frisur, da muss er noch etwas ändern.

Christian Zaschke

Rory Stewart sieht aus wie der junge Willem Dafoe. Also eher irre. Er sitzt neben einigen anderen, sehr normal aussehenden Politikern auf einem Podium in einem Konferenzzentrum. Es ist 18 Uhr, der Tag war lang, die Zuhörer sind müde. Rory Stewart schaut auf den Boden und kurz in die Scheinwerfer, die blenden, was nur ihn zu stören scheint.

Im britischen Parlament ist Rory Stewart bisher ganz normaler Abgeordneter. Doch unserem Autor schwebt Höheres für ihn vor. (Foto: Getty Images)

Der Moderator merkt bei der Vorstellung der Menschen auf dem Podium an, Stewart sei ein Parlamentsabgeordneter, der vorher so dies und das gemacht habe. Dies in Afghanistan, das in Irak. Hmhm, macht das Publikum. Rory Stewart blickt zu Boden, der Moderator blinzelt in die Scheinwerfer. Alle anderen auf dem Podium blicken direkt ins Licht. Man kann das offenbar lernen als professioneller Politiker: Staring at the sun.

Das gleichnamige Buch von Julian Barnes beginnt so: Juni 1941, ein englischer Jagdflieger kreist nachts in 6000 Metern Höhe über Nordfrankreich. Er wartet auf deutsche Bomber auf dem Rückweg von der Insel, er findet keine und nimmt, zu spät, Kurs zurück auf England. Die Sonne geht auf, der Flieger schaut dem Spektakel zu, obwohl er wachsam sein müsste. Dann sinkt er auf 2500 Meter, weil er glaubt, ein Schiff in Not entdeckt zu haben. Aber das Schiff ist o.k. Er steigt wieder auf 6000 Meter, und dann sieht er die Sonne ein zweites Mal aufgehen. Etwas später im Buch steht der Satz, dass es keinen Mut ohne Angst gibt, und keinen Mut, ohne die Angst zuzugeben.

Rory Stewart ist Abgeordneter für einen Wahlkreis im Nordwesten Englands, 2010 wurde er gewählt. Er spricht, wenn er denn spricht, klar und luzide, und er versucht, unter den Scheinwerfern hindurchzublicken, um die Zuhörer zu sehen. Im Publikum sagt jemand: Der könnte sich auch mal wieder die Haare schneiden lassen.

2002 ist Stewart 32 Tage lang durch Afghanistan gelaufen und hat darüber ein wunderbares Buch geschrieben. Er ist auch in Pakistan, Iran, Indien und Nepal herumgelaufen. 6000 Meilen. Dann übernahm er einen Posten für die britische Regierung in Irak. Im Jahr 2004, Stewart war damals 31 Jahre alt, wurde er zum Officer of the British Empire ernannt. Er schrieb noch ein Buch. Die New York Times, immerhin zweitbeste Zeitung der Welt, merkte an: "Es scheint, als lebe Stewart gerade eines der bemerkenswertesten Leben, dessen wir gewahr werden."

Später steht Stewart allein und ein wenig verloren im Treppenhaus eines Hotels neben dem Konferenzzentrum herum. Das Treppenhaus ist leer, weil alle den Aufzug nehmen. Er könnte sich wirklich mal die Haare schneiden lassen, vor allem aber sollte er dringend der nächste Premierminister werden.

© SZ vom 08.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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