Little Britain:Das Problem mit dem Vogelscheißfleck

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In der Stadt hinterlassen Vögel oft lästige Spuren. (Foto: dpa)

Einen Haken haben Londoner Mietwohnungen immer: Zum Beispiel einen unentfernbaren Vogelscheißfleck auf dem Schlafzimmerfenster. Da helfen nur ein Umzug oder teilnahmsvolle Post.

Von Christian Zaschke, London

Wenn ich links am Vogelscheißfleck vorbeischauen würde, könnte ich die vier Wohntürme in der Fellows Road sehen. In weiter Ferne erheben sich die noch viel größeren Türme der Stadt, und ich weiß, ich könnte mir einbilden, den Gherkin zu erkennen, den Heron Tower und vielleicht auch den Shard. Aber ich kann in diesen Tagen nicht rechts und schon gar nicht links am Vogelscheißfleck vorbeischauen.

Der Vogelscheißfleck war schon da, als ich hier eingezogen bin. Weil sich das Schlafzimmerfenster nur nach außen öffnen lässt, ist er unentfernbar und damit gewissermaßen Teil der Ausstattung.

Bei der Wohnungsbesichtigung hatte ich Scott, den Makler, gefragt, was es mit dem Vogelscheißfleck auf sich habe. Ob den vor meinem Einzug noch jemand wegmachen würde? Scott lächelte sein verbindlichstes Makler-Lächeln. "Aber klar, kein Problem", sagte er, "wissen Sie was: Ich werde mich persönlich darum kümmern." Ich war damals neu in der Stadt, und Scott machte diesen enorm umtriebigen Eindruck. Er bediente einen Blackberry und ein iPhone mehr oder weniger simultan und hörte mir grundsätzlich erst zu, wenn ich etwas zum zweiten Mal fragte. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.

Heute weiß ich, dass die korrekte Anzeige für die Wohnung hätte lauten müssen: "Zugiges Schmuckstück. Gute Lage, vor allem, wenn man schnell weg will. Nicht so besonders groß, aber wenn Sie links am Vogelscheißfleck vorbeisähen, könnten sie die vier Wohntürme in der Fellows Road betrachten."

Ich würde trotz allem sofort wieder hier einziehen, und wann immer ich den Vogelscheißfleck in der Kolumne erwähne, bekomme ich teilnahmsvolle, wunderbare Post. Eine Familie schrieb, dass ihr der Fleck zu einer Art Metapher geworden ist: für das, was nun mal nicht zu ändern ist, aber in Wahrheit gar nicht so sehr stört. Wenn ich ihn länger nicht erwähne, bekomme ich Briefe und Mails, in denen geradezu liebevoll nach dem Zustand des Vogelscheißflecks gefragt wird. Hat er den letzten Schnee gut überstanden? Und hat ihm der Hagel neulich nicht arg zugesetzt?

Nun ist mir vor wenigen Tagen eine herrliche Wohnung angeboten worden. Bestens isoliert. Es ist ein Wunder: Sie hat doppelverglaste Fenster, sie ist diesen kleinen, diesen entscheidenden Tick größer.

Wenn ich in der neuen Wohnung morgens wach läge, könnte ich am Horizont noch immer die vier Wohntürme in der Fellows Road betrachten. Sie ist nur ein paar Meter die Straße rauf. Sie ist vogelscheißfleckfrei.

© SZ vom 23.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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