Little Britain:Auf neutralem Gebiet

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Im Fußball ist es genau wie im Pub: Klare Regeln bestimmen das Spiel, wenn Deutschland auf Holland trifft. Zur Völkerverständigung trägt es bei, wenn sich die Kontrahenten in neutraler Sprache verständigen und auf neutralem Gebiet befinden - sei es in Frankreich, Portugal oder in einer Londoner Kneipe.

Christian Zaschke, London

Coen hatte bereits eine Stunde vor Anpfiff darauf hingewiesen, dass die Holländer das letzte Tor schießen würden. "Ihr schießt immer das erste Tor, wir schießen immer das letzte", sagte er. Wir einigten uns darauf, dass das WM-Finale von 1974 die Ausnahme war, die die Regel erst bestätigt.

Hier ist keiner daheim: Wenn ein Deutscher und ein Holländer gemeinsam Fußball schauen, dann ist ein Londoner Pub der ideale neutrale Boden. (Foto: dpa)

Damals schoss Johan Neeskens das erste Tor, und nach dem Ausgleich durch Paul Breitner beliebte Gerd Müller das letzte Tor der Begegnung zu erzielen. Deutschland wurde Weltmeister. Aber sonst, sagte Coen, gelte immer: "Ihr das erste, wir das letzte." Gut, wandte ich ein, vielleicht ist "ihr" etwas übertrieben, weil es ja eher "die" sind, die da spielen. Aber diese Spitzfindigkeit ließ Coen nicht gelten. "Ihr schießt immer das erste Tor, wir schießen immer das letzte", beharrte er.

Wir hatten das "Fitzrovia Belle" an der Tottenham Court Road ausgesucht, um das Spiel anzusehen. Neutrales Gebiet. Viele Londoner Holländer schauen die Spiele ihres Teams im "De Hems" in Soho an. Die Londoner Deutschen gehen am Spieltag hingegen gern ins "Zeitgeist" in Lambeth. Im "De Hems" und im "Zeitgeist" herrscht ziemliche Heimspiel-Atmosphäre, es wird viel gesungen.

Im "Fitzrovia Belle" hängen vier große Bildschirme, für die sich außer uns niemand wirklich interessierte. Die Menschen verspeisten riesige, mit Pilzen und Stilton belegte Hamburger und spülten mit hellem Bier nach. Sie standen draußen vor der Tür und rauchten seelenruhig ihre Zigaretten. Dass hier drinnen ein Deutscher und ein Holländer es auf sich genommen hatten, den Kampf der Titanen gemeinsam anzusehen: Sie ahnten es nicht mal.

Als ich in den Achtzigern mit dem Inter-Rail-Ticket quer durch Europa fuhr, traf ich viele Holländer. Wir fuhren alle zu den gleichen Stränden in Frankreich und in Portugal und verstanden uns prima. Aber dennoch blieb stets ein scheinbar unüberwindbarer Rest von Distanz. Eine fließend Deutsch sprechende Holländerin fragte mich einmal, ob wir nicht auf Englisch weiterreden könnten. Sie ertrage es nicht länger, Deutsch zu sprechen. Also radebrechten wir auf Englisch weiter. Das war etwas albern, aber ich verstand, was sie meinte.

Coen und ich waren beim zweiten Pint Kronenbourg, als Gomez das 1:0 erzielte. "Ihr das erste, wir das letzte", sagte er tapfer. Während das dritte Kronenbourg golden aus dem Hahn floss, schoss Gomez das 2:0. Nachdem ich einen riesigen, mit Pilzen und Stilton belegten Hamburger verspeist hatte, erzielte van Persie das letzte Tor der Partie. "Siehste", sagte Coen. An der Bar orderte er das vierte Kronenbourg, und wir stießen darauf an, dass er recht behalten hatte.

© SZ vom 16.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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