Literatur:Studienreise zum Ich

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Der Schriftsteller Berni Mayer beim Interview 2019 in Regensburg. (Foto: Bernhard Blöchl)

Im Roman "Ein gemachter Mann" hat Berni Mayer seine Uni-Zeit in den Neunzigern in Regensburg verarbeitet. Das "Prequel zu mir selbst" half dem Autor in schwerer Krise, sich und seine Generation besser zu verstehen

Von Bernhard Blöchl

Alles paletti in der Paletti-Bar. Berni Mayer sitzt vor dem Lokal in der Altstadt-Passage und wird von Bekannten angequatscht. Mehrmals während des Gesprächs mit dem Journalisten aus München. Nun ist Berni Mayer kein Popstar unter den Schriftstellern wie Sebastian Fitzek, Takis Würger oder neuerdings Bela B. Aber hier in Regensburg, da erkennt man ihn. Hier hat der Wahl-Berliner aus dem niederbayerischen Grafentraubach in den Neunzigern studiert. Hier lässt er seinen neuen Roman spielen, der genau davon handelt, vom Studieren in den Neunzigern. Hier erzählt er davon. Aber Obacht, paletti ist da längst nicht alles. Die Geschichte hinter dem Buch ist trauriger als die meisten nostalgischen Uni-Trips. So viel vorneweg.

"Ein gemachter Mann" heißt das lesenswerte Buch, was natürlich zweideutig gemeint ist und die Passivität einer bestimmten Männergeneration andeuten soll. Der Untertitel ist eindeutig, aber nicht minder schön: "Die lichtscheuen Studienjahre des Robert Bley". Und genau darum geht es: um das Sich-treiben-lassen durch das junge Erwachsenenleben, die mal süße, mal saure Melancholie zwischen Kellertheke, Mensamief und Futonbett, die Gefühlslagen zwischen Sex im Hörsaal, Liebeskummer und Alles-ist-möglich.

Im Roman heißt die Paletti-Bar schlicht Visconti und wird als "besserer Glaskasten mit ein paar wenigen Stehtischen" skizziert. Der Protagonist Robert hat dort sein erstes Treffen mit einer Frau, die er "rein äußerlich" ziemlich gut findet, sie trägt den Namen Kristin König. "Die Frau gewordene Alliteration. Königin der Psychologen", so wird sie beschrieben. "Unvergessen, seit sie ihn im ersten Semester in der Mensa weitgehend ignoriert hatte." Als "Dorfei", wie Berni Mayer sich im Gespräch mehrfach nennt, war er selbst seinerzeit vom Land in die Stadt gekommen. "Ich habe die Zeit sehr aufregend in Erinnerung", sagt er, der wie Robert Bley in Regensburg Deutsch und Englisch auf Lehramt studierte. "Ins Paletti haben einen die Älteren, die schon lange in der Altstadt wohnen, mit reingenommen. Es ist an der Trennlinie zwischen alternativ und schick. Hier muss man als ein bisserl linker Slacker-Student schon eine gewisse Grenze überschreiten, um sich wohlzufühlen. Hier arbeitet man mit den Währungen: Was ist guter Wein, was ist guter Kaffee?" Mayer pausiert, fährt dann fort, "was einem mit 18 grad mal scheißegal ist."

Wenn der heute 44-Jährige erzählt, dann hat das viel von der Unbekümmertheit und Direktheit, die auch den Ton des Buches so saftig machen. So war das schon bei "Rosalie", seinem ebenfalls bei Dumont erschienenen Roman aus dem Jahr 2016, in dem er eine junge Liebesgeschichte und die Last eines verdrängten NS-Verbrechens kunstvoll zusammenspann. Daran knüpft "Ein gemachter Mann" in gewisser Weise an. Zwar ziehen hier nicht mehr die düsteren Schatten der Heimat auf - Mayer bevorzugte den Begriff "Bavarian Gothic". Eine Verbindung gibt es dennoch: Nach den Achtzigern nahm sich der Autor die Neunziger vor. "Ich wollte das Coming-of-Age-Thema weiterführen." Darüber hinaus waren es tragische persönliche Gründe, warum "Ein gemachter Mann" so wurde, wie es wurde: nämlich kernig, authentisch und im besten Sinne ätzend.

Die Geschichte hinter der Geschichte ist schwer zu ertragen. Sie gibt Einblicke in eine Künstlerseele und umspielt die alte Frage, inwieweit Leidensdruck Kreativität beflügeln kann. These: Er kann. Und das kam so: Als Berni Mayer vor ein paar Jahren über ein neues Buch nachdachte, da ereilten ihn heftige Schicksalsschläge. "Zustände im Privatleben, die mit Krankheit, Tod und Trennung zu tun hatten. Ich war so erschüttert, dass ich wusste: Ich kann nur was Privates schreiben." Nicht über die jetzige Situation, das sei "zu nah und zu krass" gewesen. Stattdessen stellte er sich der Herausforderung, erzählerisch zu erkunden, wie er wurde, wer er war. Ein "Prequel zu mir selbst", wie er das nennt. "Aber auch zur Gesellschaft, meiner Generation Männer. Viele, auch in Berlin, kommen aus ähnlichen Verhältnissen wie ich, ziehen dann in die Stadt und werden so larmoyante übersaturierte Typen." Mayer, ganz der Musik-Nerd, kam dadurch bereits auf einen möglichen Untertitel für die Lesetour: "Was hat dich bloß so saturiert?", in Anlehnung an den Sterne-Song "Was hat dich bloß so ruiniert?" Fortan stellte er sich Fragen wie diese: "Was für Eigenschaften habe ich, wozu haben die geführt? Nach der gescheiterten Ehe wollte ich sehen, woher das alles kommt?" Der Plan war demnach folgender: vor der Gegenwart flüchten, nicht aber vor sich selbst. Schonungslos sollte sein Text sein. "Es muss weh tun."

Das tut die literarische Zeitreise durchaus. Als Leser begleitet man Robert Bley vom Beginn seines Studiums bis zum Ende. Freundinnen kommen, Freundinnen gehen, Ideen sprühen, Ideen verpuffen, eine Band wird geboren ( Herman Lush), ein Freund stirbt. Der Abnabelungsprozess von den Eltern und ihrer Gärtnerei auf dem Land liegt wie eine Folie über der Antiheldenreise, die zur Walhalla ebenso führt wie nach Santorini und München ("Das echte München waren die Leute, die ihn für seinen Dialekt belächelten und in PR-Agenturen arbeiteten"). Wer mag, kann in dem Buch Gedanken über die Verweichlichung einer Generation entdecken. Wen das Männlichkeitsthema nicht interessiert, kann die Geschichte auch als besoffenen Schwank lesen. Eine Stärke sind Dialoge und Wortwahl. Mayer trifft den Ton der Neunziger in der bayerischen Provinz, ohne sich anzubiedern. "Ziel war es, eine Kunstsprache zu erfinden, die authentisch klingt." Da sagt die eine: "Ach, du Rentner", der andere kommentiert ständig mit "marvellous"; Sex nennen sie "GV", Freunde heißen Hibiskus und Rothkowski; hier ein "Kokolores", da ein "brunzbieselwarm". Alles mit Gespür und Maß.

Weil "Ein gemachter Mann" einer dieser stark autobiografisch gefärbten Romane über die Jugend ist, hatte der Autor großen Respekt vor den Fallen: "Man darf nicht zynisch werden", weiß Berni Mayer, "die Probleme, die man mit 20 hatte, muss man ernst nehmen." Ähnlich wie Wolf Haas' "Junger Mann" (2018) ist das Buch ein im Schmerz des Autors geborenes Stück Unterhaltungsliteratur, bei dem Form und Inhalt harmonieren wie Robert und sein bester Freund Hamlet. Die Ziellosigkeit des nicht immer sympathischen Protagonisten spiegelt sich in der Abwesenheit jeglicher Plot-Twists wider. Wie auch? Einen Plot, den gibt es nicht. Den Sog beim Lesen aber schon. "Diese Ziellosigkeit ist ein bisschen wie wenn du als Musiker eine endlose Jam-Session machst. So habe ich auch geschrieben, so ist auch das Studium, so ist auch der Typ", erklärt Mayer.

Im Unterschied zu seiner Hauptfigur wurde Berni Mayer während des Studiums zielstrebiger. Vom Lehrerberuf nie restlos überzeugt, entschied er sich für einen anderen Weg. Der Dotcom-Boom habe ihm diverse Möglichkeiten geboten. Als Online-Redakteur arbeitete er zunächst bei MTV in München, später produzierte er eine Webshow mit Markus Kavka, bevor er Krimis über zwei Rock'n'Roll-Detektive für den Heyne-Verlag schrieb. Er war und ist Gitarrist und Sänger der Metal-Band The Gebruder Grim, arbeitet als Übersetzer (zuletzt "Darktown" von Thomas Mullen) und betreibt mehrere Podcasts, etwa über Fußball und spirituelle Konzepte.

Und als er jetzt so vor der Paletti-Bar sitzt, bei dem einen oder anderen alkoholfreien Getränk, da denkt er über eine Frage nach, die ihn beim Schreiben ebenfalls beschäftigt hat: "Ich weiß nicht, ob es an uns Bayern liegt oder an unserer Generation", grübelt er. "Aber es gibt Leser, die mich fragen: Ihr habt nicht wirklich so viel gesoffen damals, oder? Ich muss dann leider sagen: Doch, und es war noch schlimmer."

© SZ vom 14.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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