"Le nozze di Figaro":Unter der Trockenhaube

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Mozarts "Le nozze di Figaro" als Mix aus Disco und Foucault an der Berliner Staatsoper.

Von Julia Spinola

Emanzipation scheint eine Frage der Requisiten zu sein. Der aufmüpfige Figaro und Susanna machen vor, wie es geht. Während der Mann sich mit Küchenschürze und Suppenkelle furchtlos die Klischeedomäne der Weiblichkeit aneignet, spielt seine Verlobte im Haus ihres Vorgesetzten die Domina.

Was weibliche Emanzipation (noch) nicht ist, führen derweil Gräfin Rosina und die Hausangestellte Marcellina vor, die noch immer am Fetisch der dem Manne versklavten Frau hängen: dem Lockenwickler. Im Friseurstuhl unter der Trockenhaube rollt die heiratswütige Marcellina herein. Rosinas Kampfgeist erwacht im zweiten Akt der berühmten Mozart-Oper. Todesmutig bewirft sie ihren Mann mit ihren Lockenwicklern und steckt sich sodann eine Zigarette an.

Teil eins und drei fielen Corona zum Opfer, Teil zwei gibt es nur als Stream

Der französische Regisseur Vincent Huguet möchte die drei Da-Ponte-Opern Mozarts an der Berliner Staatsoper als Trilogie über sexuelle Befreiung inszenieren. Inspiriert wurde er dazu von Michel Foucaults dreibändiger Abhandlung "Sexualität und Wahrheit", weshalb in seiner Fortsetzungssaga die Chronologie der Opern vertauscht wird.

Die Premiere von Teil eins, "Cosí fan tutte" (nach Foucaults erstem Band "Der Wille zum Wissen"), fiel der Pandemie zum Opfer und soll ebenso wie "Don Giovanni" (Band drei bei Foucault: "Die Sorge um sich") in der kommenden Spielzeit nachgeholt werden. Teil zwei, "Le Nozze di Figaro" (" Der Gebrauch der Lüste"), fiel Corona nur halb zum Opfer: Die geplante Vorstellung vor Publikum wurde auf unbekannte Zeit verschoben, sodass man sich einmal mehr mit einem Premieren-Live-Stream begnügen musste.

Ob man unbedingt Foucault bemühen muss, um die Sprengkraft von Mozarts Da-Ponte-Opern zu begreifen, sei dahingestellt - zumal der Bezug ein Lippenbekenntnis bleibt, das sich in Huguets Inszenierung nicht realisiert. Dass Mozart und Da Ponte sich in ihrer Analyse der gesellschaftszersetzenden Kraft des Eros auf der Höhe eines de Sade bewegen, ist immer wieder bemerkt worden. Selbst dort, wo der revolutionäre Geist gerade des Beaumarchais-Stoffes "Figaro" abgeschliffen erscheint zum harmlosen Klamauk einer Verwechslungskomödie, bleibt das anarchische Potenzial des Ineinanders von Begehren und Intrige, Liebe und Verstellung, Glück und Verzweiflung doch aufgehoben in der subversiven Verführungskraft von Mozarts Musik.

Das macht Daniel Barenboims wunderbar transparent und zugespitzt spielende Berliner Staatskapelle an diesem Abend einmal mehr spürbar, vom aufsässigen Gestus der Ouvertüre an bis zu den großen, in sich pulsierenden Bögen der Akt-Finali.

Zum Glück triumphiert Mozarts Musik über die Kalauer der Inszenierung

Viel Gegenwärtiges hätte man in dieser Oper entdecken können, die davon handelt, dass ein übergriffiger Graf die Hochzeit seines Kammerdieners Figaro mit dem Hausmädchen Susanna hintertreibt, sich "Me too"-mäßig durch einen "tollen Tag" grabscht, um am Ende die Absolution von seiner Ehefrau zu erhalten: die Kehrseitigkeit von sexueller Befreiung und persönlicher Verantwortung etwa, die brutale Hierarchisierung der Lust, die Kommerzialisierung unserer Gefühle.

Huguet aber verlegt das Geschehen lieber ins Retro-Ambiente der von Aerobic-Kursen und Discokugeln beherrschten Popszene der Achtzigerjahre, wo Almaviva als Musikproduzent eine Goldene Schallplatte nach der anderen gewinnt, Rosina sich vergeblich nach oben geschlafen hat und Figaro als Westentaschen-Don-Giovanni in Cowboystiefeln und modischen Destroyed-Jeans zur ultimativen sexuellen Entfesselung in den Discofox-Partys der Finali animiert. Das alles ist bis über die Schmerzgrenze platt und bieder. Die einzige hintergründige Idee des Regisseurs geht beinahe in den Stroboskop-Blitzen der letzten Szene unter. Statt ihrem Grafen zu verzeihen, schnappt sich Rosina den Cherubino - vermutlich, um mit ihm aufs Schloss Astorga zu fliehen, wo sie in Beaumarchais' Fortsetzung der "Figaro"-Komödie, dem Drama "Tartuffe der Zweite oder die schuldige Mutter", von Cherubino geschwängert wird.

Musikalisch triumphiert Mozarts Geist über die sich mühsam von Kalauer zu Kalauer schleppende Szenerie, vor allem im Gesang der Frauen: Elsa Dreisig als alles überstrahlende junge Gräfin und Nadine Sierra mit samtig-sattem Mezzo-Timbre sind ein perfekt harmonierendes Paar. Der geschmeidige, kraftvoll leuchtende Mezzosopran von Emily D'Angelo ist für die Partie des Cherubino beinahe überbesetzt, Katharina Kammerloher singt eine unverzickte Marcellina und die Sopranistin Liubov Medvedeva empfiehlt sich mit der kleinen Partie der Barbarina bereits für größere Aufgaben. Der Auftritt der fast achtzigjährigen Opernlegende Siegfried Jerusalem in der winzigen Partie des Don Curzio ging in der allgemeinen Partystimmung unter.

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