"Chemtrails Over The Country Club" von Lana Del Ray:Frag nicht, was soll es bedeuten

Lesezeit: 3 min

Mehr Stimmung als Konzept: Lana Del Rey fährt in ihrem neuen Video ein kirschrotes Cabrio. Keine Pointe. (Foto: Neil Krug/Universal Music)

Auf dem neuen Album der Künstlerin geht es wieder vor allem um sie selbst. Aber warum das zu einem Problem machen?

Von Joachim Hentschel

Vor knapp zwei Wochen stellte der Film-Stuntman Hunter Ray Barker im Nordwesten von Los Angeles ein blaues Kinderplanschbecken vor dem "Los Toros" auf, seinem Lieblings-Mexikaner. Füllte es mit Frijol Peruanos, für den Laien leicht mit hundsgemeinen Kidneybohnen zu verwechseln, ließ sich für 24 Stunden in der Pampe nieder, um Spenden für das coronagefährdete Restaurant zu sammeln. Und bekam nachmittags glamourösen Besuch. Die Sängerin und Songwriterin Lana Del Rey schaute vorbei, im roten Kapuzenpullover. Sprach ihre Solidarität aus und postete das Foto für ihre mehr als 18 Millionen Instagram-Fans. Unter das heitere Bild schrieb sie: "Don't ask why." Fragt nicht nach dem Grund.

Abgesehen davon, dass sich Lana Del Rey in der Öffentlichkeit sonst von Bohnenzubereitungen aller Art weitgehend fernhält, ist der Nukleus der Geste ganz typisch für sie. Nehmt das Bild, so schäbig es ist, scheint sie hier zu sagen. Nehmt es für seine Aura, seine amerikanische Momentaufnahmenhaftigkeit, aber fragt nicht, was es bedeuten soll. Was ja selbst dann die falsche Primärreaktion wäre, wenn man bei Julia Stoschek vor einem Monitor mit abgefahrenen Drohnenvideos steht und überlegt, ob es hier irgendetwas zu kapieren gibt.

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Wie autobiografisch das gemeint sein könnte, ist die ödeste Frage, die man stellen kann

Lana Del Rey ist allerdings Entertainerin, schreibt Songs mit viel Text, hat gewaltige Erfolge. Und ihre Pop-Inszenierungen als frühe Joan Didion und noch frühere Lauren Bacall sind derart spektakulär und cineastisch, dass man kaum drum herumkommt, in ihnen auch immer die Geschichten zu suchen. Den erzählerischen Drive, den man eigentlich erwarten dürfen sollte, wenn jemand im kirschroten Mercedes-500-K-Cabrio durchs Video fährt.

Dennoch handle Lana Del Rey am Ende immer nur von sich selbst, sagen ihre Kritiker. Von sich und den alten, wasserdicht nostalgischen, vermeintlich entpolitisierten Bildern, die sie herunterblättere wie in einem stinklangweiligen Vintage-Style-Account auf Pinterest. Dass das freilich eine Frage des Blickwinkels ist, dass Del Rey wohl nie eine Chance hat, als große Gegenwartskünstlerin anerkannt zu werden, solange die Leute immer schon an ihrem Lipgloss abglitschen, ist eine andere Sache.

(Foto: N/A)

Auf "Chemtrails Over The Country Club", ihrem neuen, siebten Studioalbum, singt Lana Del Rey übrigens in der Tat vor allem von sich selbst. Es ist ihre Hybris-Platte, ihr "Ich knabbere schwer an meinem Ruhm"-Liederzyklus, ihr Abschiedsbrief an die Häschenphase der Karriere. Wie autobiografisch das im Einzelnen gemeint sein könnte, ist - wie beim neuen Christian-Kracht-Roman - die mit Abstand ödeste Frage, die man ans Kunstwerk stellen kann. Als mittelgroße, bereits spätsommerliche Inszenierung funktioniert "Chemtrails Over The Country Club" jedenfalls so luftabschnürend gut, dass man Del Rey sowieso jedes Wort glauben will, das sie ins starke, digital hochaufgelöste Laurel-Canyon-2021-Echo hineinwispert.

Dass diese Musik durch und durch weiß ist, ist ja alles andere als verwerflich

Und ja, es wird viel gewispert auf dem "Chemtrails"-Album. Allerdings schon im ersten Song "White Dress" auf so überaus unbescheidene, vorlaute Art, dass Lana Del Rey die Stimme buchstäblich überschnappt. Hier erzählt sie, begleitet von einer kleinen Nightclub-Combo, über die Berufsanfänge als Kellnerin, die es ins Musikbusiness verschlägt und sich dort derart in die Ereignisse verheddert, dass die Zeilen des Songs vor lauter Silben fast zu platzen drohen. 40 Minuten später, gegen Ende der Platte, wird sie in "Dance Till We Die" am dramaturgischen Scheitelpunkt ankommen, an dem nur noch die Flucht aus dem Alltag des Ruhms möglich erscheint. Sie tanzt mit Joan Baez, telefoniert mit Stevie Nicks. Covert mit den Sängerinnen Zella Day und Weyes Blood, superfrech und superschlüssig, das Stück "For Free", in dem Joni Mitchell 1970 über entfremdete Arbeit im Kulturgewerbe klagte. Die Musik ist durchweg sparsam, man hört die Fingerkuppen auf den Saiten, die leise knackenden Schlagzeuger-Gelenke. Beziehungsweise das, was die Felsen der Santa Monica Mountains davon zurückhallen lassen.

Zuletzt hat Lana Del Rey versucht, sich in die Diversity-Diskurse einzuschalten, hier doch noch Punkte zu holen, die ihr als ultraweißer Retro-Style-Ikone bislang verwehrt blieben. Es ging desaströs nach hinten los - was allein deshalb schade ist, weil sie "Chemtrails Over The Country Club" auch für sich allein hätte sprechen lassen können, als, siehe oben, wirklich starke Sisterhood-Platte. Dass diese Musik durch und durch weiß ist, wie das Kleid der Kellnerin, die Leinwand vor dem Filmstart oder eben die verdammten Kondensstreifen, ist ja alles andere als verwerflich. Solange sie so beweglich, anschlussfähig und nachhaltig atemberaubend ist, wie viele es der Künstlerin eh nie zugestehen werden.

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