Kurzkritik:Kunst des Umblätterns

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Das Delian Quartett im Hubertussaal von Schloss Nymphenburg

Von Harald Eggebrecht, München

Überrascht zu werden gehört zu den besten Momenten im Konzert, sei es durch die besonders gelungene Aufführung eines sonst unterschätzten Werkes, durch kompositorische Plötzlichkeit, wie sie die Wiener Klassiker liebten oder aber durch neue Musik. Wenn es dann noch so witzig wie spannend zugeht, ist das Vergnügen allerseits groß.

Das Delian Quartett (Adrian Pinzaru, Andreas Moscho, Violinen), Georgy Kovalev (Viola) und - statt Miriam Prandi - Hendrik Blumenroth (Violoncello) spielte in Nymphenburg nicht nur mit klanglicher Sorgfalt und Konzentration drei Contrapuncti aus Johann Sebastian Bachs "Kunst der Fuge" und zwei der viel zu selten aufgeführten elegant beredten Fantazias des großen Engländers Henry Purcell, sondern auch Joseph Haydns op. 33, 2 und Dmitri Schostakowitschs 4. Streichquartett von 1949. Dazwischen aber führten die vier Musiker vor, wie viel rhythmischer Pep und musikalischer Reiz in der sonst schwer unterschätzten Tätigkeit des Umblätterns stecken kann. Der Italiener Francesco Filidei, Jahrgang 1973, hat aus dem Vorgang des Umblätterns ein "Exercizio di Pazzia", eine "Übung in Wahnsinn" gemacht, die 2014 uraufgeführt wurde. Das beginnt ganz zart und steigert sich dann zu rhythmisch vernetzten Blätterattacken über zusätzliches Seidenpapierrascheln bis hin zum Ausbruch von Fieptönen, auf dem Papier emphatisch geblasen: Aus dem Geräusch gewonnenes Instrumentaltheater 1. Klasse!

Doch schon Haydns Quartett endet mit Täuschung, Irreführung und Spott. Gleich mehrfach lockt der Meister die Zuhörer in falschen Beifall für ein tatsächlich geglaubtes Ende. Haydn führt aber nicht so sehr das Publikum vor, sondern zeigt so vielmehr die Wirkung vermeintlicher Schlussgesten. Schostakowitsch allerdings verlangt Ernst, Melancholie und Energie, die "Delians" boten das engagiert und überzeugend. Der etwas gedeckte Gesamtklang wird mehr von den tiefen Streichern geprägt, der Primarius dürfte nicht nur bei Haydn durchaus mehr kantable Sinnlichkeit entfalten.

© SZ vom 21.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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