Kurzkritik:Entfesselt

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Die Indierock-Band "Gurr" begeistert im Hansa 39

Von Martin Pfnür, München

Als das live zum Quartett erweiterte Indierock-Duo Gurr gegen Ende seines Sets einer konsequent eingehaltenen Bühnentradition folgt, und ein "größenwahnsinniges Cover" einflicht, wie die gebürtige Nürnbergerin Andreya Casablanca ankündigt, gibt es für die Sängerin und Gitarristin kein Halten mehr. Komplett entfesselt rauscht sie zum rasenden Uptempo des Nirvana-Songs "Territorial Pissings" kreuz und quer über die kleine Bühne, faucht und brüllt Kurt Cobains missmutige Zeilen ins Mikro, und gönnt sich schließlich stagedivend ein Bad in der Menge.

Dass es ausgerechnet Nirvana sind, die hier zu neuen Cover-Ehren kommen, wirkt dabei gar nicht mal so abwegig, ja sogar ziemlich schlüssig. Denn wenngleich die musikalische Vision von Andreya Casablanca und Bühnenpartnerin Laura Lee eine ungleich hellere und optimistischere ist als die der alten Grunge-Helden, eint beide Bands doch ein Kniff, mit dem Nirvana damals sogar Michael Jackson vom Charts-Thron stießen: die erstaunlich unverwässerte Fusion von dreckiger Punk-Attitüde und griffiger Pop-Melodik, idealtypisch konserviert auf Nirvanas Meisterwerk "Nevermind".

Entsprechend wenig verwunderlich also, dass die Songs der längst international renommierten Berliner Indie-Band auch live fantastisch funktionieren. Mit je einem edlen Rosengebinde am Mikroständer beweisen Gurr im Hansa 39, dass sich garagerockiger Minimalismus, postpunkige Eleganz und indiepoppige Leichtigkeit keinesfalls ausschließen. Mal verflechten sie ihre Stimmen zu wunderhübschen Harmoniegesängen ("She Says"), mal bringen sie ihr Publikum mit der Instant-Wirkung von punkigen Nummern wie "Rollerskate" zum Köcheln. Mal bezirzen sie mit filigran gleißendem Gitarrendrive ("Walnuss"), mal mit dröhnenden Fuzz-Exzessen ("Diamonds"). Zu jedem Zeitpunkt aber ist da diese herrlich zwingende Verbindung von Melodie und Unmittelbarkeit, die dieses gerade mal einstündige Konzert zu einem so selten schönen macht.

© SZ vom 19.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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