US-Museen verkaufen Kunst:Monet gegen Money

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Griechische Säulenordnungen allein garantieren nicht den Anspruch auf Ewigkeit: Das Baltimore Museum of Art wollte Klassiker verkaufen. (Foto: Amy Davis/Imago)

Amerikanische Museen verkaufen wegen der Coronakrise einzelne Werke. Folgen deutsche Häuser?

Von Kito Nedo

Als die Stadt Detroit im Sommer 2013 vor der Pleite stand, schlug der herbeigerufene Insolvenzverwalter den Verkauf von Kunstwerken aus den Beständen des Detroit Institute of Arts (DIA) vor. Denn - so war der zugrundeliegende Gedanke - was nützen schöne und wichtige Gemälde von Bruegel, Matisse, Monet und van Gogh, wenn ringsherum eine ganze Stadt zugrunde geht? Andererseits: Welche Zukunft hat eine Stadtgesellschaft, welche die ihr anvertrauten Kultureinrichtungen auf diese Weise plündert? Nach internationalen Negativschlagzeilen wurde der Verkauf abgewendet und das Museum in eine neue Trägerschaft überführt, um seine hochkarätige Sammlung längerfristig vor dem Verkauf auf dem Kunstmarkt zu schützen.

Seit dem Ausbruch der Corona-Krise geistert wieder das sperrige Wort "Deaccessioning" durch die US-Medien. Auf Deutsch klingt der Begriff nicht weniger klobig: "Entsammeln". Gemeint sind damit Prozesse, bei denen sich Museen durch Verkäufe, Tausch oder Schenkungen von Kunst aus ihrer Sammlung trennen. Die Gründe für diesen Schritt können vielfältig sein. Doch wenn Direktoren großer Häuser, wie etwa Max Hollein, Direktor des New Yorker Metropolitan Museum of Art, über Kunstverkäufe nachdenken, ist die Lage ernst.

Direktor Max Hollein: "Das Met hat schon immer Entsammlung praktiziert."

Wie die New York Times Anfang Februar meldete, führt das Metropolitan bereits Gespräche mit Auktionshäusern um die Optionen für Kunstverkäufe auszuloten. Kuratoren durchforsten derzeit die Museumsmagazine nach doppelt vorhandenen Werken und Kunst die bislang selten oder nie ausgestellt wurde. Das Museum mit einem jährlichen Gesamtbudget von rund 300 Millionen Dollar rechnet pandemiebedingt mit einem Finanzloch von 150 Millionen Dollar und musste bereits 400 Mitarbeiter entlassen. Die Mittel aus Verkäufen könnten, so erklärte Hollein Mitte Februar auf der Website des Museums, "angesichts der historischen Krise" nicht nur zur Sammlungspflege, sondern "vorübergehend" auch zur Zahlung von Gehältern "in diesem und im nächsten Jahr" verwendet werden. Von Duplikaten oder Werken "geringerer Qualität" hätte man sich auch schon in der Vergangenheit getrennt, betonte Hollein in seinem Statement und versuchte damit der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen: "Das Met hat schon immer Entsammlung praktiziert." Das Museum trenne sich von Kunstwerken "mit dem gleichen Maß an Strategie und Überlegung" wie beim Ankauf.

Anders als etwa in Frankreich oder Deutschland ist es Museen in den USA grundsätzlich erlaubt, sich von Kunst zu trennen, wenn sie etwa nicht mehr zu den langfristigen Sammlungszielen passt. Doch in der Praxis handelt es sich um komplizierte Entscheidungsprozesse. Auch in den Statuten der Fachverbände ist sehr genau geregelt, unter welchen Bedingungen sie sich von Kunst trennen können. Das heißt: Bislang haben sich die meisten US-Museen mehr oder weniger freiwillig verpflichtet, mit den so erzielten Einnahmen ausschließlich neue Kunst zu erwerben.

US-Museen müssen traditionell ohne nennenswerte staatliche Unterstützung auskommen und sind auf Ticketverkäufe, Mäzene und Sponsoring angewiesen. Wegen Rezession und Corona-Krise kämpfen einige bereits um ihre Existenz. Im April 2020 hatte die Association of Art Museum Directors (AAMD) ihre Entsammlungs-Richtlinien für einen begrenzten Zeitraum von zwei Jahren gelockert, um Corona-gebeutelten Institutionen Verkäufe zu ermöglichen, die nicht nur dem Neuerwerb, sondern ausdrücklich auch dem Unterhalt und der Sicherung der Sammlung dienen können.

Möglicherweise wurde so aber auch ein nicht mehr umkehrbarer Prozess in Gang gesetzt. In der Vergangenheit, so stellte das US-Kunstmagazin Artforum fest, seien Entsammlungen "selten und höchst umstritten" gewesen. Die neue Normalität sieht aber anders aus. Heute, so warnt das Magazin, werde das Aussortieren und Abstoßen von Kunst bereits "eine zunehmend übliche Praxis". Die jüngsten Diskussionen um den Verkauf einer Marmorskulptur von Michelangelo aus der Sammlung der Londoner Royal Academy oder auch der Widerstand gegen die geplanten Verkäufe aus den Beständen des Jerusalemer Museums für Islamische Kunst deuten auf eine internationale Entwicklung hin, die sich wohl nicht auf die Vereinigten Staaten beschränken wird.

Das Brooklyn Museum in New York braucht Geld. Allerdings stehen die Bronzen im Eingang - darunter ein Rodin - noch nicht zum Verkauf. (Foto: Sergi Reboredo/Imago)

In den USA standen zuletzt vor allem zwei Institutionen im Zentrum der Debatte. Sowohl das New Yorker Brooklyn-Museum, als auch das Baltimore Museum of Art (BMA) hatten öffentlich erklärt, sich mithilfe des Auktionshauses Sotheby's in einer Auktion Ende Oktober von einigen wenigen wichtigen Werken trennen zu wollen. Doch die beiden Häuser sahen sich daraufhin Kritik ausgesetzt. So konnte das Brooklyn-Museum sieben Werke, darunter von Degas, Dubuffet, Matisse, Miró und Monet ohne großen Gegenwind Ende Oktober für insgesamt 12,6 Millionen Dollar versteigern lassen. Bereits zwei Wochen zuvor hatte dasselbe Museum bereits über Christie's unter anderem ein seltenes Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. für 4,2 Millionen Dollar verkaufen können.

Für das Baltimore Museum of Art hingegen wurde der öffentliche Druck offenbar zu groß. Nur wenige Stunden vor Beginn der Auktion, auf der je ein Gemälde des Abstrakten Expressionisten Clyfford Still und des Minimalisten Brice Marden aus den Beständen angeboten werden sollte, stoppte man den Verkauf. Auch die Veräußerung von "The Last Supper", einer auf 40 Millionen Dollar geschätzten, großformatigen Andy-Warhol-Leinwand von 1986, welches über einen sogenannten "Private Sale" eine neue Besitzerin finden sollte, scheint erst mal wieder vom Tisch.

Der erzwungene Kurswechsel wird die Debatte nicht beenden

"Die Großartigkeit der BMA-Sammlung hängt nicht von drei einzelnen Gemälden ab", hatte Christopher Bedford, der Museumsdirektor in Baltimore, den geplanten Verkauf zunächst verteidigt. Er begründete ihn nicht mit akuten Finanzproblemen, sondern mit dem Ziel, das Museum durch "Progressive Deaccessioning", also progressives Entsammeln, aktiv weiterzuentwickeln. Mit dem potentiellen Erlös von rund 60 Millionen Dollar hatte der Direktor zwei Anliegen verbunden. Einerseits sollten die Löhne erhöht werden. Andererseits wollte Bedford durch gezielte Zukäufe die Diversität der Sammlung vorantreiben. In einer von sozialen Verwerfungen gezeichneten Stadt wie Baltimore, in der Afroamerikaner die Mehrheit der Stadtgesellschaft bilden, sind das nachvollziehbare Ziele. Der erzwungene Kurswechsel wird die Debatte nicht beenden.

Als die Diskussionen richtig losgingen, hatte das Brooklyn-Museum das zarte Gemälde von Claude Monet "Les Iles à Port-Villez (The Islets at Port-Villez)" schon verkauft. (Foto: Courtesy Sotheby's)

Denn die aktuellen Krisen, mit denen sich viele Museen in Europa und den USA konfrontiert sehen, sind nicht nur finanzieller Natur. Nehmen sie die Herausforderung der kulturellen Dekolonialisierung ernst, müssen sie sowohl den Kanon als auch das bisherige Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln infrage stellen. Ein "Entsammeln für Gerechtigkeit" schlägt die Kunsthistorikerin und Kuratorin Julia Pelta Feldman deshalb als einen möglichen Weg für Museen vor: "Auch Museen können ihre Vergangenheit nicht ändern, aber sie können die blinden Flecken, die zu allzu homogenen Sammlungen geführt haben, durch gezieltes und behutsames Entsammeln wettmachen. Die Situation sieht für deutsche Museen etwas anders aus, weil oft nicht ohne Weiteres verkauft werden kann, doch es scheint mir als mögliches Modell auch hierzulande sinnvoll." Im vergangenen Jahr hatte etwa das San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA) ein Rothko-Gemälde für 50 Millionen Dollar bei Sotheby's versteigern lassen, um vom Erlös Werke von Alma Thomas, Lygia Clark und Mickalene Thomas für die Sammlung zu erwerben.

Kommt in Deutschland vielleicht doch der Tabubruch?

Die meisten großen Museen in Deutschland sind aufgrund der kommunalen oder staatlichen Trägerschaft durch die Krise nicht grundsätzlich in ihrer Existenz bedroht. Doch auch sie arbeiten mit vielen prekär Beschäftigten, die auch von temporären Schließungen und signifikant geringeren Besucherzahlen existenziell betroffen sind. Im Herbst warnte Eckart Köhne, Präsident des deutschen Museumsbundes, vor den möglichen Spätfolgen der Corona-Krise: Viele Kommunen könnten zukünftig ihre freiwilligen Kultur-Ausgaben kürzen. Kommt dann vielleicht doch der Tabubruch, der Ruf nach dem Verkauf von Kunstwerken aus der Sammlung, um die Kosten zu stemmen?

Eine Menge Fragen stehen jetzt im Raum. Wird es für Museen zukünftig schwieriger werden, Schenkungen zu akquirieren? Wer will einem Museum noch ein Kunstwerk schenken, wenn man damit rechnen muss, dass es früher oder später vielleicht doch bei einer Auktion landet? Wird der Kunstmarkt demnächst mit aussortierter Museumskunst überschwemmt? "Wirklich gute Bilder verschwinden nicht", erklärt der Maler Gerhard Richter in Interviews. "Am Ende landen sie doch im Museum." Und genau aus dieser Idee der Institution als Endstation bezog das Museum bislang auch einen Teil seiner Legitimation und Reputation. Es sieht so aus, dass das alte Versprechen von musealer Ewigkeit derzeit noch einmal grundsätzlich neu und anders verhandelt wird.

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