Kunst:Weltbekannt und Vergessen: Kandinsky und Hilma af Klint

Lesezeit: 3 min

Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. (Foto: Rolf Vennenbernd/Deutsche Presse-Agentur GmbH/dpa)

Wassily Kandinskys Abstraktionen sind weltberühmt. Hilma af Klint dagegen blieb jahrzehntelang unbekannt. Dabei war sie Kandinsky ebenbürtig - und künstlerisch sogar voraus.

Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Düsseldorf (dpa) - Wassily Kandinsky war der leuchtende Stern der abstrakten Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Hilma af Klint stand im Schatten, ihre Werke lagerten auf einem Dachboden. Es dauerte bis ins 21. Jahrhundert, bis das Werk der schwedischen Malerin wiederentdeckt wurde und af Klint ihren Platz in der Kunstgeschichte bekam: neben Kandinsky. Dem berühmten russischen Maler und perfekten Netzwerker war sie in einigem sogar voraus.

Erstmals stellt die Kunstsammlung NRW (K20) in Düsseldorf das Werk der beiden Pioniere der Abstraktion nun in einer Ausstellung gegenüber. Die Schau „Hilma af Klint und Wassily Kandinsky. Träume von der Zukunft“ (16. März-11. August) vereint rund 120 Ölgemälde, Aquarelle und Zeichnungen. Dass es überhaupt möglich wurde, die farbenprächtigen Werke dieser beiden Künstler in dieser Fülle auszustellen, ist fast schon eine kleine Sensation: Die wertvollen Gemälde von Kandinsky werden von Museen heute nur noch ungern als Leihgaben herausgegeben. Und die riesigen Leinwände von af Klint sind so empfindlich, dass sie nach der Düsseldorfer Ausstellung wohl erst mal für lange Zeit im Depot verschwinden müssen.

Af Klint und Kandinsky lebten fast gleichzeitig und starben beide 1944. Doch während die Leinwände der Schwedin zusammengerollt auf einem Dachboden in Stockholm landeten, tourten Kandinskys Gemälde nach dem Zweiten Weltkrieg um die Welt. Af Klint signierte ihre Bilder nicht und hatte verfügt, dass sie erst 20 Jahre nach ihrem Tod wieder gezeigt werden dürften. So trug sie selbst dazu bei, dass sie vergessen wurde. Kandinsky jedoch, Mitbegründer der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ in München, Bauhaus-Lehrer und Kunsttheoretiker, pflegte ein internationales Netzwerk und wurde zum gefeierten Star der abstrakten Kunst, dessen Bilder von 1908 bis 1915 in 64 Ausstellungen weltweit gezeigt wurden.

Diesem Starkult will die Kunstsammlung, die mehrere Bilder Kandinskys in ihrer Sammlung hat, etwas entgegensetzen. „Wir wollen eine Leerstelle in der Kunstgeschichte schließen“, sagte die Direktorin Susanne Gaensheimer am Donnerstag vor Journalisten. Kandinskys Narrativ der Abstraktion werde „eine neue Perspektive“ hinzugefügt. Durch Hilma af Klint werde die „festgeschriebene Geschichte der europäischen Moderne“ erweitert durch den „Raum des Spirituellen“. Af Klint solle als „eine der wichtigen Figuren in der Geschichte der modernen Malerei“ neben Kandinsky, Mondrian und Picasso positioniert werden.

Den Kuratoren Daniel Birnbaum und Julia Voss, die beide maßgeblich zur Wiederentdeckung von af Klint beigetragen haben, geht es neben Parallelen auch um Unterschiede beider Künstler. Der Mythos von Kandinsky als angeblichem Wegbereiter der Abstraktion wurde durch af Klint jedenfalls kräftig erschüttert. Während Kandinskys Improvisationen von 1910 lange als Beginn der Abstraktion in der Moderne galten, stellte sich inzwischen heraus, dass af Klint schon Jahre vor Kandinsky um 1906 ungegenständlich gemalt hatte.

Anders als Kandinsky bemalte af Klint schon 1907 wandfüllende Leinwände. „Die zehn Größten“ gehören zu den Highlights der Ausstellung - und sie tragen mit ihren Pastellfarben, Kreisen, Kringeln, Blumen und hieroglyphenartigen Schriften eine weibliche künstlerische Handschrift. Wahrscheinlich bearbeitete af Klint diese Bilder auf dem Boden - wie es Jahrzehnte später der US-Künstler Jackson Pollock auch tat.

Af Klint war eine spirituelle Person, nahm an Séancen teil, hörte Stimmen und glaubte, mit unsichtbaren Kräften im Austausch zu stehen. Aber sie verlor nicht den Boden unter den Füßen, betont Kuratorin Voss. Auch Kandinsky schrieb „Über das Geistige in der Kunst“, aber er war intellektueller. Getroffen haben sich Kandinsky und af Klint persönlich nie, aber es gibt Parallelen in ihrem Werk. So nimmt die Legende vom Heiligen Georg, der auch auf dem Almanach des „Blauen Reiter“ abgebildet war, auch in af Klints Schaffen eine wichtige Rolle ein.

Af Klint arbeitete sich in Serien von der Gegenständlichkeit zum Abstrakten vor: Von Leinwand zu Leinwand verwandelt sich etwa ein weißer und ein schwarzer Schwan in Ornamente und schließlich in einen strengen mehrfarbigen Kreis auf schwarzem und später rotem Grund. In Kandinskys leuchtenden Improvisationen geht es wilder zu. Das Gegenständliche taucht oft noch als Spur einer Landschaft, Kirchen oder eines Reiters in seinen Bildern auf. Geprägt waren beide Künstler durch die naturwissenschaftlichen Entdeckungen der Zeit wie Radioaktivität und Röntgenstrahlen. „Urchaos“ heißt eine Serie von af Klint, „Apokalypse“ und „Sintflut“ betitelt Kandinsky seine Werke.

Erst in den 2000er-Jahren kam der Durchbruch für af Klint. Ihre farbigen Abstraktionen voll geheimnisvoller Spiritualität begeisterten 2018 Hunderttausende Menschen im Guggenheim Museum New York. Qualitativ seien die Kunstwerke von Hilma af Klint den Werken Kandinskys „ebenbürtig“, sagt Kuratorin Voss. Anders als bei Kandinsky tauchte bei af Klint der Begriff „abstrakt“ für ihre Kunst übrigens nirgends auf.

© dpa-infocom, dpa:240314-99-333292/3

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: