Kunstgeschichte:Il Terribile

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Für Horst Bredekamp ist der marmorne David von Michelangelo in Florenz eine "Person, die ihren inneren Konflikt im Widerspiel von Anspannung und Entlastung in jedem Körperdetail austrägt". (Foto: imago/Danita Delimont)

Packend und präzise : Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp erzählt, wie Michelangelo die Kunst dem Zugriff der Macht entzog.

Von Kia Vahland

Er war schrecklich, terribile, da waren sich die meisten Zeitgenossen einig. Warum aber Michelangelo immer wieder durch seinen sperrigen Charakter, seinen Stolz und Starrsinn auffiel, warum er sich so oft viel zu viel vornahm, warum er mit Autoritäten stets haderte, das konnte er selbst nicht immer erklären. Sein Freund, der venezianische Künstler Sebastiano del Piombo, aber hatte eine Erklärung: "Ich meinesteils halte Euch gar nicht für schrecklich", schrieb er Michelangelo, "ich halte Euch einzig und allein für schrecklich in Eurer Kunst." Nur so schaffe der Bildhauer und Maler, was er schaffe. Diese Unerbittlichkeit in der Kunst erläuterte Sebastiano auch Papst Leo X., dem Michelangelos Temperament "Angst mache", wie der Venezianer meinte.

In dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat Michelangelo einen späten zweiten Freund gefunden, der ihn ebenfalls genau deshalb schätzt: weil der Renaissancemann auf seinen eigenen Regeln bestand, nämlich denen einer unbedingten Formfindung, und dabei notgedrungen mit Konventionen und Bestellerwünschen in Konflikt geraten musste. Statt sich den Maßstäben anderer anzupassen, brachte er seine Umwelt dazu, ihn doch irgendwie bewundern und annehmen zu wollen, wie er war. So erklärte ein Vertreter der Florentiner Regierung einmal Papst Julius II., man müsse Michelangelo nur "Liebe entgegenbringen und ihm Gunst erweisen", dann schaffe er allergrößte Werke. Die Belehrung war nötig, denn vorher hatte der Künstler vor Julius wutschnaubend Reißaus genommen.

Der Autor trennt nicht zwischen Persönlichem und Ästhetischem. Das tut der Sache gut

Bredekamps packend geschriebenes, präzise dokumentiertes Buch ist Biografie und Monografie zugleich. Der Autor trennt nicht zwischen Persönlichem und Ästhetischem oder zwischen Historie und Werkbetrachtungen. Das tut der Sache gut. Tatsächlich war es ja die besondere Sensibilität Michelangelos, die ihn gegen die Verhältnisse rebellieren ließ, etwa, wenn er früh gegen ein kriegslüsternes Papsttum wetterte oder später der Körperfeindlichkeit der Kirche mit seinen nackten Leibern im "Jüngsten Gericht" trotzte. "Panempathisch" nennt Bredekamp Michelangelos Empfindsamkeit: Der Maler und Bildhauer verstehe es, immer auch das Gegenteil mitzudenken und zu visualisieren.

Michelangelos Delphische Sibylle an der Decke der Sixtinischen Kapelle im Vatikan in Rom. (Foto: Horst Bredekamp)

So handelt die Decke der Sixtinischen Kapelle im Vatikan eben nicht nur von der Liebe Gottes, sondern in den Lünetten und Zwickeln auch von der Tristesse der vorbiblischen Zeiten, verkörpert von einsamen und unwissenden Menschen. Zudem bevölkern die Zwischenräume unheimliche Bronzewesen, Gefangene der Architektur und ihrer Selbst. Sie kontrastieren mit den verspielten ignudi, den nackten Jünglingen, die sich mit Eichelgebinden amüsieren und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Michelangelos Jahrtausendwerk kennt Hoffnungsträgerinnen wie die Delphische Sibylle, deren Haare schon im Wind des Wandels wehen - und die trotz ihres Wissens um die Heilsgeschichte nicht nur froh, sondern auch verunsichert aus großen Augen blickt. Und es kennt Verräter wie den alttestamentarischen Haman, der einen Massenmord an Juden bewirken wollte - und dennoch im Moment seiner eigenen Hinrichtung vom Maler als muskulöser Leidender und nicht als hässlicher Unhold gezeigt wird.

Michelangelo liebte den Perspektivwechsel, zum Propagandisten taugte er nicht

Michelangelo ist bei Bredekamp ein früher Dialektiker, der den Perspektivwechsel zum Grundprinzip seiner Kunst erhob und schon deshalb nicht zum Propagandisten und Moralisten taugte. Sein Einfühlungsvermögen machte vor Steinen nicht halt. Michelangelo hat beschrieben, wie er mit Hammer und Meißel die Figuren im Marmor erspürte, befreite, zur ihr gemäßen Form führte. Im marmornen David aus Florenz, den der Bildhauer aus einem von anderer Hand halb verunstalteten Block herausschälte, erkennt Bredekamp nicht nur Entschlossenheit, sondern auch Angst. David sei eine "Person, die ihren inneren Konflikt im Widerspiel von Anspannung und Entlastung in jedem Körperdetail austrägt".

Auch der Schrecken hat seinen Platz: Michelangelos Metallwesen in der Sixtinischen Kapelle. (Foto: Horst Bredekamp)

Es ist eine Stärke des Buches, Emotionalität und Ästhetik, Psychisches und Physisches zusammen zu verhandeln. Bredekamp selbst wird dabei zum Empathiker, der auch in misslichen Lagen Partei für seinen Protagonisten ergreift. Lange rang der schon ältere Künstler mit seiner tiefen Zuneigung zu der spiritualistischen Dichterin Vittoria Colonna und warb um sie mit Geschenken. Auf einem Bildentwurf für die Adelige ist der auferstandene Jesus im offenen Flirt mit Maria Magdalena zu sehen; die beiden umtänzeln einander, seine Finger scheinen ihre Brustspitze gleich zu ertasten - und das, obwohl die Bibel an dieser Stelle ein Berührungsverbot ausspricht: Noli me tangere, "rühre mich nicht an", sagte Jesus zu Maria Magdalena. Bei Michelangelo aber, so Bredekamp, entwickele sich das Tasten zwangsläufig aus dem Sehen.

Ein anderer (auch nicht im Original enthaltener) Entwurf, ebenfalls ein Geschenk an Vittoria Colonna, zeigt eine gefestigte Maria mit zum Himmel erhobenen Armen, zwischen ihren Beinen sinkt der tote Jesus in sich zusammen. Das spielt auf die merkwürdige Doppelrolle der Maria an - sie hat den Erlöser geboren, der für die Menschheit stirbt; im Himmel aber wird sie nicht als seine Mutter neben ihn treten, sondern als seine Braut. Colonna selbst hat in ihren Texten im Anklang an das Hohelied Salomons die Gefühle der Muttergottes für den sterbenden Jesus hemmungslos erotisiert. Michelangelo wird das gekannt haben; in der Zeichnung mag aber auch sein eigenes Gefühl männlichen Ausgeliefertseins mitschwingen, schließlich hat die aristokratische Dichterin seiner Hingabe immer wieder Grenzen gesetzt.

Horst Bredekamp: Michelangelo. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2021. 816 S., 89 Euro. (Foto: N/A)

Michelangelo galt als Einzelgänger, der gesellschaftliche Anlässe zunehmend scheute und Konkurrenten an die Wand spielte. Liebte der Künstler aber, so tat er dies so bedingungslos, wie er arbeitete. Seinen Schüler Tommaso de' Cavalieri verehrte er und trat auch mit ihm mit Geschenkzeichnungen in einen erotisch-künstlerischen Dialog. Bettelten dagegen hohe Herren um Zeichnungen, so stieß Michelangelo sie zumeist vor den Kopf. So entzog er seine Kunst ein Stück weit der Logik der Käuflichkeit. Wie die kirchenkritische Vittoria Colonna, so war auch der ältere Michelangelo fasziniert von der Idee, dass die Gnade Gottes eine Gabe sei, die der Mensch sich nicht verdienen könne. Übertragen auf seine Arbeit bedeutete das: Auch Michelangelos Ideenskizzen konnte man nicht erwerben, sondern sie nur als Freundschaftsbeweis überreicht bekommen.

Wie dieser Bildhauer, Architekt und Maler es verstand, die Kunst immer wieder dem Zugriff der Macht zu entziehen und sie damit vom Zweckdenken zu emanzipieren, beschäftigt Horst Bredekamp als Forscher seit Jahrzehnten. Die so fundierte wie leichtfüßige Quintessenz seiner im besten Sinn immer auch subjektiven Überlegungen finden sich in diesem Band, der das Zeug zum Standardwerk hat.

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