Kunst:Im Darmtrakt eines Ungeheuers

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Martin Heindels höhlenartige Rauminstallation im Tiefgeschoss der Villa Stuck leuchtet ocker, braun und gelb und ist von einer bläulichen Maserung durchzogen. (Foto: Evelyn Vogel)

Der Autor und Dramaturg Martin Heindel hat für die Ricochet-Reihe in der Villa Stuck eine unterirdische, begehbare Höhle geschaffen, in der es nicht nur etwas zu sehen, sondern auch zu hören gibt

Von Evelyn Vogel

Und dann steht man in diesem Raum ganz tief unten. Ein Raum wie eine Höhle, aber nicht kalt und abweisend anmutend, wie das bei Gestein üblich ist. Sondern bernsteinfarben pulsierend, mit an- und abschwellendem Licht, voller Worte, voller Töne, Melodien und Geräusche. Ein sinnlich-sensorisches Rundumerlebnis. Warm und weich wirkt die biomorphe Oberfläche, irgendwie auch fragil, verletzlich. Und dann die Erkenntnis: Alles ist aus Wachs! Stalaktiten hängen von der Decke, Stalagmiten wachsen aus dem Boden empor, Stalagnaten stützen wie Säulen den Raum.

Man will die Wände anfassen, die so warm strahlen. Darf man das? Kann man sich setzen? Ja man darf, man soll sich sogar setzen, anlehnen, hinlegen - eintauchen in diese seltsame Welt tief unten in der Villa Stuck. Filzflächen und -decken laden dazu ein. Die Höhle, die Martin Heindel in der Ricochet-Reihe der Villa Stuck im Unterschoß installiert hat, scheint meilenweit entfernt vom goldenen Glanz der historischen Räume darüber und doch eröffnet sie eine ebenso fantasiebetonte Welt.

Das hat damit zu tun, dass Heindel kein genuin bildender Künstler ist. Er ist Autor, Dramaturg und Regisseur. Er hat Romane, Theaterstücke, Graphic Novels und Kurzgeschichten adaptiert, inszeniert eigene Hörspiele und führt Regie bei preisgekrönten Radioproduktionen. Seit 2008 läuft auf den Audioguides des Museums die von ihm mitentwickelte Collage "Ist der Franz da ...? Villa Stuck Redux". Und auch bei Fränzchen, dem Kinderprogramm des Museums, hat Heindel mitgemischt. Er denkt also in einem dramaturgisch umfassenden Gesamtkonzept. Hinzu kommt, dass bei der von Anne Marr kuratierten Ausstellung die Bühnenbildnerin Lili Anschütz das Ausstellungsdesign der Rauminstallation gemacht hat. Etwa zwei Monate hat man an dem Gebilde gearbeitet. Fast zwei Tonnen Wachsplättchen wurden vor Ort eingeschmolzen und anschließend auf den Unterbau aus Holz, Draht und Tuch gegossen, geplättet, geklebt und gestrichen.

Man betritt also diesen Raum, der kein Raum im üblichen Sinne ist, um sich ihm zu überlassen. Da ist dieses Brummen und Summen, Knarren und Knattern, dieses Rumpeln und Rauschen, als ob die Höhle ein lebendiger Organismus wäre. Eine Melodie dringt ins Ohr. Jens Harzer, im Wechsel mit Ben Reynolds, erzählen in Deutsch und Englisch eine Geschichte von einem Kind, von einer maskierten Frau, einer Höhle, einer Tür mit einem Schlüsselloch. Was dahinter zu sehen ist, bleibt im Dunkeln.

"Die maskierte Frau gleitet zur Seite und weist stumm auf eine Tür. Eine Stahltür wie man sie in einer Fabrik oder einem unterirdischen Forschungslabor vermuten würde. Sie passt nicht in diesen Raum, dessen Wände und Decke so aussehen als wären sie nicht von Menschen erschaffen, sondern schon immer hier unter der Erde vorhanden und nur irgendwann von irgendjemandem aus ihr, der Erde, herausgeschält worden. Ocker, braun, gelblich und von einer bläulichen Maserung durchzogen, die an Wurzelwerk oder Blutgefäße erinnert. Ganz so als wärst du in einem Organismus gefangen, im Darmtrakt eines Ungeheuers."

Eines Ungeheuers, das einen freundlich aufnimmt. Harzers Stimme bohrt einem die Worte Heindels tief ins Gehirn hinein. Man sitzt, liegt, wandert durch den Raum. Denn das Sensurroundsystem lockt mit abwechselnder Lautstärke hierhin und dorthin. Man will mehr von allem. Die ganzen 75 Minuten lang könnte man hier bleiben. Ein Schauspielabendlang unter der Erde. Freiwillig gefangen in einem unterirdischen Kosmos voller multisensorischer Sinneswahrnehmungen.

Ricochet #13: Martin Heindel - Räume , Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, bis 16. Feb., Di-So 11-18 Uhr, Friday Late (erster Freitag im Monat), 18-22 Uhr

© SZ vom 21.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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