Biennale in Venedig:Was der Putz erzählt

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Maria Eichhorn hat den deutschen Beitrag auf der Weltkunstschau in Venedig gestaltet. (Foto: Jens Ziehe)

Die Künstlerin Maria Eichhorn hat den deutschen Pavillon auf der Weltkunstschau gestaltet. Genauer gesagt: Sie hat ihn abgetragen.

Von Catrin Lorch

Dass der deutsche Pavillon überhaupt noch steht, das ist die Nachricht. Schon weil seit der Berufung der Künstlerin Maria Eichhorn als Vertreterin der Bundesrepublik immer wieder das Gerücht kolportiert wurde, sie plane seinen Abriss, nachhaltige Zerstörung, einen finalen, letzten Akt. Seit Hans Haacke dort im Jahr 1993 kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands die Bodenplatten splitterig zerschlagen hatte, gibt es keinen künstlerischen Beitrag, der nicht auch das Unbehagen an diesem repräsentativen Bau artikuliert, der als wuchtiger Klotz in der Ästhetik der NS-Zeit am Rand des Biennale-Geländes in den Giardini aufragt.

Doch hat auch Maria Eichhorn nur etwas aufgebrochen, bislang. Im Boden klafft ein meterbreites, gewaltiges Loch, an den Wänden ist Putz abgeschlagen. Man sieht rotes Mauerwerk, Zement, Betonriegel. Und, wenn das Licht richtig steht, auch weiße Buchstaben. Sie benennen, was da freigelegt wurde: Stellen, an denen sichtbar ist, wo die Nationalsozialisten am Werk waren. Denn auch wenn der Pavillon im Jahr 1938 in seiner Massivität durch und durch als Repräsentant des Reichs dastand, hatten die von Joseph Goebbels beauftragten Architekten doch nur hastig den klassizistischen Vorgänger des Landes Bayern aus dem Jahr 1909 umgebaut. Das Dach angehoben, Säle zu Hallen vereinigt, Türen erweitert und das Parkett durch Marmorfliesen ersetzt. Dort, wo zierliche Säulen am Eingang den Kunst-Tempel markierten, ragten danach wuchtige, mit hellem Stein vertäfelte Pilaster auf.

Der deutsche Pavillon, einst in der NS-Zeit umgebaut, dient auf der Biennale in Venedig als archäologische und soziologische Spurensuche. (Foto: Jens Ziehe/© Maria Eichhorn / VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Maria Eichhorn hat den Putz über den Nahtstellen abschlagen lassen, an denen die alten, sorgfältig gemauerten Wände an die sichtbar hastig und schlampig hochgezogenen neuen Mauern stoßen. Freigelegt wurden auch die Fundamente der ursprünglichen Rückwand, die unter den Steinplatten verborgen waren. Eine Bestandsaufnahme, die nicht unbedingt so wirkt, als sei da eine Künstlerin am Werk gewesen. Eher denkt man an die Arbeit von Archäologen oder Denkmalschützern. Zumal in dem Graben, der sich nun unvermittelt öffnet, nicht nur ein kleiner rötlicher Tonofen auftaucht, der wohl aus der Zeit eines Klosters stammt. Sondern, direkt daneben, auch ein schwarzer, glatter Schacht, ein Überrest der Martin-Kippenberger-Installation "Metro-NET World Connection" aus dem Jahr 2003.

Ton Steine Erben

Die zurückhaltenden Eingriffe am Haus, so erklärt es Kurator Yilmaz Dziewior, sind allerdings nicht das ganze Werk. Sondern sozusagen nur der erste Schritt der Arbeit, die den Titel "Relocating a Structure" trägt und die Versetzung des Pavillons zum Ziel hat, seine physische Translokation. Deswegen bietet Maria Eichhorn auch Spaziergänge zu Orten des Widerstandes in Venedig an und breitet in einem dicken Katalogbuch ihre akribischen Recherchen in Archiven aus, die dokumentieren, wie da in nationalem Auftrag gebaut und umgebaut wurde. Mies van der Rohe sollte als Architekt übrigens nach dem Krieg einen Neubau entwerfen, Documenta-Gründer Arnold Bode schlug, als er davon hörte einen - erneuten - Umbau vor, der den wuchtigen Klotz in einen neutralen Kasten verwandelt hätte, aber deutlich günstiger gewesen wäre.

Mit solchen Überlegungen konkurrieren jetzt Eichhorns Pläne, den Pavillon für eine Zeit zu versetzen. Technisch liegen zwei Methoden nahe: Zerlegung und Einlagerung oder der Abtransport als Ganzes, beispielsweise auf einem schwimmenden Ponton. Die Technik dafür ist da, ein ausführliches Interview mit dem Sohn des rumänischen Ingenieurs Eugeniu Iordăchescu, der in den Siebzigerjahren nach einem Erdbeben in Bukarest nicht nur Kirchen, sondern auch ganze Wohnblocks zentimeterweise durch die Stadt rollen ließ zu ihrem neuen Standort. Die Methode soll so perfekt gewesen sein, dass die Bewohner am frühen Morgen nicht einmal bemerkt haben, dass sie bereits auf dem Weg zu ihrer neuen Adresse waren.

Maria Eichhorns Arbeit für Venedig ist insofern zwar gewaltig, aber nicht überwältigend. Die Künstlerin deutet das enorme Potenzial des Spektakels an, lässt es aber zunächst unvollendet, obwohl das Team von Yilmaz Dziewior sogar herausfand, welche hoch spezialisierten Kräne man heute anmieten müsste. Theoretisch. Was bleibt, ist viel Raum und die sehr konkrete Anregung, sich dieses Gebäude einmal wegzudenken. Im Katalog gibt es eine Luftaufnahme, die als Simulation schon einmal vorwegnimmt, wie das aussehen könnte. Ein sandfarbenes Plateau direkt am Wasser, eine kleine, baumbestandene Utopie. Was wäre, wenn es diesen Bau nicht mehr gäbe?

Besessen von NS-Geschichte?

Niemand kann solche Visionen so erzählen wie die im Jahr 1962 geborene Künstlerin. Als eine der Ersten beschäftigte sie sich mit Raubkunst, ganz konkret, indem sie im Jahr 2003 im Münchner Museum Lenbachhaus unter dem Titel "Restitutionspolitik" die Gemälde umdrehen ließ und so - anhand von Beschriftungen, Markierungen, Aufklebern - die ursprünglichen Besitzverhältnisse andeutete. Die Arbeit an der deutschen Vergangenheit setzte sie mit der Gründung des Rose-Valland-Instituts auf der Documenta 14 fort, dessen Aufgabe es seither ist, nicht nur die ursprünglichen, meist jüdischen Besitzer von Kunst aufzuspüren, sondern auch zu klären, wem Vasen, Silbersteck und Biedermeiermöbel einst gehörten. Zwar mündeten die komplizierten Recherchen bislang in nur wenige Rückgaben, doch erscheint seither jedes Schaufenster eines Trödlers wie kontaminiert.

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Dass die Projekte von Maria Eichhorn in ihrer Umsetzung immer sehr handgreiflich und praktisch gedacht sind, grenzt sie ab von der Generation der Konzeptkunst. Und von der Utopie distinguiert sie ihre präzise Arbeitsweise, die - beispielsweise beim Ankauf eines Wohnhauses für die Documenta in Athen - auch Juristen, das Grundbuchamt und Makler einbezieht.

Vor allem internationale Besucher kritisierten während der ersten Tage, dass die deutsche Kunst den Blick nicht hebt, dass man an der NS-Geschichte klebe wie an einem Unique Selling Point. Diese Kritik übersieht, dass "Relocating a Structure" modellhaft gedacht ist, eine universal gültige Anleitung zum Umgang mit allen auf Ewigkeit angelegten Architekturen. Und die wird gerade dringend gebraucht in Zeiten, in denen aus Regierungen wieder Regime werden und im Krieg in der Ukraine der Bombast der Stalinzeit genauso zerbombt wird wie Wohnhäuser, Fabriken, sowjetische Moderne und brandneue Shoppingcenter. Was anfangen mit den Schichtungen, die von der Geschichte verlassen worden sind? Erst einmal wegdenken. "Relocating a Structure" zeigt, wie es geht. Und überlässt die Vollendung dem Publikum und der Politik. Maria Eichhorn legt nur das Werkzeug bereit.

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