Kunst:Ausstellung «Hausbesuch»: Kunst zwischen Bücherregalen

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Die Videoinstallation „Night and Day“ von Mélanie Metranga. (Foto: Wolfram Kastl)

Köln (dpa) - Der Weg zur Kunst führt durch ein enges Treppenhaus mit Topfblumen auf den Fensterbänken und Schuhregalen vor den Wohnungstüren. Ganz oben, unter dem Dach des vierstöckigen Mietshauses, erwartet die Besucher die Videoinstallation der französischen Künstlerin Mélanie Metranga.

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Köln (dpa) - Der Weg zur Kunst führt durch ein enges Treppenhaus mit Topfblumen auf den Fensterbänken und Schuhregalen vor den Wohnungstüren. Ganz oben, unter dem Dach des vierstöckigen Mietshauses, erwartet die Besucher die Videoinstallation der französischen Künstlerin Mélanie Metranga.

Doch erst müssen sie noch an Jupp vorbei. Der ältere Herr öffnet in Pantoffeln seine Wohnungstür. In breitem Kölsch weist er den Besuchern den Weg durch seinen Flur hinauf zum Dachboden.

Das Atelier auf dem Dachboden ist Teil der experimentellen Ausstellung „Hausbesuch“ des Museums Ludwig. Sie findet in privaten Wohnungen und Häusern statt. Sechs internationale Künstler und Künstlerkollektive präsentieren ortsspezifische Arbeiten, die sie in Auseinandersetzung mit ausgewählten Wohnräumen entwickelten.

Die Künstler greifen die Themen Privatsphäre, Intimität und Gestfreundschaft in der digital vernetzten Gesellschaft auf. Sie beschäftigen sich mit neuen Formen des Wohnens, in denen das private Heim beispielsweise an Gäste vermietet wird. Auch durch soziale Medien wird das Zuhause zunehmend öffentlich geteilt. Gleichzeitig brauchen es viele immer dringender als Rückzugsort. Zwischen diesen Polen bewegt sich „Hausbesuch“.

Mélanie Metranga erzählt in ihren Filmen in Momentaufnahmen von der Suche nach Nähe und Intimität und dem Alleinsein in Gesellschaft. Die Protagonisten reden miteinander, ohne aufeinander zu reagieren. Niemand scheint dem anderen zuzuhören. Die gemauerte weiße Wand des Dachboden-Ateliers wird zur Leinwand. Zwei Stockwerke tiefer, am Ende eines langen Flurs in einer verwinkelten Zweier-WG, läuft zwischen selbstgezimmerten Bücherregalen eine weitere Videoinstallation.

Einen krassen Kontrast dazu bildet der Ausstellungsort im Gerling-Quartier von Neïl Beloufa: Der französisch-algerische Künstler verwandelt eine Luxus-Maisonettewohnung in eine Art Bettenlager. Im Wohnzimmer stehen selbstgebaute, futuristisch wirkende Kojen mit zusammengebastelten Küchen- und Bad-Elementen. Eine Wasserleitung führt von der provisorischen Toilette quer durch den Flur ins Luxus-Gäste-WC.

Die Ausstellungsbesucher werden wie potenzielle Kunden von einem realen Immobilienverkäufer empfangen, der die Wohnung wie gewohnt bewirbt und präsentiert. Die Kunstausstellung erwähnt er mit keinem Wort. So spielt Beloufa mit dem Missverhältnis beim Verkauf von Luxusimmobilien in Zeiten der Wohnungsknappheit und der Flüchtlingskrise. Die Bett-Kojen erinnern an Kapselhotels, die es vor allem in Japan in Städten mit großem Platzmangel gibt.

Das Künstlerkollektiv „åyr“ nutzt für seine Installation die besondere Architektur des letzten Wohnhauses des Kölner Architekten Oswald Mathias Ungers im Stadtteil Müngersdorf. Das zweigeschossige Haus mit rechteckigem Grundriss ist ein Musterbeispiel für Ungers' Architektur: klare Raumaufteilung, türgroße Fenster, keine Dekoration, quadratische Formen, auf das Wesentliche konzentriert. Hier beherbergt der Mediziner, Kunst- und Literatursammler Reiner Speck seine private Proust- und Petrarca-Bibliothek.

Die vier Künstler konfrontieren das Haus mit dem Geiste Marcel Prousts: Der Schriftsteller verschanzte sich in seinen letzten Lebensjahren in seiner Pariser Wohnung und kleidete das Schlafzimmer mit Korkplatten aus, um sich vor Lärm zu schützen. „åyr“ verhängt für die Ausstellung alle 24 Fenster mit dem Metall-Gewebe „EMI“. Es wird unter anderem in Hauswände integriert, um Gebäude vor Daten-Spionage zu schützen. In Ungers' Haus wird das Material zu dekorativen und lichtdurchlässigen Vorhängen umfunktioniert. Die Installation verknüpft so neue technologische Entwicklungen und die Angst vor digitaler Transparenz mit traditionellen Einrichtungs-Vorlieben.

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